Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

der Mensch ist sterblich in jedem Alter und zu jeder Stunde --
mir sind junge Freunde und Bekannte genug gestorben! --
ein Testament zu machen nach allen Formen und Rechten,
worin Sie bestimmen, wie es mit dem Kinde gehalten sein
soll, was es verzehren, und besitzen soll. Besäße ich nur et-
was, so würde ich so dringend wenigstens nicht sein. Aber
Sie wissen, ich habe kaum für mich selbst: und stürbe ich, so
wäre das Geschöpf eine arme Waise. Nehmen will ich es
mit Freuden; kosten soll es Sie natürlich nur, was es braucht;
dafür erkaufen Sie ihm auch mich zur Mutter. -- Wie wir
alle Details zu verabreden haben, findet sich noch. Sind Sie
meiner Meinung? Auch die ganz erste Jugend, Umgebung,
und Behandlung halte ich für so wichtig.

Gerlach leibt und lebt vor mir, wie Sie ihn beschreiben:
mit den glücklichsten Worten. Voß auch! --

Von meiner Portugiesin mündlich! Der Süden scheint
mir von den Göttern, im Norden aber nur, zugedacht: so mit
allem etwas! Ein adlich Herz in einer widrigen Lage; eine
schöne Seele hinter meiner Maske; großen Sinn, und kein
Talent; aber all diesen Mißlaut beschwichtigt durch eine reine
Himmelsgabe: eine ewig innere Musik, und in der Tiefe
nichts Verzerrtes, ein reiner Tempel meine Kinderseele! Wie
komme ich auf mich? und nicht unfreigebig!

Lesen Sie dies kleine Büchelchen, Dore hat es für sechs
Pfennige von einem Jungen gekauft; ich las es gestern vor
dem Zubettegehen, und weinte die herzlichsten Thränen darü-
ber; sagen Sie, ob es Ihnen auch so vorkömmt. Daß man
dem Kinde viel vorgeredet hatte, sehe ich auch; doch ist's ein

der Menſch iſt ſterblich in jedem Alter und zu jeder Stunde —
mir ſind junge Freunde und Bekannte genug geſtorben! —
ein Teſtament zu machen nach allen Formen und Rechten,
worin Sie beſtimmen, wie es mit dem Kinde gehalten ſein
ſoll, was es verzehren, und beſitzen ſoll. Beſäße ich nur et-
was, ſo würde ich ſo dringend wenigſtens nicht ſein. Aber
Sie wiſſen, ich habe kaum für mich ſelbſt: und ſtürbe ich, ſo
wäre das Geſchöpf eine arme Waiſe. Nehmen will ich es
mit Freuden; koſten ſoll es Sie natürlich nur, was es braucht;
dafür erkaufen Sie ihm auch mich zur Mutter. — Wie wir
alle Details zu verabreden haben, findet ſich noch. Sind Sie
meiner Meinung? Auch die ganz erſte Jugend, Umgebung,
und Behandlung halte ich für ſo wichtig.

Gerlach leibt und lebt vor mir, wie Sie ihn beſchreiben:
mit den glücklichſten Worten. Voß auch! —

Von meiner Portugieſin mündlich! Der Süden ſcheint
mir von den Göttern, im Norden aber nur, zugedacht: ſo mit
allem etwas! Ein adlich Herz in einer widrigen Lage; eine
ſchöne Seele hinter meiner Maske; großen Sinn, und kein
Talent; aber all dieſen Mißlaut beſchwichtigt durch eine reine
Himmelsgabe: eine ewig innere Muſik, und in der Tiefe
nichts Verzerrtes, ein reiner Tempel meine Kinderſeele! Wie
komme ich auf mich? und nicht unfreigebig!

Leſen Sie dies kleine Büchelchen, Dore hat es für ſechs
Pfennige von einem Jungen gekauft; ich las es geſtern vor
dem Zubettegehen, und weinte die herzlichſten Thränen darü-
ber; ſagen Sie, ob es Ihnen auch ſo vorkömmt. Daß man
dem Kinde viel vorgeredet hatte, ſehe ich auch; doch iſt’s ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0066" n="58"/>
der Men&#x017F;ch i&#x017F;t &#x017F;terblich in jedem Alter und zu jeder Stunde &#x2014;<lb/>
mir &#x017F;ind junge Freunde und Bekannte genug ge&#x017F;torben! &#x2014;<lb/>
ein Te&#x017F;tament zu machen nach allen Formen und Rechten,<lb/>
worin Sie be&#x017F;timmen, wie es mit dem Kinde gehalten &#x017F;ein<lb/>
&#x017F;oll, was es verzehren, und be&#x017F;itzen &#x017F;oll. Be&#x017F;äße ich nur et-<lb/>
was, &#x017F;o würde ich &#x017F;o dringend wenig&#x017F;tens nicht &#x017F;ein. Aber<lb/>
Sie wi&#x017F;&#x017F;en, ich habe kaum für mich &#x017F;elb&#x017F;t: und &#x017F;türbe ich, &#x017F;o<lb/>
wäre das Ge&#x017F;chöpf eine <hi rendition="#g">arme</hi> Wai&#x017F;e. Nehmen will ich es<lb/>
mit Freuden; ko&#x017F;ten &#x017F;oll es Sie natürlich nur, was es braucht;<lb/>
dafür erkaufen Sie ihm auch mich zur Mutter. &#x2014; Wie wir<lb/>
alle Details zu verabreden haben, findet &#x017F;ich noch. Sind Sie<lb/>
meiner Meinung? Auch die ganz er&#x017F;te Jugend, Umgebung,<lb/>
und Behandlung halte ich für &#x017F;o wichtig.</p><lb/>
          <p>Gerlach leibt und lebt vor mir, wie Sie ihn be&#x017F;chreiben:<lb/>
mit den glücklich&#x017F;ten Worten. Voß auch! &#x2014;</p><lb/>
          <p>Von meiner Portugie&#x017F;in mündlich! Der Süden &#x017F;cheint<lb/>
mir von den Göttern, im Norden aber nur, zugedacht: &#x017F;o mit<lb/>
allem etwas! Ein adlich Herz in einer widrigen Lage; eine<lb/>
&#x017F;chöne Seele hinter meiner Maske; großen Sinn, und kein<lb/>
Talent; aber all die&#x017F;en Mißlaut be&#x017F;chwichtigt durch <hi rendition="#g">eine</hi> reine<lb/>
Himmelsgabe: eine ewig innere Mu&#x017F;ik, und in der Tiefe<lb/><hi rendition="#g">nichts</hi> Verzerrtes, ein reiner Tempel meine Kinder&#x017F;eele! Wie<lb/>
komme ich auf mich? und nicht unfreigebig!</p><lb/>
          <p>Le&#x017F;en Sie dies kleine Büchelchen, Dore hat es für &#x017F;echs<lb/>
Pfennige von einem Jungen gekauft; ich las es ge&#x017F;tern vor<lb/>
dem Zubettegehen, und weinte die herzlich&#x017F;ten Thränen darü-<lb/>
ber; &#x017F;agen Sie, ob es Ihnen auch &#x017F;o vorkömmt. Daß man<lb/>
dem Kinde viel vorgeredet hatte, &#x017F;ehe ich auch; doch i&#x017F;t&#x2019;s ein<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[58/0066] der Menſch iſt ſterblich in jedem Alter und zu jeder Stunde — mir ſind junge Freunde und Bekannte genug geſtorben! — ein Teſtament zu machen nach allen Formen und Rechten, worin Sie beſtimmen, wie es mit dem Kinde gehalten ſein ſoll, was es verzehren, und beſitzen ſoll. Beſäße ich nur et- was, ſo würde ich ſo dringend wenigſtens nicht ſein. Aber Sie wiſſen, ich habe kaum für mich ſelbſt: und ſtürbe ich, ſo wäre das Geſchöpf eine arme Waiſe. Nehmen will ich es mit Freuden; koſten ſoll es Sie natürlich nur, was es braucht; dafür erkaufen Sie ihm auch mich zur Mutter. — Wie wir alle Details zu verabreden haben, findet ſich noch. Sind Sie meiner Meinung? Auch die ganz erſte Jugend, Umgebung, und Behandlung halte ich für ſo wichtig. Gerlach leibt und lebt vor mir, wie Sie ihn beſchreiben: mit den glücklichſten Worten. Voß auch! — Von meiner Portugieſin mündlich! Der Süden ſcheint mir von den Göttern, im Norden aber nur, zugedacht: ſo mit allem etwas! Ein adlich Herz in einer widrigen Lage; eine ſchöne Seele hinter meiner Maske; großen Sinn, und kein Talent; aber all dieſen Mißlaut beſchwichtigt durch eine reine Himmelsgabe: eine ewig innere Muſik, und in der Tiefe nichts Verzerrtes, ein reiner Tempel meine Kinderſeele! Wie komme ich auf mich? und nicht unfreigebig! Leſen Sie dies kleine Büchelchen, Dore hat es für ſechs Pfennige von einem Jungen gekauft; ich las es geſtern vor dem Zubettegehen, und weinte die herzlichſten Thränen darü- ber; ſagen Sie, ob es Ihnen auch ſo vorkömmt. Daß man dem Kinde viel vorgeredet hatte, ſehe ich auch; doch iſt’s ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/66
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/66>, abgerufen am 21.11.2024.