schaffenen Manier; und diese grade möchte ich eine deutsche nennen. Die positive -- was man gewöhnlich so nennt, ist eine Gruppe Fehler, und Verneinungen des wirklichen Ge- sangs -- sie ist neu darin; sie drückt das Gefühl der De- vrient, ihr individuelles Empfinden aus; in langen, geschliffe- nen, ineinanderfließenden, in solchem Augenblick klarwer- denden Tönen aus. Sehr schöne Momente: die unapplaudirt vorübergingen, aber nicht ihr in Frankreich gelerntes Los- schreien! -- Dieser schönen Momente wegen will ich sie mor- gen in Fidelio hören. Ihre Stimme hat Umfang, Tiefe, und Höhe, aber keinen Klang; ist aber lang hinlänglich: sie macht alles, was mit der Kehle gefordert wird, aber es ist nur ge- lungen, wenn es eben erreicht worden; vorher, bin ich nie froh: es gemahnte mich, wie eine Stahlkugel, die ein Künst- ler immer den Berg hinaufzurollen vermag; aber man sieht zu, ob es gelingt: er fehlt nie. Sie hat großen Beifall; und verdient ihn; singt aber zu hideuse Weber'sche, und der- gleichen Dinge bis jetzt. Ich würde an den Pranger gestellt, wenn dies meine deutschen Berliner läsen!!!
Wir leben hier in meinem Haufe wie Sie's kennen, lie- bes Fräulein! Viel zu Hause, viel mit unsren Freunden, die Sie alle grüßen wollen. F. will sich Ihnen besonders em- pfohlen wissen! oft sehe ich ihn viel, oft längere Zeit nicht: er bindet sich in nichts gerne! -- Vielleicht schreibt er Ihnen einige Zeilen. Fräulein S. will, daß ich sie Ihnen besonders nenne. Wir lieben Sie Alle! Schreiben Sie mir auch ja wieder! -- Meine Kinder toben bei mir: und wollen auch die schöne Heinefetter grüßen: so nennt Sie Elischen. Ich
ſchaffenen Manier; und dieſe grade möchte ich eine deutſche nennen. Die poſitive — was man gewöhnlich ſo nennt, iſt eine Gruppe Fehler, und Verneinungen des wirklichen Ge- ſangs — ſie iſt neu darin; ſie drückt das Gefühl der De- vrient, ihr individuelles Empfinden aus; in langen, geſchliffe- nen, ineinanderfließenden, in ſolchem Augenblick klarwer- denden Tönen aus. Sehr ſchöne Momente: die unapplaudirt vorübergingen, aber nicht ihr in Frankreich gelerntes Los- ſchreien! — Dieſer ſchönen Momente wegen will ich ſie mor- gen in Fidelio hören. Ihre Stimme hat Umfang, Tiefe, und Höhe, aber keinen Klang; iſt aber lang hinlänglich: ſie macht alles, was mit der Kehle gefordert wird, aber es iſt nur ge- lungen, wenn es eben erreicht worden; vorher, bin ich nie froh: es gemahnte mich, wie eine Stahlkugel, die ein Künſt- ler immer den Berg hinaufzurollen vermag; aber man ſieht zu, ob es gelingt: er fehlt nie. Sie hat großen Beifall; und verdient ihn; ſingt aber zu hideuſe Weber'ſche, und der- gleichen Dinge bis jetzt. Ich würde an den Pranger geſtellt, wenn dies meine deutſchen Berliner läſen!!!
Wir leben hier in meinem Haufe wie Sie’s kennen, lie- bes Fräulein! Viel zu Hauſe, viel mit unſren Freunden, die Sie alle grüßen wollen. F. will ſich Ihnen beſonders em- pfohlen wiſſen! oft ſehe ich ihn viel, oft längere Zeit nicht: er bindet ſich in nichts gerne! — Vielleicht ſchreibt er Ihnen einige Zeilen. Fräulein S. will, daß ich ſie Ihnen beſonders nenne. Wir lieben Sie Alle! Schreiben Sie mir auch ja wieder! — Meine Kinder toben bei mir: und wollen auch die ſchöne Heinefetter grüßen: ſo nennt Sie Elischen. Ich
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ſchaffenen Manier; und dieſe grade möchte ich eine deutſche
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eine Gruppe Fehler, und Verneinungen des wirklichen Ge-
ſangs — ſie iſt neu darin; ſie drückt das Gefühl der De-
vrient, ihr individuelles Empfinden aus; in langen, geſchliffe-
nen, ineinanderfließenden, in ſolchem Augenblick klarwer-
denden Tönen aus. Sehr ſchöne Momente: die unapplaudirt
vorübergingen, aber nicht ihr in Frankreich gelerntes Los-
ſchreien! — Dieſer ſchönen Momente wegen will ich ſie mor-
gen in Fidelio hören. Ihre Stimme hat Umfang, Tiefe, und
Höhe, aber keinen Klang; iſt aber lang hinlänglich: ſie macht
alles, was mit der Kehle gefordert wird, aber es iſt nur ge-
lungen, wenn es eben erreicht worden; vorher, bin ich nie
froh: es gemahnte mich, wie eine Stahlkugel, die ein Künſt-
ler immer den Berg hinaufzurollen vermag; aber man ſieht
zu, ob es gelingt: er fehlt nie. Sie hat großen Beifall;
und verdient ihn; ſingt aber zu hideuſe Weber'ſche, und der-
gleichen Dinge bis jetzt. Ich würde an den Pranger geſtellt,
wenn dies meine deutſchen Berliner läſen!!!
Wir leben hier in meinem Haufe wie Sie’s kennen, lie-
bes Fräulein! Viel zu Hauſe, viel mit unſren Freunden, die
Sie alle grüßen wollen. F. will ſich Ihnen beſonders em-
pfohlen wiſſen! oft ſehe ich ihn viel, oft längere Zeit nicht:
er bindet ſich in nichts gerne! — Vielleicht ſchreibt er Ihnen
einige Zeilen. Fräulein S. will, daß ich ſie Ihnen beſonders
nenne. Wir lieben Sie Alle! Schreiben Sie mir auch ja
wieder! — Meine Kinder toben bei mir: und wollen auch
die ſchöne Heinefetter grüßen: ſo nennt Sie Elischen. Ich
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/485>, abgerufen am 24.11.2024.
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