Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

aufgebracht: nicht wegen changement de casaque; aber wegen
ihrer schlechten Gründe. Gentz müssen diese Herren studiren,
der hat vor drei Posttagen ein Meisterwerk! in die Allge-
meine Zeitung einrücken lassen: Sie sollen es hier lesen, bei
mir. Auch ich, liebe Freundin, viel älter als Sie, möchte für
den Rest Lebens Ruhe: aber meine Einsicht zeigt mir das Ge-
gentheil; jedoch nicht allein es kann, es wird sich über un-
ser Leben hinaus hinziehn. Eins ist gewiß. Erobren will
Europa nicht mehr Stücke Erde; aber ernster! Stücke Gleich-
heit
: Freiheit ist nur Ausrede, und Mißverstand. Die Rede
ist vom Rechte, und nicht mehr vom Herkommen: ganz ein-
fach. Mais nous deux nous voulons causer, et vivre douce-
ment; et moi je voudrais savoir si vous voulez le bas com-
mence? mille belles choses au prince de la journee, et a son
aimable fille, et a vous, aimable Marie! A demain donc!

F. V.



Das Herz -- der Wille -- begreift keine Zukunft: der
Geist -- das Urtheil -- hebt sie auf, macht sie zur Gegen-
wart. Nur er ist frei, selbstthätig, auf Unbekanntes gerichtet;
jenes gebunden an ein fest schon Gegebenes.



aufgebracht: nicht wegen changement de casaque; aber wegen
ihrer ſchlechten Gründe. Gentz müſſen dieſe Herren ſtudiren,
der hat vor drei Poſttagen ein Meiſterwerk! in die Allge-
meine Zeitung einrücken laſſen: Sie ſollen es hier leſen, bei
mir. Auch ich, liebe Freundin, viel älter als Sie, möchte für
den Reſt Lebens Ruhe: aber meine Einſicht zeigt mir das Ge-
gentheil; jedoch nicht allein es kann, es wird ſich über un-
ſer Leben hinaus hinziehn. Eins iſt gewiß. Erobren will
Europa nicht mehr Stücke Erde; aber ernſter! Stücke Gleich-
heit
: Freiheit iſt nur Ausrede, und Mißverſtand. Die Rede
iſt vom Rechte, und nicht mehr vom Herkommen: ganz ein-
fach. Mais nous deux nous voulons causer, et vivre douce-
ment; et moi je voudrais savoir si vous voulez le bas com-
mencé? mille belles choses au prince de la journée, et à son
aimable fille, et à vous, aimable Marie! A demain donc!

F. V.



Das Herz — der Wille — begreift keine Zukunft: der
Geiſt — das Urtheil — hebt ſie auf, macht ſie zur Gegen-
wart. Nur er iſt frei, ſelbſtthätig, auf Unbekanntes gerichtet;
jenes gebunden an ein feſt ſchon Gegebenes.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0543" n="535"/>
aufgebracht: nicht wegen <hi rendition="#aq">changement de casaque;</hi> aber wegen<lb/>
ihrer &#x017F;chlechten Gründe. Gentz mü&#x017F;&#x017F;en die&#x017F;e Herren &#x017F;tudiren,<lb/>
der hat vor drei Po&#x017F;ttagen ein <hi rendition="#g">Mei&#x017F;terw</hi>erk! in die Allge-<lb/>
meine Zeitung einrücken la&#x017F;&#x017F;en: Sie &#x017F;ollen es hier le&#x017F;en, bei<lb/>
mir. Auch ich, liebe Freundin, viel älter als Sie, möchte für<lb/>
den Re&#x017F;t Lebens Ruhe: aber meine Ein&#x017F;icht zeigt mir das Ge-<lb/>
gentheil; jedoch nicht allein es kann, es wird &#x017F;ich über un-<lb/>
&#x017F;er Leben hinaus hinziehn. Eins i&#x017F;t gewiß. Erobren will<lb/>
Europa nicht mehr Stücke Erde; aber ern&#x017F;ter! Stücke <hi rendition="#g">Gleich-<lb/>
heit</hi>: Freiheit i&#x017F;t nur Ausrede, und Mißver&#x017F;tand. Die Rede<lb/>
i&#x017F;t vom Rechte, und nicht mehr vom Herkommen: ganz ein-<lb/>
fach. <hi rendition="#aq">Mais nous deux nous voulons causer, et vivre douce-<lb/>
ment; et moi je voudrais savoir si vous voulez le bas com-<lb/>
mencé? mille belles choses au prince de la journée, et à son<lb/>
aimable fille, et à vous, aimable Marie! A demain donc!</hi></p><lb/>
            <closer>
              <salute> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#aq">F. V.</hi> </hi> </salute>
            </closer>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Freitag, den 4. November 1831.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Das Herz &#x2014; der Wille &#x2014; begreift keine Zukunft: der<lb/>
Gei&#x017F;t &#x2014; das Urtheil &#x2014; hebt &#x017F;ie auf, macht &#x017F;ie zur Gegen-<lb/>
wart. Nur er i&#x017F;t frei, &#x017F;elb&#x017F;tthätig, auf Unbekanntes gerichtet;<lb/>
jenes gebunden an ein fe&#x017F;t &#x017F;chon Gegebenes.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[535/0543] aufgebracht: nicht wegen changement de casaque; aber wegen ihrer ſchlechten Gründe. Gentz müſſen dieſe Herren ſtudiren, der hat vor drei Poſttagen ein Meiſterwerk! in die Allge- meine Zeitung einrücken laſſen: Sie ſollen es hier leſen, bei mir. Auch ich, liebe Freundin, viel älter als Sie, möchte für den Reſt Lebens Ruhe: aber meine Einſicht zeigt mir das Ge- gentheil; jedoch nicht allein es kann, es wird ſich über un- ſer Leben hinaus hinziehn. Eins iſt gewiß. Erobren will Europa nicht mehr Stücke Erde; aber ernſter! Stücke Gleich- heit: Freiheit iſt nur Ausrede, und Mißverſtand. Die Rede iſt vom Rechte, und nicht mehr vom Herkommen: ganz ein- fach. Mais nous deux nous voulons causer, et vivre douce- ment; et moi je voudrais savoir si vous voulez le bas com- mencé? mille belles choses au prince de la journée, et à son aimable fille, et à vous, aimable Marie! A demain donc! F. V. Freitag, den 4. November 1831. Das Herz — der Wille — begreift keine Zukunft: der Geiſt — das Urtheil — hebt ſie auf, macht ſie zur Gegen- wart. Nur er iſt frei, ſelbſtthätig, auf Unbekanntes gerichtet; jenes gebunden an ein feſt ſchon Gegebenes.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/543
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/543>, abgerufen am 23.11.2024.