von unsern Freunden Staatsminister geworden, vergaß ich Ih- nen zu sagen: und das ist auch eine Art von Tod. Frau von Humboldt wohnt Behren- und Charlottenstraßen-Ecke, wo Prinz Louis wohnte: Hofräthin Herz am Gendarmenmarkt, Ecke Charlotten- und Französische Straße. Iffland und die Baranius wohnten mal da. Gestern war die bei mir; noch schön. Alle Klassen sehen mich und rauben mir die Zeit. So eben hat Varnhagen Archibald Keyserling gesehen, der [r]eist durch, und wird mich besuchen. Nun wünsche ich mir, ich hätte Ihnen gedankt durch diesen Brief für die Lebensbeschrei- bung, die Sie mir vorigen März schickten. Ein Meisterstück von Mühe und Kunst: nur Sie dessen fähig! Aber um die Namen der Freunde hätte ich gebeten! Leben Sie wohl, treuer, theurer Freund, und sein Sie meiner gewiß! Schade! daß man sich jetzt über nichts, beinah nicht über Bücher schreiben kann. Was sagen Sie zu den Noten, zu den Briefen im Constitutionnel, zu dem alten Voß, zu Perthes? Lesen Sie das alles? Adieu! Ihre R.
Schreiben Sie mir durch Mendelssohn; ich bezahle, ist der Brief dick. Die Frau, die Sie mir im März beschrieben, die Deutsch lernte hinter Ihrem Rücken, ist Minerva selbst. -- Ich goß auf sechs Zeilen das Tintfaß anstatt Sand. Varn- hagen flickte mir den Bogen. Noch ein Zug in das Bild meines Alters. Ich werde leichtsinnig mit den Jahren. Adieu! Adieu!
von unſern Freunden Staatsminiſter geworden, vergaß ich Ih- nen zu ſagen: und das iſt auch eine Art von Tod. Frau von Humboldt wohnt Behren- und Charlottenſtraßen-Ecke, wo Prinz Louis wohnte: Hofräthin Herz am Gendarmenmarkt, Ecke Charlotten- und Franzöſiſche Straße. Iffland und die Baranius wohnten mal da. Geſtern war die bei mir; noch ſchön. Alle Klaſſen ſehen mich und rauben mir die Zeit. So eben hat Varnhagen Archibald Keyſerling geſehen, der [r]eiſt durch, und wird mich beſuchen. Nun wünſche ich mir, ich hätte Ihnen gedankt durch dieſen Brief für die Lebensbeſchrei- bung, die Sie mir vorigen März ſchickten. Ein Meiſterſtück von Mühe und Kunſt: nur Sie deſſen fähig! Aber um die Namen der Freunde hätte ich gebeten! Leben Sie wohl, treuer, theurer Freund, und ſein Sie meiner gewiß! Schade! daß man ſich jetzt über nichts, beinah nicht über Bücher ſchreiben kann. Was ſagen Sie zu den Noten, zu den Briefen im Constitutionnel, zu dem alten Voß, zu Perthes? Leſen Sie das alles? Adieu! Ihre R.
Schreiben Sie mir durch Mendelsſohn; ich bezahle, iſt der Brief dick. Die Frau, die Sie mir im März beſchrieben, die Deutſch lernte hinter Ihrem Rücken, iſt Minerva ſelbſt. — Ich goß auf ſechs Zeilen das Tintfaß anſtatt Sand. Varn- hagen flickte mir den Bogen. Noch ein Zug in das Bild meines Alters. Ich werde leichtſinnig mit den Jahren. Adieu! Adieu!
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0621"n="613"/>
von unſern Freunden Staatsminiſter geworden, vergaß ich Ih-<lb/>
nen zu ſagen: und das iſt auch eine Art von Tod. Frau von<lb/>
Humboldt wohnt Behren- und Charlottenſtraßen-Ecke, wo<lb/>
Prinz Louis wohnte: Hofräthin Herz am Gendarmenmarkt,<lb/>
Ecke Charlotten- und Franzöſiſche Straße. Iffland und die<lb/>
Baranius wohnten mal da. Geſtern war <hirendition="#g">die</hi> bei mir; noch<lb/>ſchön. Alle Klaſſen ſehen mich und rauben mir die Zeit. So<lb/>
eben hat Varnhagen Archibald Keyſerling geſehen, der <supplied>r</supplied>eiſt<lb/>
durch, und wird mich beſuchen. Nun wünſche ich mir, ich<lb/>
hätte Ihnen gedankt durch dieſen Brief für die Lebensbeſchrei-<lb/>
bung, die Sie mir vorigen März ſchickten. Ein Meiſterſtück<lb/>
von Mühe und Kunſt: nur Sie deſſen fähig! Aber um die<lb/>
Namen der Freunde hätte ich gebeten! Leben Sie wohl, treuer,<lb/>
theurer Freund, und ſein Sie meiner gewiß! Schade! daß<lb/>
man ſich jetzt über nichts, beinah nicht über Bücher ſchreiben<lb/>
kann. Was ſagen Sie zu den Noten, zu den Briefen im<lb/><hirendition="#aq">Constitutionnel,</hi> zu dem alten Voß, zu Perthes? Leſen Sie<lb/>
das alles? Adieu! <hirendition="#et">Ihre R.</hi></p><lb/><p>Schreiben Sie mir durch Mendelsſohn; ich bezahle, iſt<lb/>
der Brief dick. Die <hirendition="#g">Frau</hi>, die Sie mir im März beſchrieben,<lb/>
die Deutſch lernte hinter Ihrem Rücken, iſt Minerva ſelbſt.<lb/>— Ich goß auf ſechs Zeilen das Tintfaß anſtatt Sand. Varn-<lb/>
hagen flickte mir den Bogen. Noch ein Zug in das Bild meines<lb/>
Alters. Ich werde leichtſinnig mit den Jahren. Adieu! Adieu!</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></body></text></TEI>
[613/0621]
von unſern Freunden Staatsminiſter geworden, vergaß ich Ih-
nen zu ſagen: und das iſt auch eine Art von Tod. Frau von
Humboldt wohnt Behren- und Charlottenſtraßen-Ecke, wo
Prinz Louis wohnte: Hofräthin Herz am Gendarmenmarkt,
Ecke Charlotten- und Franzöſiſche Straße. Iffland und die
Baranius wohnten mal da. Geſtern war die bei mir; noch
ſchön. Alle Klaſſen ſehen mich und rauben mir die Zeit. So
eben hat Varnhagen Archibald Keyſerling geſehen, der reiſt
durch, und wird mich beſuchen. Nun wünſche ich mir, ich
hätte Ihnen gedankt durch dieſen Brief für die Lebensbeſchrei-
bung, die Sie mir vorigen März ſchickten. Ein Meiſterſtück
von Mühe und Kunſt: nur Sie deſſen fähig! Aber um die
Namen der Freunde hätte ich gebeten! Leben Sie wohl, treuer,
theurer Freund, und ſein Sie meiner gewiß! Schade! daß
man ſich jetzt über nichts, beinah nicht über Bücher ſchreiben
kann. Was ſagen Sie zu den Noten, zu den Briefen im
Constitutionnel, zu dem alten Voß, zu Perthes? Leſen Sie
das alles? Adieu! Ihre R.
Schreiben Sie mir durch Mendelsſohn; ich bezahle, iſt
der Brief dick. Die Frau, die Sie mir im März beſchrieben,
die Deutſch lernte hinter Ihrem Rücken, iſt Minerva ſelbſt.
— Ich goß auf ſechs Zeilen das Tintfaß anſtatt Sand. Varn-
hagen flickte mir den Bogen. Noch ein Zug in das Bild meines
Alters. Ich werde leichtſinnig mit den Jahren. Adieu! Adieu!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/621>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.