Berlin, Freitag Vormittag 12 Uhr, den 13. Juni 1823.
Heißes, helles Wetter, mit dezidirtem Ostwind.
Ist dies unwahrscheinlich, so ist's hingegen wahr. Ein solch Datum setz' ich gern vor den Briefen, als ihren Wetter- stand, als Atmosphäre, in welcher sie wachsen; und dadurch für den Verständigen, als Kommentar. Als Nachschrift die- ses Datums sei nur noch gesagt, daß mir heute mein Schwe- felbad sehr gelungen ist; ich mich nicht erhitzt, nicht geschwächt fühle: und nun bin ich richtig bis an den Punkt, von dem mein ganzer Brief sich herschreibt, welches Schreiben ich ohne dieses gelungene Schwefelexperiment gar nicht hätte unterneh- men können. --
Wie ist es möglich, in zwei Sprachen so vollkommen zu schreiben, wie Sie in der Pariser und Berliner! Sie kön- nen wieder fragen: wie ist das möglich zu beurtheilen, wenn man in keiner es so weit gebracht hat, wie das mittelmäßigst geschriebene Buch? Das ist möglich, muß ich behaupten, und will Ihnen den Beweis nicht aufdringen, bis Sie ihn durch- aus wollen: demonstriren kann ich ihn. Außerordentlich schön ist das Buch über Mahomet geschrieben; der graziöseste Stil: gereinigt und sanft, wie ein angenehmer Bach. Jeder Fran- zose läßt ihn auch gewiß ungehindert durch sein Haus. Für mich ein großes prestige -- ich weiß es nicht auf Deutsch geschwind -- und eine große Schmeichelei, daß wir ihnen solche Landsleute liefern. Ganz darin eingegangen, wie man zu der Nation zu sprechen hat, damit sie einen verstehe,
An Oelsner, in Paris.
Berlin, Freitag Vormittag 12 Uhr, den 13. Juni 1823.
Heißes, helles Wetter, mit dezidirtem Oſtwind.
Iſt dies unwahrſcheinlich, ſo iſt’s hingegen wahr. Ein ſolch Datum ſetz’ ich gern vor den Briefen, als ihren Wetter- ſtand, als Atmoſphäre, in welcher ſie wachſen; und dadurch für den Verſtändigen, als Kommentar. Als Nachſchrift die- ſes Datums ſei nur noch geſagt, daß mir heute mein Schwe- felbad ſehr gelungen iſt; ich mich nicht erhitzt, nicht geſchwächt fühle: und nun bin ich richtig bis an den Punkt, von dem mein ganzer Brief ſich herſchreibt, welches Schreiben ich ohne dieſes gelungene Schwefelexperiment gar nicht hätte unterneh- men können. —
Wie iſt es möglich, in zwei Sprachen ſo vollkommen zu ſchreiben, wie Sie in der Pariſer und Berliner! Sie kön- nen wieder fragen: wie iſt das möglich zu beurtheilen, wenn man in keiner es ſo weit gebracht hat, wie das mittelmäßigſt geſchriebene Buch? Das iſt möglich, muß ich behaupten, und will Ihnen den Beweis nicht aufdringen, bis Sie ihn durch- aus wollen: demonſtriren kann ich ihn. Außerordentlich ſchön iſt das Buch über Mahomet geſchrieben; der graziöſeſte Stil: gereinigt und ſanft, wie ein angenehmer Bach. Jeder Fran- zoſe läßt ihn auch gewiß ungehindert durch ſein Haus. Für mich ein großes prestige — ich weiß es nicht auf Deutſch geſchwind — und eine große Schmeichelei, daß wir ihnen ſolche Landsleute liefern. Ganz darin eingegangen, wie man zu der Nation zu ſprechen hat, damit ſie einen verſtehe,
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[102/0110]
An Oelsner, in Paris.
Berlin, Freitag Vormittag 12 Uhr, den 13. Juni 1823.
Heißes, helles Wetter, mit dezidirtem Oſtwind.
Iſt dies unwahrſcheinlich, ſo iſt’s hingegen wahr. Ein
ſolch Datum ſetz’ ich gern vor den Briefen, als ihren Wetter-
ſtand, als Atmoſphäre, in welcher ſie wachſen; und dadurch
für den Verſtändigen, als Kommentar. Als Nachſchrift die-
ſes Datums ſei nur noch geſagt, daß mir heute mein Schwe-
felbad ſehr gelungen iſt; ich mich nicht erhitzt, nicht geſchwächt
fühle: und nun bin ich richtig bis an den Punkt, von dem
mein ganzer Brief ſich herſchreibt, welches Schreiben ich ohne
dieſes gelungene Schwefelexperiment gar nicht hätte unterneh-
men können. —
Wie iſt es möglich, in zwei Sprachen ſo vollkommen
zu ſchreiben, wie Sie in der Pariſer und Berliner! Sie kön-
nen wieder fragen: wie iſt das möglich zu beurtheilen, wenn
man in keiner es ſo weit gebracht hat, wie das mittelmäßigſt
geſchriebene Buch? Das iſt möglich, muß ich behaupten, und
will Ihnen den Beweis nicht aufdringen, bis Sie ihn durch-
aus wollen: demonſtriren kann ich ihn. Außerordentlich ſchön
iſt das Buch über Mahomet geſchrieben; der graziöſeſte Stil:
gereinigt und ſanft, wie ein angenehmer Bach. Jeder Fran-
zoſe läßt ihn auch gewiß ungehindert durch ſein Haus. Für
mich ein großes prestige — ich weiß es nicht auf Deutſch
geſchwind — und eine große Schmeichelei, daß wir ihnen
ſolche Landsleute liefern. Ganz darin eingegangen, wie man
zu der Nation zu ſprechen hat, damit ſie einen verſtehe,
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/110>, abgerufen am 23.11.2024.
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