Auf der Erde kann einem nichts schrecklicher genommen werden, als die Erde, oder diese stückweise; und das ist auch genug.
An Karoline Gräfin von Schlabrendorf, in Dresden.
Freitag, Berlin den 23. November 1827. Vormittag halb 12.
Leichter Schnee auf den Dachern: endlich ohne Wind; nicht zu kalt; ich, seit gestern nur, aus einem erleichternden Fluß- fieber erstanden. Sonst wären Sie mir nicht zuvorgekommen.
Theure Gräfin! Also glauben Sie mir danken zu müssen, wenn ich Virginia einsehe, und erkenne? meine strenge Schul- digkeit thue; wenn mir auch das Fräulein nicht einleuchtete? Und doch weiß ich, wie ein solcher Dank entstehn kann; wir schieben ihn nur vom eigentlichen Orte. Dem Schicksal dan- ken wir in solchem Fall; daß es uns endlich Einmal einen erleben läßt, wo ein Mensch menschlich, nicht wider- und stumpfsinnig, leer und hohl, handelte. So selten ist dem zu begegnen! und darüber, daß es so ist, kein Wort! -- weil alles, was gesagt werden kann, nur dies begründete; denn es hat den tiefsten, und alle Gründe. Ich will Ihnen, treue verehrte Frau, etwas Angenehmes sagen, woraus Sie auch zugleich den Punkt entnehmen können, auf dem wir in Bil- dung, Lebens-, Welt- und Menschenkenntniß stehn. Virginia gefiel uns gleich so, daß wir uns sogar gleiches Alters mit ihr dünkten, und uns gleich so mitten Verkehrs mit ihr fühl- ten, und erkannten, als hätten wir von den vielen Jahren
Sonntag, den 4. November 1827.
Auf der Erde kann einem nichts ſchrecklicher genommen werden, als die Erde, oder dieſe ſtückweiſe; und das iſt auch genug.
An Karoline Gräfin von Schlabrendorf, in Dresden.
Freitag, Berlin den 23. November 1827. Vormittag halb 12.
Leichter Schnee auf den Dachern: endlich ohne Wind; nicht zu kalt; ich, ſeit geſtern nur, aus einem erleichternden Fluß- fieber erſtanden. Sonſt wären Sie mir nicht zuvorgekommen.
Theure Gräfin! Alſo glauben Sie mir danken zu müſſen, wenn ich Virginia einſehe, und erkenne? meine ſtrenge Schul- digkeit thue; wenn mir auch das Fräulein nicht einleuchtete? Und doch weiß ich, wie ein ſolcher Dank entſtehn kann; wir ſchieben ihn nur vom eigentlichen Orte. Dem Schickſal dan- ken wir in ſolchem Fall; daß es uns endlich Einmal einen erleben läßt, wo ein Menſch menſchlich, nicht wider- und ſtumpfſinnig, leer und hohl, handelte. So ſelten iſt dem zu begegnen! und darüber, daß es ſo iſt, kein Wort! — weil alles, was geſagt werden kann, nur dies begründete; denn es hat den tiefſten, und alle Gründe. Ich will Ihnen, treue verehrte Frau, etwas Angenehmes ſagen, woraus Sie auch zugleich den Punkt entnehmen können, auf dem wir in Bil- dung, Lebens-, Welt- und Menſchenkenntniß ſtehn. Virginia gefiel uns gleich ſo, daß wir uns ſogar gleiches Alters mit ihr dünkten, und uns gleich ſo mitten Verkehrs mit ihr fühl- ten, und erkannten, als hätten wir von den vielen Jahren
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Sonntag, den 4. November 1827.
Auf der Erde kann einem nichts ſchrecklicher genommen
werden, als die Erde, oder dieſe ſtückweiſe; und das iſt auch
genug.
An Karoline Gräfin von Schlabrendorf, in Dresden.
Freitag, Berlin den 23. November 1827. Vormittag halb 12.
Leichter Schnee auf den Dachern: endlich ohne Wind; nicht zu
kalt; ich, ſeit geſtern nur, aus einem erleichternden Fluß-
fieber erſtanden. Sonſt wären Sie mir nicht zuvorgekommen.
Theure Gräfin! Alſo glauben Sie mir danken zu müſſen,
wenn ich Virginia einſehe, und erkenne? meine ſtrenge Schul-
digkeit thue; wenn mir auch das Fräulein nicht einleuchtete?
Und doch weiß ich, wie ein ſolcher Dank entſtehn kann; wir
ſchieben ihn nur vom eigentlichen Orte. Dem Schickſal dan-
ken wir in ſolchem Fall; daß es uns endlich Einmal einen
erleben läßt, wo ein Menſch menſchlich, nicht wider- und
ſtumpfſinnig, leer und hohl, handelte. So ſelten iſt dem zu
begegnen! und darüber, daß es ſo iſt, kein Wort! — weil
alles, was geſagt werden kann, nur dies begründete; denn
es hat den tiefſten, und alle Gründe. Ich will Ihnen, treue
verehrte Frau, etwas Angenehmes ſagen, woraus Sie auch
zugleich den Punkt entnehmen können, auf dem wir in Bil-
dung, Lebens-, Welt- und Menſchenkenntniß ſtehn. Virginia
gefiel uns gleich ſo, daß wir uns ſogar gleiches Alters mit
ihr dünkten, und uns gleich ſo mitten Verkehrs mit ihr fühl-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/322>, abgerufen am 25.11.2024.
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