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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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zu denen sie hin wollen, vorstellen und mahlen werden; und
so progressio nach Umständen alle menschlichen Lagen und
Vorstellungen da anknüpfen können. So auch ein Jagdvolk,
ein Hirtenvolk, ein kriegerisches, ein landbauendes, ein Ge-
birgsvolk: jedes aus seinem Zustand heraus; und eben so mit
allen Künsten. Werden die Verhältnisse komplizirter, gegen
andere Völker zu, und nach innen, so wird Stolz, Eitelkeit,
Muth, Konventionelles, sich hinzumischen, zu dem, was sie
ausdrücken wollen. Religion und ihren Gottesdienst müssen
wir auch dahin zählen, weil auch sie unter allen Völkern
nicht ohne Zusatz bleibt.

Wenn man also Nationalkünste verlangt, so können sie
nur in Nationalzuständen ihre Quelle finden; und weil nicht
jede Kunst bei jeder Nation diese Nahrung findet, so hat von
jeher eine von der andern geborgt, und sie haben sich einan-
der nachgeahmt. Es kann mit als eine kriegfolgende Neuerungs-
lust angesehen werden, wenn possirlich und gewaltthätig von
einer Nation gefordert wird, was eine andere nur ihrem Zu-
stande angemessen längst geliefert hat. La chasse de Henri IV,
von Schweden etwa, auf einen ihrer Monarchen angebracht
und modifizirt; große Heiligenbilder in Mecklenburg, die nur
unter Päpsten entstehen konnten; eben so mit Gebäuden: jetzt
in Hamburg, was einst Venedig hervorbringen konnte; Schwei-
zer Gebirgslieder in Holland. Wenn man auch antwortete:
Das wird nicht verlangt; jedes Volk soll nur seine Zustände
sublimiren; das wollen wir! Dies möchte ich auch; aber alle
Zustände lassen sich nicht künstlerisch sublimiren: es giebt auch
Völker, die in Zuständen leben, die nur einer rechtlichen, sitt-

zu denen ſie hin wollen, vorſtellen und mahlen werden; und
ſo progreſſio nach Umſtänden alle menſchlichen Lagen und
Vorſtellungen da anknüpfen können. So auch ein Jagdvolk,
ein Hirtenvolk, ein kriegeriſches, ein landbauendes, ein Ge-
birgsvolk: jedes aus ſeinem Zuſtand heraus; und eben ſo mit
allen Künſten. Werden die Verhältniſſe komplizirter, gegen
andere Völker zu, und nach innen, ſo wird Stolz, Eitelkeit,
Muth, Konventionelles, ſich hinzumiſchen, zu dem, was ſie
ausdrücken wollen. Religion und ihren Gottesdienſt müſſen
wir auch dahin zählen, weil auch ſie unter allen Völkern
nicht ohne Zuſatz bleibt.

Wenn man alſo Nationalkünſte verlangt, ſo können ſie
nur in Nationalzuſtänden ihre Quelle finden; und weil nicht
jede Kunſt bei jeder Nation dieſe Nahrung findet, ſo hat von
jeher eine von der andern geborgt, und ſie haben ſich einan-
der nachgeahmt. Es kann mit als eine kriegfolgende Neuerungs-
luſt angeſehen werden, wenn poſſirlich und gewaltthätig von
einer Nation gefordert wird, was eine andere nur ihrem Zu-
ſtande angemeſſen längſt geliefert hat. La chasse de Henri IV,
von Schweden etwa, auf einen ihrer Monarchen angebracht
und modifizirt; große Heiligenbilder in Mecklenburg, die nur
unter Päpſten entſtehen konnten; eben ſo mit Gebäuden: jetzt
in Hamburg, was einſt Venedig hervorbringen konnte; Schwei-
zer Gebirgslieder in Holland. Wenn man auch antwortete:
Das wird nicht verlangt; jedes Volk ſoll nur ſeine Zuſtände
ſublimiren; das wollen wir! Dies möchte ich auch; aber alle
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Völker, die in Zuſtänden leben, die nur einer rechtlichen, ſitt-

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[78/0086] zu denen ſie hin wollen, vorſtellen und mahlen werden; und ſo progreſſio nach Umſtänden alle menſchlichen Lagen und Vorſtellungen da anknüpfen können. So auch ein Jagdvolk, ein Hirtenvolk, ein kriegeriſches, ein landbauendes, ein Ge- birgsvolk: jedes aus ſeinem Zuſtand heraus; und eben ſo mit allen Künſten. Werden die Verhältniſſe komplizirter, gegen andere Völker zu, und nach innen, ſo wird Stolz, Eitelkeit, Muth, Konventionelles, ſich hinzumiſchen, zu dem, was ſie ausdrücken wollen. Religion und ihren Gottesdienſt müſſen wir auch dahin zählen, weil auch ſie unter allen Völkern nicht ohne Zuſatz bleibt. Wenn man alſo Nationalkünſte verlangt, ſo können ſie nur in Nationalzuſtänden ihre Quelle finden; und weil nicht jede Kunſt bei jeder Nation dieſe Nahrung findet, ſo hat von jeher eine von der andern geborgt, und ſie haben ſich einan- der nachgeahmt. Es kann mit als eine kriegfolgende Neuerungs- luſt angeſehen werden, wenn poſſirlich und gewaltthätig von einer Nation gefordert wird, was eine andere nur ihrem Zu- ſtande angemeſſen längſt geliefert hat. La chasse de Henri IV, von Schweden etwa, auf einen ihrer Monarchen angebracht und modifizirt; große Heiligenbilder in Mecklenburg, die nur unter Päpſten entſtehen konnten; eben ſo mit Gebäuden: jetzt in Hamburg, was einſt Venedig hervorbringen konnte; Schwei- zer Gebirgslieder in Holland. Wenn man auch antwortete: Das wird nicht verlangt; jedes Volk ſoll nur ſeine Zuſtände ſublimiren; das wollen wir! Dies möchte ich auch; aber alle Zuſtände laſſen ſich nicht künſtleriſch ſublimiren: es giebt auch Völker, die in Zuſtänden leben, die nur einer rechtlichen, ſitt-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/86>, abgerufen am 25.11.2024.