Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite
An Gentz, in Wien.


Feiner Regen in dunstigem Wetter.

Gestern Vormittag, Sie Glücklicher, erhielt ich Ihren
großen Brief aus Preßburg, -- mir aber keineswegs groß ge-
nug. Schnell las ich ihn; weil ich seine Einlage gern auf
der Stelle abgeschickt hätte; behielt aber doch noch so viel
Besinnung, meinen Brief erst zu endigen, da er doch Bedin-
gungen hätte enthalten können, unter welchen ich ihn nur
abzugeben gehabt hätte. Ich zog mich fertig an; und ging
selbst; -- und ich ging gestern triumphirend seit einigen Jah-
ren wieder zum fünftenmal in der Stadt zu Fuß. -- Ich ließ
sie auf einen Augenblick zu mir herunter bitten; -- sie war
nicht da --, ich ließ sie das Nöthige wissen. -- Da ich sie
nun nicht gesehn habe, so will ich von Kleinigkeiten sprechen,
das heißt, von andrem.

Auch ich, theurer Schmeichelfähiger! habe Ihre Diktums
nicht vergessen, und wiederhole sie wohl täglich -- O! welch
amüsanten Busen führ' ich in mir. Das Lebenstheater darin
wird immer reicher; nichts vergeht, weil es lange her ist! --
Mein Schreiben gliche öfters frischen aromatischen Erdbeeren,
an denen aber noch Sand und Wurzlen hingen: sagten Sie
einmal; dem bin ich eingeständig. Und nichtsdestoweniger halte
ich mich für einen der ersten Kritiker Deutschlands. -- Schauen
Sie doch auch in meinen tiefsten Busen; ich scheue mich nicht,
die Eitelkeit zu zeigen, die ich hege; höchstens ist sie ein Irr-
thum; und dem kann widersprochen werden. -- Eins muß ich

An Gentz, in Wien.


Feiner Regen in dunſtigem Wetter.

Geſtern Vormittag, Sie Glücklicher, erhielt ich Ihren
großen Brief aus Preßburg, — mir aber keineswegs groß ge-
nug. Schnell las ich ihn; weil ich ſeine Einlage gern auf
der Stelle abgeſchickt hätte; behielt aber doch noch ſo viel
Beſinnung, meinen Brief erſt zu endigen, da er doch Bedin-
gungen hätte enthalten können, unter welchen ich ihn nur
abzugeben gehabt hätte. Ich zog mich fertig an; und ging
ſelbſt; — und ich ging geſtern triumphirend ſeit einigen Jah-
ren wieder zum fünftenmal in der Stadt zu Fuß. — Ich ließ
ſie auf einen Augenblick zu mir herunter bitten; — ſie war
nicht da —, ich ließ ſie das Nöthige wiſſen. — Da ich ſie
nun nicht geſehn habe, ſo will ich von Kleinigkeiten ſprechen,
das heißt, von andrem.

Auch ich, theurer Schmeichelfähiger! habe Ihre Diktums
nicht vergeſſen, und wiederhole ſie wohl täglich — O! welch
amüſanten Buſen führ’ ich in mir. Das Lebenstheater darin
wird immer reicher; nichts vergeht, weil es lange her iſt! —
Mein Schreiben gliche öfters friſchen aromatiſchen Erdbeeren,
an denen aber noch Sand und Wurzlen hingen: ſagten Sie
einmal; dem bin ich eingeſtändig. Und nichtsdeſtoweniger halte
ich mich für einen der erſten Kritiker Deutſchlands. — Schauen
Sie doch auch in meinen tiefſten Buſen; ich ſcheue mich nicht,
die Eitelkeit zu zeigen, die ich hege; höchſtens iſt ſie ein Irr-
thum; und dem kann widerſprochen werden. — Eins muß ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0464" n="456"/>
        <div n="2">
          <head>An Gentz, in Wien.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Dienstag 10 Uhr Morgens, den 26. Oktober 1830.</hi> </dateline><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">Feiner Regen in dun&#x017F;tigem Wetter.</hi> </p><lb/>
          <p>Ge&#x017F;tern Vormittag, Sie Glücklicher, erhielt ich Ihren<lb/>
großen Brief aus Preßburg, &#x2014; mir aber keineswegs groß ge-<lb/>
nug. Schnell las ich ihn; weil ich &#x017F;eine Einlage gern auf<lb/>
der Stelle abge&#x017F;chickt hätte; behielt aber doch noch &#x017F;o viel<lb/>
Be&#x017F;innung, meinen Brief er&#x017F;t zu endigen, da er doch Bedin-<lb/>
gungen hätte enthalten können, unter welchen ich ihn nur<lb/>
abzugeben gehabt hätte. Ich zog mich fertig an; und ging<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t; &#x2014; und ich ging ge&#x017F;tern triumphirend &#x017F;eit einigen Jah-<lb/>
ren wieder zum fünftenmal in der Stadt zu Fuß. &#x2014; Ich ließ<lb/>
&#x017F;ie auf einen Augenblick zu mir herunter bitten; &#x2014; &#x017F;ie war<lb/>
nicht da &#x2014;, ich ließ &#x017F;ie das Nöthige wi&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; Da ich &#x017F;ie<lb/>
nun nicht ge&#x017F;ehn habe, &#x017F;o will ich von Kleinigkeiten &#x017F;prechen,<lb/>
das heißt, von andrem.</p><lb/>
          <p>Auch ich, theurer Schmeichelfähiger! habe Ihre Diktums<lb/>
nicht verge&#x017F;&#x017F;en, und wiederhole &#x017F;ie wohl täglich &#x2014; O! welch<lb/>
amü&#x017F;anten Bu&#x017F;en führ&#x2019; ich in mir. Das Lebenstheater darin<lb/>
wird immer reicher; nichts vergeht, weil es lange her i&#x017F;t! &#x2014;<lb/>
Mein Schreiben gliche öfters fri&#x017F;chen aromati&#x017F;chen Erdbeeren,<lb/>
an denen aber noch Sand und Wurzlen hingen: &#x017F;agten Sie<lb/>
einmal; dem bin ich einge&#x017F;tändig. Und nichtsde&#x017F;toweniger halte<lb/>
ich mich für einen der er&#x017F;ten Kritiker Deut&#x017F;chlands. &#x2014; Schauen<lb/><hi rendition="#g">Sie</hi> doch <hi rendition="#g">auch</hi> in meinen tief&#x017F;ten Bu&#x017F;en; ich &#x017F;cheue mich nicht,<lb/>
die Eitelkeit zu zeigen, die ich hege; höch&#x017F;tens i&#x017F;t &#x017F;ie ein Irr-<lb/>
thum; und dem kann wider&#x017F;prochen werden. &#x2014; Eins muß ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[456/0464] An Gentz, in Wien. Dienstag 10 Uhr Morgens, den 26. Oktober 1830. Feiner Regen in dunſtigem Wetter. Geſtern Vormittag, Sie Glücklicher, erhielt ich Ihren großen Brief aus Preßburg, — mir aber keineswegs groß ge- nug. Schnell las ich ihn; weil ich ſeine Einlage gern auf der Stelle abgeſchickt hätte; behielt aber doch noch ſo viel Beſinnung, meinen Brief erſt zu endigen, da er doch Bedin- gungen hätte enthalten können, unter welchen ich ihn nur abzugeben gehabt hätte. Ich zog mich fertig an; und ging ſelbſt; — und ich ging geſtern triumphirend ſeit einigen Jah- ren wieder zum fünftenmal in der Stadt zu Fuß. — Ich ließ ſie auf einen Augenblick zu mir herunter bitten; — ſie war nicht da —, ich ließ ſie das Nöthige wiſſen. — Da ich ſie nun nicht geſehn habe, ſo will ich von Kleinigkeiten ſprechen, das heißt, von andrem. Auch ich, theurer Schmeichelfähiger! habe Ihre Diktums nicht vergeſſen, und wiederhole ſie wohl täglich — O! welch amüſanten Buſen führ’ ich in mir. Das Lebenstheater darin wird immer reicher; nichts vergeht, weil es lange her iſt! — Mein Schreiben gliche öfters friſchen aromatiſchen Erdbeeren, an denen aber noch Sand und Wurzlen hingen: ſagten Sie einmal; dem bin ich eingeſtändig. Und nichtsdeſtoweniger halte ich mich für einen der erſten Kritiker Deutſchlands. — Schauen Sie doch auch in meinen tiefſten Buſen; ich ſcheue mich nicht, die Eitelkeit zu zeigen, die ich hege; höchſtens iſt ſie ein Irr- thum; und dem kann widerſprochen werden. — Eins muß ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/464
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/464>, abgerufen am 26.11.2024.