nicht vergehen, und nach unserm Tode noch uns persönlich fühlen, so werden wir verhältnißmäßig doch wieder in einem großen Mangel sein, und wenn auch geistreicher und im gan- zen Dasein beziehungsreicher, so werden wir Größeres im gu- ten und schlimmen Sinne für uns erfahren; dieses unvermeid- lich Schlimme noch gar nicht zu wissen, ist ein Stand der Unschuld: sich mit dieser Unwissenheit begnügen, sich ihrer freuen, heißt diese Unschuld mit Bewußtsein genießen. Diesen Genuß verschafft die Thätigkeit des innren reinen Geistes. Sollte unser Zustand nach dem Tode bloß schlimmer sein, als hier, so gilt dieselbe Betrachtung. --
Dies als einen guten Fund zum Trost, theilte ich vor ein paar Wochen der Frau von B. mit: sie verstand es total nicht: und ich stand als neues Thor verlegen gegen ihr über; sie stellte auch keine weitere Frage an, um sich den Gedanken erklären zu lassen. Ihr tiefer Irrthum bestand darin: daß sie den künftigen Zustand, von welchem die Rede hier ist, nicht als etwas nothwendig zu Erfolgendes anzusehen ver- mochte, und der Voraussetzung eines solchen nicht einmal zu folgen vermochte, sondern sich ihn nur wie jedes andere Un- glück, welches kommen, aber auch wegbleiben kann, zu denken vermochte. Gräfin Walsh, der ich dasselbe in Baden sagte, faßte es gleich, und lachte ganz erhellt wie in [ - 3 Zeichen fehlen] neue Ge- gend hinein: und die W. ist fromm katholisch. Die B. ver- steht sehr wenig. Gar keinen generellen Gedanken; oder seine Anwendung. Ich habe ihr noch mehr über dergleichen vorge- tragen, über Ehen, Völkervorurtheile ganzer Jahrhunderte, sie weiß nichts. Sie kann keinen Irrthum über die Dinge
nicht vergehen, und nach unſerm Tode noch uns perſönlich fühlen, ſo werden wir verhältnißmäßig doch wieder in einem großen Mangel ſein, und wenn auch geiſtreicher und im gan- zen Daſein beziehungsreicher, ſo werden wir Größeres im gu- ten und ſchlimmen Sinne für uns erfahren; dieſes unvermeid- lich Schlimme noch gar nicht zu wiſſen, iſt ein Stand der Unſchuld: ſich mit dieſer Unwiſſenheit begnügen, ſich ihrer freuen, heißt dieſe Unſchuld mit Bewußtſein genießen. Dieſen Genuß verſchafft die Thätigkeit des innren reinen Geiſtes. Sollte unſer Zuſtand nach dem Tode bloß ſchlimmer ſein, als hier, ſo gilt dieſelbe Betrachtung. —
Dies als einen guten Fund zum Troſt, theilte ich vor ein paar Wochen der Frau von B. mit: ſie verſtand es total nicht: und ich ſtand als neues Thor verlegen gegen ihr über; ſie ſtellte auch keine weitere Frage an, um ſich den Gedanken erklären zu laſſen. Ihr tiefer Irrthum beſtand darin: daß ſie den künftigen Zuſtand, von welchem die Rede hier iſt, nicht als etwas nothwendig zu Erfolgendes anzuſehen ver- mochte, und der Vorausſetzung eines ſolchen nicht einmal zu folgen vermochte, ſondern ſich ihn nur wie jedes andere Un- glück, welches kommen, aber auch wegbleiben kann, zu denken vermochte. Gräfin Walſh, der ich daſſelbe in Baden ſagte, faßte es gleich, und lachte ganz erhellt wie in [ – 3 Zeichen fehlen] neue Ge- gend hinein: und die W. iſt fromm katholiſch. Die B. ver- ſteht ſehr wenig. Gar keinen generellen Gedanken; oder ſeine Anwendung. Ich habe ihr noch mehr über dergleichen vorge- tragen, über Ehen, Völkervorurtheile ganzer Jahrhunderte, ſie weiß nichts. Sie kann keinen Irrthum über die Dinge
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nicht vergehen, und nach unſerm Tode noch uns perſönlich
fühlen, ſo werden wir verhältnißmäßig doch wieder in einem
großen Mangel ſein, und wenn auch geiſtreicher und im gan-
zen Daſein beziehungsreicher, ſo werden wir Größeres im gu-
ten und ſchlimmen Sinne für uns erfahren; dieſes unvermeid-
lich Schlimme noch gar nicht zu wiſſen, iſt ein Stand der
Unſchuld: ſich mit dieſer Unwiſſenheit begnügen, ſich ihrer
freuen, heißt dieſe Unſchuld mit Bewußtſein genießen. Dieſen
Genuß verſchafft die Thätigkeit des innren reinen Geiſtes.
Sollte unſer Zuſtand nach dem Tode bloß ſchlimmer ſein, als
hier, ſo gilt dieſelbe Betrachtung. —
Dies als einen guten Fund zum Troſt, theilte ich vor ein
paar Wochen der Frau von B. mit: ſie verſtand es total
nicht: und ich ſtand als neues Thor verlegen gegen ihr über;
ſie ſtellte auch keine weitere Frage an, um ſich den Gedanken
erklären zu laſſen. Ihr tiefer Irrthum beſtand darin: daß
ſie den künftigen Zuſtand, von welchem die Rede hier iſt,
nicht als etwas nothwendig zu Erfolgendes anzuſehen ver-
mochte, und der Vorausſetzung eines ſolchen nicht einmal zu
folgen vermochte, ſondern ſich ihn nur wie jedes andere Un-
glück, welches kommen, aber auch wegbleiben kann, zu denken
vermochte. Gräfin Walſh, der ich daſſelbe in Baden ſagte,
faßte es gleich, und lachte ganz erhellt wie in ___ neue Ge-
gend hinein: und die W. iſt fromm katholiſch. Die B. ver-
ſteht ſehr wenig. Gar keinen generellen Gedanken; oder ſeine
Anwendung. Ich habe ihr noch mehr über dergleichen vorge-
tragen, über Ehen, Völkervorurtheile ganzer Jahrhunderte,
ſie weiß nichts. Sie kann keinen Irrthum über die Dinge
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/26>, abgerufen am 24.11.2024.
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