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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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nicht, und glauben, weil Goethe gelobt wird, bin ich nur zu-
frieden: ich würde nie diesen Meister vergöttern können, hätte
ich kein unschuldig Herz, kein immer neues Urtheil bereit; und
auch als Geschenk der Natur erhalten. Was Sie wider sein
Buch sagen, gefällt mir eben so, als was Sie dafür sagen.
So munter (alerte, mein' ich) aufgefaßt, angeschaut, mit so
großem Vorrath kombinirt; und so hell überdacht dazugelegt;
so glücklich, natürlich, und kunstgeübt, und kunstvoll, und nur
wie im Fluge, sich darüber auszudrücken: kann nur Ihnen,
dem im Lesen -- bester Art -- und Leben ganz durcharbeite-
ten, und gereiften, gallisch-deutschen Menschen möglich sein.
Ich goutire solch reifes, ironisches, lächlend-traurig-ruhiges
Wesen, als hätte ich es selbst in meiner Gewalt: denn be-
sitzen thue ich wahrlich davon. Kurz, Ihr Brief -- wie viele
Ihrer Briefe -- gefiel mir unendlich: und Sie lassen sich mein
Applaudissement gefallen; weil es meine Italiäner-Natur mit
sich bringt: wie ich zu dieser neben dem großen Kurfürsten
komme, frag' ich die ganze. (Wissen Sie nicht mehr, welche?
die ganze Natur.) Gerne schrieb' ich Ihnen Schönes, Pikan-
tes, Geistvolles von hier: ich weiß aber nichts von hier: ich
sehe hier nichts: ich bleibe auf meiner Domaine; einem brei-
ten Kanape. Es geht schwach vor sich hin, was man erfah-
ren darf: vom andern weiß natürlich die Polizei, ich gar
nichts. Vom Theater, von meinen Lektüren, meinen Bekann-
ten, müßt' ich erst etwas spinnen; aber es ist nichts zurecht
gelegt. Vielleicht wenn Sie uns wieder einmal so einen schö-
nen Brief schicken! Haben Sie angenehme Bekannte? Wen
haben Sie bei Ihrem Kindchen: auch so etwas will ich wissen.

nicht, und glauben, weil Goethe gelobt wird, bin ich nur zu-
frieden: ich würde nie dieſen Meiſter vergöttern können, hätte
ich kein unſchuldig Herz, kein immer neues Urtheil bereit; und
auch als Geſchenk der Natur erhalten. Was Sie wider ſein
Buch ſagen, gefällt mir eben ſo, als was Sie dafür ſagen.
So munter (alerte, mein’ ich) aufgefaßt, angeſchaut, mit ſo
großem Vorrath kombinirt; und ſo hell überdacht dazugelegt;
ſo glücklich, natürlich, und kunſtgeübt, und kunſtvoll, und nur
wie im Fluge, ſich darüber auszudrücken: kann nur Ihnen,
dem im Leſen — beſter Art — und Leben ganz durcharbeite-
ten, und gereiften, galliſch-deutſchen Menſchen möglich ſein.
Ich goutire ſolch reifes, ironiſches, lächlend-traurig-ruhiges
Weſen, als hätte ich es ſelbſt in meiner Gewalt: denn be-
ſitzen thue ich wahrlich davon. Kurz, Ihr Brief — wie viele
Ihrer Briefe — gefiel mir unendlich: und Sie laſſen ſich mein
Applaudiſſement gefallen; weil es meine Italiäner-Natur mit
ſich bringt: wie ich zu dieſer neben dem großen Kurfürſten
komme, frag’ ich die ganze. (Wiſſen Sie nicht mehr, welche?
die ganze Natur.) Gerne ſchrieb’ ich Ihnen Schönes, Pikan-
tes, Geiſtvolles von hier: ich weiß aber nichts von hier: ich
ſehe hier nichts: ich bleibe auf meiner Domaine; einem brei-
ten Kanapé. Es geht ſchwach vor ſich hin, was man erfah-
ren darf: vom andern weiß natürlich die Polizei, ich gar
nichts. Vom Theater, von meinen Lektüren, meinen Bekann-
ten, müßt’ ich erſt etwas ſpinnen; aber es iſt nichts zurecht
gelegt. Vielleicht wenn Sie uns wieder einmal ſo einen ſchö-
nen Brief ſchicken! Haben Sie angenehme Bekannte? Wen
haben Sie bei Ihrem Kindchen: auch ſo etwas will ich wiſſen.

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[54/0062] nicht, und glauben, weil Goethe gelobt wird, bin ich nur zu- frieden: ich würde nie dieſen Meiſter vergöttern können, hätte ich kein unſchuldig Herz, kein immer neues Urtheil bereit; und auch als Geſchenk der Natur erhalten. Was Sie wider ſein Buch ſagen, gefällt mir eben ſo, als was Sie dafür ſagen. So munter (alerte, mein’ ich) aufgefaßt, angeſchaut, mit ſo großem Vorrath kombinirt; und ſo hell überdacht dazugelegt; ſo glücklich, natürlich, und kunſtgeübt, und kunſtvoll, und nur wie im Fluge, ſich darüber auszudrücken: kann nur Ihnen, dem im Leſen — beſter Art — und Leben ganz durcharbeite- ten, und gereiften, galliſch-deutſchen Menſchen möglich ſein. Ich goutire ſolch reifes, ironiſches, lächlend-traurig-ruhiges Weſen, als hätte ich es ſelbſt in meiner Gewalt: denn be- ſitzen thue ich wahrlich davon. Kurz, Ihr Brief — wie viele Ihrer Briefe — gefiel mir unendlich: und Sie laſſen ſich mein Applaudiſſement gefallen; weil es meine Italiäner-Natur mit ſich bringt: wie ich zu dieſer neben dem großen Kurfürſten komme, frag’ ich die ganze. (Wiſſen Sie nicht mehr, welche? die ganze Natur.) Gerne ſchrieb’ ich Ihnen Schönes, Pikan- tes, Geiſtvolles von hier: ich weiß aber nichts von hier: ich ſehe hier nichts: ich bleibe auf meiner Domaine; einem brei- ten Kanapé. Es geht ſchwach vor ſich hin, was man erfah- ren darf: vom andern weiß natürlich die Polizei, ich gar nichts. Vom Theater, von meinen Lektüren, meinen Bekann- ten, müßt’ ich erſt etwas ſpinnen; aber es iſt nichts zurecht gelegt. Vielleicht wenn Sie uns wieder einmal ſo einen ſchö- nen Brief ſchicken! Haben Sie angenehme Bekannte? Wen haben Sie bei Ihrem Kindchen: auch ſo etwas will ich wiſſen.

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/62>, abgerufen am 25.11.2024.