mich, ohne Stupidität oder Heuchelei, unter sie stellen soll? Also, müßte mir dieselbe Zartheit und Ehrenhaltung zuflie- ßen. Solche Anforderung aber ist stumm im tiefen Herzen gekauert da, stumm wie diese dunkle Tiefe selbst; und würde nie von Worten herauf gezwungen werden, als Forderung; weil sie nur als Dank an das nichts schonende Licht mag; wenn ich sie nicht vertheidigen müßte diese Forderung! Ver- theidigen muß ich sie, weil sie sollizitiren soll, was ihr Wesen selbst bewirken sollte. "Unschuldig" ist hier nichts anders als unwissend. Über gewisse Dinge, wissen Sie im tiefsten Her- zen, darf man nicht unwissend sein. Warum sollte ich jeman- den mich schätzen lehren, und mich dann von ihm schätzen las- sen? und dasselbe, mit Liebe und zartem Zuvorkommen und Errathen! Da habe ich's bequemer, ich schätze mich selbst, und liebe Andere: wo sie mir's erlauben. Daß man sich durch Thätlichkeiten die Achtung angedeihen läßt, die man nöthig hat zum äußern Sein; dies kann man wohl gegen gleichgül- tige Leute, in Äußerlichkeiten, äußerlich üben. Aber wo Liebe, Überzeugung, Zartherzigkeit und Approbation wirken sollen, kann und mag ich nicht in Menschenherzen willkürlich operi- ren. Sie verstehen es genug, das Schönste als Herzensfluthen anzunehmen, und dies sei mir und ihnen genug, wenn es noch so kommen mag! Sie wissen es: ich brauche nicht zu ver- sichern; ich habe genug in Liebe geleistet: eine Heilige wär' ich zu anderer Zeit! Wem gönnt mein Herz nicht alles, und jede Eigenschaft? wer sieht, wer spürt sie eher aus, und ver- kündigt sie? Wer ist gerechter, unpersönlicher? Wer ewig be- reit zum besten Leben und Leisten? Wer scheidender, und
mich, ohne Stupidität oder Heuchelei, unter ſie ſtellen ſoll? Alſo, müßte mir dieſelbe Zartheit und Ehrenhaltung zuflie- ßen. Solche Anforderung aber iſt ſtumm im tiefen Herzen gekauert da, ſtumm wie dieſe dunkle Tiefe ſelbſt; und würde nie von Worten herauf gezwungen werden, als Forderung; weil ſie nur als Dank an das nichts ſchonende Licht mag; wenn ich ſie nicht vertheidigen müßte dieſe Forderung! Ver- theidigen muß ich ſie, weil ſie ſollizitiren ſoll, was ihr Weſen ſelbſt bewirken ſollte. „Unſchuldig“ iſt hier nichts anders als unwiſſend. Über gewiſſe Dinge, wiſſen Sie im tiefſten Her- zen, darf man nicht unwiſſend ſein. Warum ſollte ich jeman- den mich ſchätzen lehren, und mich dann von ihm ſchätzen laſ- ſen? und daſſelbe, mit Liebe und zartem Zuvorkommen und Errathen! Da habe ich’s bequemer, ich ſchätze mich ſelbſt, und liebe Andere: wo ſie mir’s erlauben. Daß man ſich durch Thätlichkeiten die Achtung angedeihen läßt, die man nöthig hat zum äußern Sein; dies kann man wohl gegen gleichgül- tige Leute, in Äußerlichkeiten, äußerlich üben. Aber wo Liebe, Überzeugung, Zartherzigkeit und Approbation wirken ſollen, kann und mag ich nicht in Menſchenherzen willkürlich operi- ren. Sie verſtehen es genug, das Schönſte als Herzensfluthen anzunehmen, und dies ſei mir und ihnen genug, wenn es noch ſo kommen mag! Sie wiſſen es: ich brauche nicht zu ver- ſichern; ich habe genug in Liebe geleiſtet: eine Heilige wär’ ich zu anderer Zeit! Wem gönnt mein Herz nicht alles, und jede Eigenſchaft? wer ſieht, wer ſpürt ſie eher aus, und ver- kündigt ſie? Wer iſt gerechter, unperſönlicher? Wer ewig be- reit zum beſten Leben und Leiſten? Wer ſcheidender, und
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mich, ohne Stupidität oder Heuchelei, unter ſie ſtellen ſoll?
Alſo, müßte mir dieſelbe Zartheit und Ehrenhaltung zuflie-
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gekauert da, ſtumm wie dieſe dunkle Tiefe ſelbſt; und würde
nie von Worten herauf gezwungen werden, als Forderung;
weil ſie nur als Dank an das nichts ſchonende Licht mag;
wenn ich ſie nicht vertheidigen müßte dieſe Forderung! Ver-
theidigen muß ich ſie, weil ſie ſollizitiren ſoll, was ihr Weſen
ſelbſt bewirken ſollte. „Unſchuldig“ iſt hier nichts anders als
unwiſſend. Über gewiſſe Dinge, wiſſen Sie im tiefſten Her-
zen, darf man nicht unwiſſend ſein. Warum ſollte ich jeman-
den mich ſchätzen lehren, und mich dann von ihm ſchätzen laſ-
ſen? und daſſelbe, mit Liebe und zartem Zuvorkommen und
Errathen! Da habe ich’s bequemer, ich ſchätze mich ſelbſt,
und liebe Andere: wo ſie mir’s erlauben. Daß man ſich durch
Thätlichkeiten die Achtung angedeihen läßt, die man nöthig
hat zum äußern Sein; dies kann man wohl gegen gleichgül-
tige Leute, in Äußerlichkeiten, äußerlich üben. Aber wo Liebe,
Überzeugung, Zartherzigkeit und Approbation wirken ſollen,
kann und mag ich nicht in Menſchenherzen willkürlich operi-
ren. Sie verſtehen es genug, das Schönſte als Herzensfluthen
anzunehmen, und dies ſei mir und ihnen genug, wenn es noch
ſo kommen mag! Sie wiſſen es: ich brauche nicht zu ver-
ſichern; ich habe genug in Liebe geleiſtet: eine Heilige wär’
ich zu anderer Zeit! Wem gönnt mein Herz nicht alles, und
jede Eigenſchaft? wer ſieht, wer ſpürt ſie eher aus, und ver-
kündigt ſie? Wer iſt gerechter, unperſönlicher? Wer ewig be-
reit zum beſten Leben und Leiſten? Wer ſcheidender, und
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/82>, abgerufen am 22.11.2024.
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