S. 222. Ich bin ganz betäubt und verwirrt, daß Goethe, Kant, Fichte, so besponnen werden können: mir ist, als müsse man ihre Werke wieder reinigen für die Welt. S. 225. Falsch über Gottes Geheimnisse. Sie gehen uns allerdings an, da wir eines davon sind. --
S. 269. Bravo! Nun bin ich froh, nun tadelt er Goethen. Nun wird's richtig: er zieht Shakespeare vor, er tadelt Raisonniren, Klassifiziren, alle Handlungen in iren bei Goethen, und thut nichts andres selbst; nur thut er's schlecht. Nun ist er bis in's Klarste in der Verwirrung ge- kommen. --
Freitag, den 2. Mai 1823.
Madam Guion konnte nicht ohne Bild leben -- im glei- chen Fall mit allen Menschen -- und wollte doch nichts mit der Welt zu thun haben; hatte ein erregbares Gemüth und philosophischen Geist. Sie dachte mit großer Kraft in's Leere hinein, und bildete, weil ihr Herz Nahrung bedurfte, die ganz bestimmte, erzählte Geschichte von Christus noch einmal nach. Sie führte gleichsam sein Leben in sich auf: lebte es noch Einmal, wurde zum Christuskinde; weil sie sich nicht erlaubte ein anderes Leben zu führen.
Französische Musik zwingt die Empfindung, sich nach der Wortbedeutung zu richten: italiänische bequemt ihren Wort- vorrath nach den Empfindungen. Gluck litt beim französi- schen Text.
Der
S. 222. Ich bin ganz betäubt und verwirrt, daß Goethe, Kant, Fichte, ſo beſponnen werden können: mir iſt, als müſſe man ihre Werke wieder reinigen für die Welt. S. 225. Falſch über Gottes Geheimniſſe. Sie gehen uns allerdings an, da wir eines davon ſind. —
S. 269. Bravo! Nun bin ich froh, nun tadelt er Goethen. Nun wird’s richtig: er zieht Shakeſpeare vor, er tadelt Raiſonniren, Klaſſifiziren, alle Handlungen in iren bei Goethen, und thut nichts andres ſelbſt; nur thut er’s ſchlecht. Nun iſt er bis in’s Klarſte in der Verwirrung ge- kommen. —
Freitag, den 2. Mai 1823.
Madam Guion konnte nicht ohne Bild leben — im glei- chen Fall mit allen Menſchen — und wollte doch nichts mit der Welt zu thun haben; hatte ein erregbares Gemüth und philoſophiſchen Geiſt. Sie dachte mit großer Kraft in’s Leere hinein, und bildete, weil ihr Herz Nahrung bedurfte, die ganz beſtimmte, erzählte Geſchichte von Chriſtus noch einmal nach. Sie führte gleichſam ſein Leben in ſich auf: lebte es noch Einmal, wurde zum Chriſtuskinde; weil ſie ſich nicht erlaubte ein anderes Leben zu führen.
Franzöſiſche Muſik zwingt die Empfindung, ſich nach der Wortbedeutung zu richten: italiäniſche bequemt ihren Wort- vorrath nach den Empfindungen. Gluck litt beim franzöſi- ſchen Text.
Der
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S. 222. Ich bin ganz betäubt und verwirrt, daß Goethe,
Kant, Fichte, ſo beſponnen werden können: mir iſt, als müſſe
man ihre Werke wieder reinigen für die Welt. S. 225. Falſch
über Gottes Geheimniſſe. Sie gehen uns allerdings an, da
wir eines davon ſind. —
S. 269. Bravo! Nun bin ich froh, nun tadelt er
Goethen. Nun wird’s richtig: er zieht Shakeſpeare vor, er
tadelt Raiſonniren, Klaſſifiziren, alle Handlungen in iren
bei Goethen, und thut nichts andres ſelbſt; nur thut er’s
ſchlecht. Nun iſt er bis in’s Klarſte in der Verwirrung ge-
kommen. —
Freitag, den 2. Mai 1823.
Madam Guion konnte nicht ohne Bild leben — im glei-
chen Fall mit allen Menſchen — und wollte doch nichts mit
der Welt zu thun haben; hatte ein erregbares Gemüth und
philoſophiſchen Geiſt. Sie dachte mit großer Kraft in’s Leere
hinein, und bildete, weil ihr Herz Nahrung bedurfte, die ganz
beſtimmte, erzählte Geſchichte von Chriſtus noch einmal nach.
Sie führte gleichſam ſein Leben in ſich auf: lebte es noch
Einmal, wurde zum Chriſtuskinde; weil ſie ſich nicht erlaubte
ein anderes Leben zu führen.
Franzöſiſche Muſik zwingt die Empfindung, ſich nach der
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/104>, abgerufen am 22.11.2024.
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