bles. -- Zeit entsteht nur, wenn vor ihr nichts war. Für et- was, das immer da war, giebt's keine Zeit. Sie ist also ent- weder eine Illusion, oder wir müssen erfahren, wie wir nichts waren: wodurch wir zum Bewußtsein kamen. Raum ist Satz der Zeit: ist die für's Geschehene: ist die zu Stamm gewor- dene Illusion. Zeit, werdende Blätter und Zweige davon. Handlen, beider Prinzip. Handlen aber, ist Existenz bekom- men: hiesige. Alles in den Bedingungen unserer Konzeption. --
Mittwoch, den 20. Juni 1821.
(Mündlich.)
"Ich mache zwar keine Prätensionen, aber ich habe darum nicht wenigere."
Bei einem Streit über eine ganz unbedeutende Sache, wo aber die auffallendste Verkehrtheit sich geltend machen wollte: "Gott! rief Rahel leidenschaftlich aus, hast du denn keinen Donner mehr? und wenn es auch nur um einer Klei- nigkeit willen ist, schick' einen, zum Zeichen!"
1821.
Freitag, den 22. Juni 1821.
Sehr kalt. Viele Leute heizen ein; starker Regen.
Labruyere sagt: Il n'y a rien qui rafraeichisse le sang comme d'avoir su eviter une sottise. Buchstäblich wahr; in- dem man eine Thorheit begeht, weiß man es schon; erhitzt führt man sie schon aus, und das Bewußtsein, es ist eine Thorheit, erhitzt noch mehr: und nachher die glückliche Erho-
bles. — Zeit entſteht nur, wenn vor ihr nichts war. Für et- was, das immer da war, giebt’s keine Zeit. Sie iſt alſo ent- weder eine Illuſion, oder wir müſſen erfahren, wie wir nichts waren: wodurch wir zum Bewußtſein kamen. Raum iſt Satz der Zeit: iſt die für’s Geſchehene: iſt die zu Stamm gewor- dene Illuſion. Zeit, werdende Blätter und Zweige davon. Handlen, beider Prinzip. Handlen aber, iſt Exiſtenz bekom- men: hieſige. Alles in den Bedingungen unſerer Konzeption. —
Mittwoch, den 20. Juni 1821.
(Mündlich.)
„Ich mache zwar keine Prätenſionen, aber ich habe darum nicht wenigere.“
Bei einem Streit über eine ganz unbedeutende Sache, wo aber die auffallendſte Verkehrtheit ſich geltend machen wollte: „Gott! rief Rahel leidenſchaftlich aus, haſt du denn keinen Donner mehr? und wenn es auch nur um einer Klei- nigkeit willen iſt, ſchick’ einen, zum Zeichen!“
1821.
Freitag, den 22. Juni 1821.
Sehr kalt. Viele Leute heizen ein; ſtarker Regen.
Labruyere ſagt: Il n’y a rien qui rafraîchisse le sang comme d’avoir su éviter une sottise. Buchſtäblich wahr; in- dem man eine Thorheit begeht, weiß man es ſchon; erhitzt führt man ſie ſchon aus, und das Bewußtſein, es iſt eine Thorheit, erhitzt noch mehr: und nachher die glückliche Erho-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><hirendition="#aq"><pbfacs="#f0052"n="44"/>
bles.</hi>— Zeit entſteht nur, wenn vor ihr nichts war. Für et-<lb/>
was, das immer da war, giebt’s keine Zeit. Sie iſt alſo ent-<lb/>
weder eine Illuſion, oder wir müſſen erfahren, wie wir nichts<lb/>
waren: wodurch wir zum Bewußtſein kamen. Raum iſt Satz<lb/>
der Zeit: iſt die für’s Geſchehene: iſt die zu Stamm gewor-<lb/>
dene Illuſion. Zeit, werdende Blätter und Zweige davon.<lb/>
Handlen, beider Prinzip. Handlen aber, iſt Exiſtenz bekom-<lb/>
men: hieſige. Alles in den Bedingungen unſerer Konzeption. —</p><lb/><dateline><hirendition="#et">Mittwoch, den 20. Juni 1821.</hi></dateline></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><p><hirendition="#c">(Mündlich.)</hi></p><lb/><p>„Ich <hirendition="#g">mache</hi> zwar keine Prätenſionen, aber ich <hirendition="#g">habe</hi><lb/>
darum nicht wenigere.“</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><p>Bei einem Streit über eine ganz unbedeutende Sache,<lb/>
wo aber die auffallendſte Verkehrtheit ſich geltend machen<lb/>
wollte: „Gott! rief Rahel leidenſchaftlich aus, haſt du denn<lb/>
keinen Donner mehr? und <hirendition="#g">wenn</hi> es auch nur um einer Klei-<lb/>
nigkeit willen iſt, ſchick’ einen, zum Zeichen!“</p><lb/><dateline><hirendition="#et">1821.</hi></dateline></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Freitag, den 22. Juni 1821.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#et">Sehr kalt. Viele Leute heizen ein; ſtarker Regen.</hi></p><lb/><p>Labruyere ſagt: <hirendition="#aq">Il n’y a rien qui rafraîchisse le sang<lb/>
comme d’avoir su éviter une sottise.</hi> Buchſtäblich wahr; in-<lb/>
dem man eine Thorheit begeht, weiß man es ſchon; erhitzt<lb/>
führt man ſie ſchon aus, und das Bewußtſein, es iſt eine<lb/>
Thorheit, erhitzt noch mehr: und nachher die glückliche Erho-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[44/0052]
bles. — Zeit entſteht nur, wenn vor ihr nichts war. Für et-
was, das immer da war, giebt’s keine Zeit. Sie iſt alſo ent-
weder eine Illuſion, oder wir müſſen erfahren, wie wir nichts
waren: wodurch wir zum Bewußtſein kamen. Raum iſt Satz
der Zeit: iſt die für’s Geſchehene: iſt die zu Stamm gewor-
dene Illuſion. Zeit, werdende Blätter und Zweige davon.
Handlen, beider Prinzip. Handlen aber, iſt Exiſtenz bekom-
men: hieſige. Alles in den Bedingungen unſerer Konzeption. —
Mittwoch, den 20. Juni 1821.
(Mündlich.)
„Ich mache zwar keine Prätenſionen, aber ich habe
darum nicht wenigere.“
Bei einem Streit über eine ganz unbedeutende Sache,
wo aber die auffallendſte Verkehrtheit ſich geltend machen
wollte: „Gott! rief Rahel leidenſchaftlich aus, haſt du denn
keinen Donner mehr? und wenn es auch nur um einer Klei-
nigkeit willen iſt, ſchick’ einen, zum Zeichen!“
1821.
Freitag, den 22. Juni 1821.
Sehr kalt. Viele Leute heizen ein; ſtarker Regen.
Labruyere ſagt: Il n’y a rien qui rafraîchisse le sang
comme d’avoir su éviter une sottise. Buchſtäblich wahr; in-
dem man eine Thorheit begeht, weiß man es ſchon; erhitzt
führt man ſie ſchon aus, und das Bewußtſein, es iſt eine
Thorheit, erhitzt noch mehr: und nachher die glückliche Erho-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/52>, abgerufen am 29.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.