Sie mir meiner Bühnenleidenschaft nachzusenden; was dem Bühnengeheimerath davon gebührt, nehme er hin.
Theure Auguste: was soll man wohl jetzt anders sagen, als was wir immer denken müssen: daß der Tod ein Moment, ein Hauptmoment des Lebens ist: daß dies ein Räthselgeschenk ist; Gottes tiefstes Geheimniß; weil es auch den Grund un- serer Erschaffniß enthält; seiner Tiefe nach, auch die größte Beruhigung. Bin ich doch gut, und vernunftbedürftig: wie muß sich das bei höhern Geistern steigern: ich unterwerfe mich in Neugierde -- im höchsten Sinne -- und im Mangel des Vorstellungsvermögens. Welcher Mangel, bei unsern andern, eine schöne gnädige Gabe ist. Sonst wär' ich lange vor Cho- lera-Furcht in Krämpfen todt. Dieser Tod, an sich, ist nur der Eine, und der selbe: aber die Anstalten, die Leiden, der Unglücks aufruhr! -- Fest war ich entschlossen hier zu blei- ben, gab jede Reise auf, und tauchte in Gedankenlosigkeit, und des Tags Gewöhnlichkeit -- Wellen genug! -- unter. Aber da sie rückt und rückt; und so auch die Vorkehrungen; und mein Arzt sie wird behandlen müssen: und alle Leidende abgesperrt werden sollen; nur die Ärzte nicht von ihren Fa- milien: so weiß ich doch nicht: ob ich nicht in wenigen Tagen mit meiner Nichte und den Kindern nach Baden gehe. Varnh. will nicht mit: er kann nicht. -- Nun denken Sie sich mich. Ich hoffe auf Wunder; habe ich doch schon welche erlebt. Ja, theure Auguste! "Ruhe" tritt im äußern Leben nicht ein: und wie kindisch von uns, dies nicht durch einen gründlichen Ge- danken einzusehn, und bis sechszig -- ich -- auf ein Aparte'chen für sich zu hoffen, arbeiten, denken! Ruhe können wir nur
Sie mir meiner Bühnenleidenſchaft nachzuſenden; was dem Bühnengeheimerath davon gebührt, nehme er hin.
Theure Auguſte: was ſoll man wohl jetzt anders ſagen, als was wir immer denken müſſen: daß der Tod ein Moment, ein Hauptmoment des Lebens iſt: daß dies ein Räthſelgeſchenk iſt; Gottes tiefſtes Geheimniß; weil es auch den Grund un- ſerer Erſchaffniß enthält; ſeiner Tiefe nach, auch die größte Beruhigung. Bin ich doch gut, und vernunftbedürftig: wie muß ſich das bei höhern Geiſtern ſteigern: ich unterwerfe mich in Neugierde — im höchſten Sinne — und im Mangel des Vorſtellungsvermögens. Welcher Mangel, bei unſern andern, eine ſchöne gnädige Gabe iſt. Sonſt wär’ ich lange vor Cho- lera-Furcht in Krämpfen todt. Dieſer Tod, an ſich, iſt nur der Eine, und der ſelbe: aber die Anſtalten, die Leiden, der Unglücks aufruhr! — Feſt war ich entſchloſſen hier zu blei- ben, gab jede Reiſe auf, und tauchte in Gedankenloſigkeit, und des Tags Gewöhnlichkeit — Wellen genug! — unter. Aber da ſie rückt und rückt; und ſo auch die Vorkehrungen; und mein Arzt ſie wird behandlen müſſen: und alle Leidende abgeſperrt werden ſollen; nur die Ärzte nicht von ihren Fa- milien: ſo weiß ich doch nicht: ob ich nicht in wenigen Tagen mit meiner Nichte und den Kindern nach Baden gehe. Varnh. will nicht mit: er kann nicht. — Nun denken Sie ſich mich. Ich hoffe auf Wunder; habe ich doch ſchon welche erlebt. Ja, theure Auguſte! „Ruhe“ tritt im äußern Leben nicht ein: und wie kindiſch von uns, dies nicht durch einen gründlichen Ge- danken einzuſehn, und bis ſechszig — ich — auf ein Aparte’chen für ſich zu hoffen, arbeiten, denken! Ruhe können wir nur
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Sie mir meiner Bühnenleidenſchaft nachzuſenden; was dem
Bühnengeheimerath davon gebührt, nehme er hin.
Theure Auguſte: was ſoll man wohl jetzt anders ſagen,
als was wir immer denken müſſen: daß der Tod ein Moment,
ein Hauptmoment des Lebens iſt: daß dies ein Räthſelgeſchenk
iſt; Gottes tiefſtes Geheimniß; weil es auch den Grund un-
ſerer Erſchaffniß enthält; ſeiner Tiefe nach, auch die größte
Beruhigung. Bin ich doch gut, und vernunftbedürftig: wie
muß ſich das bei höhern Geiſtern ſteigern: ich unterwerfe mich
in Neugierde — im höchſten Sinne — und im Mangel des
Vorſtellungsvermögens. Welcher Mangel, bei unſern andern,
eine ſchöne gnädige Gabe iſt. Sonſt wär’ ich lange vor Cho-
lera-Furcht in Krämpfen todt. Dieſer Tod, an ſich, iſt nur
der Eine, und der ſelbe: aber die Anſtalten, die Leiden, der
Unglücks aufruhr! — Feſt war ich entſchloſſen hier zu blei-
ben, gab jede Reiſe auf, und tauchte in Gedankenloſigkeit,
und des Tags Gewöhnlichkeit — Wellen genug! — unter.
Aber da ſie rückt und rückt; und ſo auch die Vorkehrungen;
und mein Arzt ſie wird behandlen müſſen: und alle Leidende
abgeſperrt werden ſollen; nur die Ärzte nicht von ihren Fa-
milien: ſo weiß ich doch nicht: ob ich nicht in wenigen Tagen
mit meiner Nichte und den Kindern nach Baden gehe. Varnh.
will nicht mit: er kann nicht. — Nun denken Sie ſich mich.
Ich hoffe auf Wunder; habe ich doch ſchon welche erlebt. Ja,
theure Auguſte! „Ruhe“ tritt im äußern Leben nicht ein: und
wie kindiſch von uns, dies nicht durch einen gründlichen Ge-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/513>, abgerufen am 22.11.2024.
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