noch zu hülfbedürftig nach meiner großen Krankheit. -- -- Amüsant ist's jetzt nicht bei mir: bloß sehr gute, gut gepflegte Luft, offene Zimmer, Blumen. Menschen sehe ich wenig: sie haben sich's während meiner Krankheit und Konvaleszenz ab- gewöhnen müssen; und leicht geschieht solches. Doch hatte ich acht Tage eine Freundin vom Lande, Fräulein von Brandt, aus unserm Sachsen, aus Schmerwitz bei Kroppstädt, bei mir. Sie blieb acht Tage -- zu Pfingsten -- und es war mir ganz bange, als sie weg war; komplet gebildet -- nicht nachspre- chend, eingelernt, verständig, vernünftig, lesend, urtheilend, praktisch auf dem Lande bei dem begüterten Bruder thätig; die Güte, Ein- und Nachsicht selbst; zu schweigsam für den innern Vorrath. Sanft, nicht ganz jung; war sehr hübsch. Generalin Zielinski ist auch zur Brunnenkur hier: ich sehe sie viel: sie fährt öfters mit uns aus: ich alle Tage, da ich nicht weit gehen kann, aus muß, soll, und will. Auch werde ich wohl noch eine Reise machen müssen nach einem Bade. Nicht Muskau ist mir verordnet! -- So lenkt Gott alles nach seinem Willen, und gewiß am besten. So denken Sie ja fest, und fromm. Ich habe sehr dem Himmel zu danken, nicht nur für mein Genesen, sondern für die guten Gedanken, die mir Gott erlaubte in meiner höchsten Noth: in unleid- lichen Zuständen; sechszehn Tage und Nächte ohne Luft. V. und Dore stehend mich gehalten. Jetzt weiß nur Gott, was ich litt: in der Krankheit nur zwei; Er, und ich, die einzige Kreatur; kein Arzt, kein Pfleger, trotz daß sie vergehen wollten! meine Seele ist zu klein und schwach, dergleichen zu behalten. Auch ist es unnatürlich: unser Organismus ist
noch zu hülfbedürftig nach meiner großen Krankheit. — — Amüſant iſt’s jetzt nicht bei mir: bloß ſehr gute, gut gepflegte Luft, offene Zimmer, Blumen. Menſchen ſehe ich wenig: ſie haben ſich’s während meiner Krankheit und Konvaleszenz ab- gewöhnen müſſen; und leicht geſchieht ſolches. Doch hatte ich acht Tage eine Freundin vom Lande, Fräulein von Brandt, aus unſerm Sachſen, aus Schmerwitz bei Kroppſtädt, bei mir. Sie blieb acht Tage — zu Pfingſten — und es war mir ganz bange, als ſie weg war; komplet gebildet — nicht nachſpre- chend, eingelernt, verſtändig, vernünftig, leſend, urtheilend, praktiſch auf dem Lande bei dem begüterten Bruder thätig; die Güte, Ein- und Nachſicht ſelbſt; zu ſchweigſam für den innern Vorrath. Sanft, nicht ganz jung; war ſehr hübſch. Generalin Zielinski iſt auch zur Brunnenkur hier: ich ſehe ſie viel: ſie fährt öfters mit uns aus: ich alle Tage, da ich nicht weit gehen kann, aus muß, ſoll, und will. Auch werde ich wohl noch eine Reiſe machen müſſen nach einem Bade. Nicht Muskau iſt mir verordnet! — So lenkt Gott alles nach ſeinem Willen, und gewiß am beſten. So denken Sie ja feſt, und fromm. Ich habe ſehr dem Himmel zu danken, nicht nur für mein Geneſen, ſondern für die guten Gedanken, die mir Gott erlaubte in meiner höchſten Noth: in unleid- lichen Zuſtänden; ſechszehn Tage und Nächte ohne Luft. V. und Dore ſtehend mich gehalten. Jetzt weiß nur Gott, was ich litt: in der Krankheit nur zwei; Er, und ich, die einzige Kreatur; kein Arzt, kein Pfleger, trotz daß ſie vergehen wollten! meine Seele iſt zu klein und ſchwach, dergleichen zu behalten. Auch iſt es unnatürlich: unſer Organismus iſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0401"n="393"/>
noch zu hülfbedürftig nach meiner großen Krankheit. ——<lb/>
Amüſant iſt’s jetzt nicht bei mir: bloß ſehr gute, gut gepflegte<lb/>
Luft, offene Zimmer, Blumen. Menſchen ſehe ich wenig: ſie<lb/>
haben ſich’s während meiner Krankheit und Konvaleszenz ab-<lb/>
gewöhnen müſſen; und leicht geſchieht ſolches. Doch hatte ich<lb/>
acht Tage eine Freundin vom Lande, Fräulein von Brandt,<lb/>
aus unſerm Sachſen, aus Schmerwitz bei Kroppſtädt, bei mir.<lb/>
Sie blieb acht Tage — zu Pfingſten — und es war mir ganz<lb/>
bange, als ſie weg war; komplet gebildet — nicht nachſpre-<lb/>
chend, eingelernt, verſtändig, vernünftig, leſend, urtheilend,<lb/>
praktiſch auf dem Lande bei dem begüterten Bruder thätig;<lb/>
die Güte, Ein- und Nachſicht <hirendition="#g">ſelbſt</hi>; zu ſchweigſam für den<lb/>
innern Vorrath. Sanft, nicht ganz jung; war <hirendition="#g">ſehr</hi> hübſch.<lb/>
Generalin Zielinski iſt auch zur Brunnenkur hier: ich ſehe<lb/>ſie viel: ſie fährt öfters mit uns aus: ich alle Tage, da ich<lb/>
nicht weit gehen kann, aus muß, ſoll, und will. Auch werde<lb/>
ich wohl noch eine Reiſe machen müſſen nach einem Bade.<lb/>
Nicht Muskau iſt mir verordnet! — So lenkt Gott alles<lb/>
nach ſeinem Willen, und gewiß am beſten. So denken Sie<lb/>
ja feſt, und fromm. Ich habe ſehr dem Himmel zu danken,<lb/>
nicht nur für mein Geneſen, ſondern für die guten Gedanken,<lb/>
die mir Gott erlaubte in meiner höchſten Noth: in <hirendition="#g">unleid-<lb/>
lichen</hi> Zuſtänden; ſechszehn Tage und Nächte ohne Luft. V.<lb/>
und Dore ſtehend mich gehalten. Jetzt weiß nur Gott, was<lb/>
ich litt: in der Krankheit nur zwei; Er, und ich, die einzige<lb/>
Kreatur; kein Arzt, kein Pfleger, trotz daß ſie <hirendition="#g">vergehen</hi><lb/>
wollten! <hirendition="#g">meine</hi> Seele iſt zu klein und ſchwach, dergleichen<lb/>
zu behalten. Auch iſt es unnatürlich: unſer Organismus iſt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[393/0401]
noch zu hülfbedürftig nach meiner großen Krankheit. — —
Amüſant iſt’s jetzt nicht bei mir: bloß ſehr gute, gut gepflegte
Luft, offene Zimmer, Blumen. Menſchen ſehe ich wenig: ſie
haben ſich’s während meiner Krankheit und Konvaleszenz ab-
gewöhnen müſſen; und leicht geſchieht ſolches. Doch hatte ich
acht Tage eine Freundin vom Lande, Fräulein von Brandt,
aus unſerm Sachſen, aus Schmerwitz bei Kroppſtädt, bei mir.
Sie blieb acht Tage — zu Pfingſten — und es war mir ganz
bange, als ſie weg war; komplet gebildet — nicht nachſpre-
chend, eingelernt, verſtändig, vernünftig, leſend, urtheilend,
praktiſch auf dem Lande bei dem begüterten Bruder thätig;
die Güte, Ein- und Nachſicht ſelbſt; zu ſchweigſam für den
innern Vorrath. Sanft, nicht ganz jung; war ſehr hübſch.
Generalin Zielinski iſt auch zur Brunnenkur hier: ich ſehe
ſie viel: ſie fährt öfters mit uns aus: ich alle Tage, da ich
nicht weit gehen kann, aus muß, ſoll, und will. Auch werde
ich wohl noch eine Reiſe machen müſſen nach einem Bade.
Nicht Muskau iſt mir verordnet! — So lenkt Gott alles
nach ſeinem Willen, und gewiß am beſten. So denken Sie
ja feſt, und fromm. Ich habe ſehr dem Himmel zu danken,
nicht nur für mein Geneſen, ſondern für die guten Gedanken,
die mir Gott erlaubte in meiner höchſten Noth: in unleid-
lichen Zuſtänden; ſechszehn Tage und Nächte ohne Luft. V.
und Dore ſtehend mich gehalten. Jetzt weiß nur Gott, was
ich litt: in der Krankheit nur zwei; Er, und ich, die einzige
Kreatur; kein Arzt, kein Pfleger, trotz daß ſie vergehen
wollten! meine Seele iſt zu klein und ſchwach, dergleichen
zu behalten. Auch iſt es unnatürlich: unſer Organismus iſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/401>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.