hält -- wird sie Einmal in etwas anderm bestehn. Pöbel selbst wird geläuterte Ansprüche haben; weil keine so unmenschliche pöbelhafte Einsprüche von Rechts wegen mehr werden ge- macht werden.
1828.
Gestern den 25. Februar dachte ich morgens in meinem Bette an Frau von *, weil ich sie nur approbiren kann, und ich doch so sonderbare Eindrücke von ihr erhalten hatte; so, daß ich nicht einschlafen konnte, nachdem ich sie gesehen hatte. Immer stand mir ihr Gesicht vor meinen geschlossenen Augen; ja, ich versuchte mir anderer Menschen Gesicht vorzustellen, und es ging nicht: immer kam ihres wieder. (Par parenthese! ist mir dies nie mit einem Geliebten geschehn: was doch so häufig erzählt und als so bekannt angenommen wird. Äuße- rungen, Arten, Unarten, die konnten mich wohl halbe Nächte und Tage beschäftigen.) Ich will mir den Eindruck hier auf- schreiben, um ihn in Zukunft an meiner Kenntniß ihrer zu prüfen. Jetzt gefällt mir alles, was sie sagt und äußert, sehr wohl: sie hat durchaus einen bearbeiteten Kopf -- seltenstes Begegniß! -- ist geübt in Dialogen mit sich selbst; und noch obenein sehr gebildet und gewandt im Ausdruck, ohne im mindesten affektirt dadurch zu sein, oder an Nachdruck verloren zu haben; zeigt im Gespräch sich reich in Beziehungen, und Wendung von einem Gegenstand des Denkens auf den an- dern. Ist gerne wahr; denn sie ist es leicht, wo sie sieht, daß es angebracht ist; belebt und belebend, und gewiß noch fähiger, als schon ausgebildet. Mit Einem Wort! ich weiß
hält — wird ſie Einmal in etwas anderm beſtehn. Pöbel ſelbſt wird geläuterte Anſprüche haben; weil keine ſo unmenſchliche pöbelhafte Einſprüche von Rechts wegen mehr werden ge- macht werden.
1828.
Geſtern den 25. Februar dachte ich morgens in meinem Bette an Frau von *, weil ich ſie nur approbiren kann, und ich doch ſo ſonderbare Eindrücke von ihr erhalten hatte; ſo, daß ich nicht einſchlafen konnte, nachdem ich ſie geſehen hatte. Immer ſtand mir ihr Geſicht vor meinen geſchloſſenen Augen; ja, ich verſuchte mir anderer Menſchen Geſicht vorzuſtellen, und es ging nicht: immer kam ihres wieder. (Par parenthèse! iſt mir dies nie mit einem Geliebten geſchehn: was doch ſo häufig erzählt und als ſo bekannt angenommen wird. Äuße- rungen, Arten, Unarten, die konnten mich wohl halbe Nächte und Tage beſchäftigen.) Ich will mir den Eindruck hier auf- ſchreiben, um ihn in Zukunft an meiner Kenntniß ihrer zu prüfen. Jetzt gefällt mir alles, was ſie ſagt und äußert, ſehr wohl: ſie hat durchaus einen bearbeiteten Kopf — ſeltenſtes Begegniß! — iſt geübt in Dialogen mit ſich ſelbſt; und noch obenein ſehr gebildet und gewandt im Ausdruck, ohne im mindeſten affektirt dadurch zu ſein, oder an Nachdruck verloren zu haben; zeigt im Geſpräch ſich reich in Beziehungen, und Wendung von einem Gegenſtand des Denkens auf den an- dern. Iſt gerne wahr; denn ſie iſt es leicht, wo ſie ſieht, daß es angebracht iſt; belebt und belebend, und gewiß noch fähiger, als ſchon ausgebildet. Mit Einem Wort! ich weiß
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0330"n="322"/>
hält — wird ſie Einmal in etwas anderm beſtehn. Pöbel ſelbſt<lb/>
wird geläuterte Anſprüche haben; weil keine ſo unmenſchliche<lb/>
pöbelhafte Einſprüche von Rechts wegen mehr werden ge-<lb/>
macht werden.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">1828.</hi></dateline><lb/><p>Geſtern den 25. Februar dachte ich morgens in meinem<lb/>
Bette an Frau von *, weil ich ſie nur approbiren kann, und<lb/>
ich doch ſo ſonderbare Eindrücke von ihr erhalten hatte; ſo,<lb/>
daß ich nicht einſchlafen konnte, nachdem ich ſie geſehen hatte.<lb/>
Immer ſtand mir ihr Geſicht vor meinen geſchloſſenen Augen;<lb/>
ja, ich verſuchte mir anderer Menſchen Geſicht vorzuſtellen,<lb/>
und es ging nicht: immer kam ihres wieder. (<hirendition="#aq">Par parenthèse!</hi><lb/>
iſt mir dies nie mit einem Geliebten geſchehn: was doch ſo<lb/>
häufig erzählt und als ſo bekannt angenommen wird. Äuße-<lb/>
rungen, Arten, Unarten, die konnten mich wohl halbe Nächte<lb/>
und Tage beſchäftigen.) Ich will mir den Eindruck hier auf-<lb/>ſchreiben, um ihn in Zukunft an meiner Kenntniß ihrer zu<lb/>
prüfen. Jetzt gefällt mir alles, was ſie ſagt und äußert, ſehr<lb/>
wohl: ſie hat durchaus einen bearbeiteten Kopf —ſeltenſtes<lb/>
Begegniß! — iſt geübt in Dialogen mit ſich ſelbſt; und noch<lb/>
obenein ſehr gebildet und gewandt im Ausdruck, ohne im<lb/>
mindeſten affektirt dadurch zu ſein, oder an Nachdruck verloren<lb/>
zu haben; zeigt im Geſpräch ſich reich in Beziehungen, und<lb/>
Wendung von einem Gegenſtand des Denkens auf den an-<lb/>
dern. Iſt gerne wahr; denn ſie iſt es leicht, wo ſie ſieht,<lb/>
daß es angebracht iſt; belebt und belebend, und gewiß noch<lb/>
fähiger, als ſchon ausgebildet. Mit Einem Wort! ich weiß<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[322/0330]
hält — wird ſie Einmal in etwas anderm beſtehn. Pöbel ſelbſt
wird geläuterte Anſprüche haben; weil keine ſo unmenſchliche
pöbelhafte Einſprüche von Rechts wegen mehr werden ge-
macht werden.
1828.
Geſtern den 25. Februar dachte ich morgens in meinem
Bette an Frau von *, weil ich ſie nur approbiren kann, und
ich doch ſo ſonderbare Eindrücke von ihr erhalten hatte; ſo,
daß ich nicht einſchlafen konnte, nachdem ich ſie geſehen hatte.
Immer ſtand mir ihr Geſicht vor meinen geſchloſſenen Augen;
ja, ich verſuchte mir anderer Menſchen Geſicht vorzuſtellen,
und es ging nicht: immer kam ihres wieder. (Par parenthèse!
iſt mir dies nie mit einem Geliebten geſchehn: was doch ſo
häufig erzählt und als ſo bekannt angenommen wird. Äuße-
rungen, Arten, Unarten, die konnten mich wohl halbe Nächte
und Tage beſchäftigen.) Ich will mir den Eindruck hier auf-
ſchreiben, um ihn in Zukunft an meiner Kenntniß ihrer zu
prüfen. Jetzt gefällt mir alles, was ſie ſagt und äußert, ſehr
wohl: ſie hat durchaus einen bearbeiteten Kopf — ſeltenſtes
Begegniß! — iſt geübt in Dialogen mit ſich ſelbſt; und noch
obenein ſehr gebildet und gewandt im Ausdruck, ohne im
mindeſten affektirt dadurch zu ſein, oder an Nachdruck verloren
zu haben; zeigt im Geſpräch ſich reich in Beziehungen, und
Wendung von einem Gegenſtand des Denkens auf den an-
dern. Iſt gerne wahr; denn ſie iſt es leicht, wo ſie ſieht,
daß es angebracht iſt; belebt und belebend, und gewiß noch
fähiger, als ſchon ausgebildet. Mit Einem Wort! ich weiß
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/330>, abgerufen am 01.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.