qu'on sait et jamais ce qu'on sent etc." Daher die stolzesten Leute, in ihrer Gemeinheit, in die schnellste und von ihnen äußerst verachtetste Gemeinschaft gerathen, weil ihr Stolz sich auf ihnen nicht innen angehörige Dinge bezieht. --
Das Absolute ist das in sich Begründete, seinen eignen Daseinsgrund Verstehende. --
Wenn ich in der Nähe von Fürsten wäre, und mit ihnen lebte, würde ich für die niedrigste Schmeichlerin gehalten wer- den. Weil ich jedes Menschen Persönlichkeit umgehe, und bei der größten Meinungsunabhängigkeit, nur immer aus allge- meingeltenden Gründen widerspreche: ein solcher Widerspruch wird gar nicht bemerkt, so sehr er auch wirkt; Beifall und Lob suche ich aber so persönlich zu machen, als möglich. Die- ses Verfahren, welches unbegreiflich unbemerkt bleibt, würde bei hohen Personen sehr auffallen.
Meine besten Freunde, wenn sie dies lesen, werden mir nicht beipflichten, und meinen, ich lobe mich ungeheuer aus Vorliebe: ich aber bin überzeugt, daß dies Gesagte die strengste, in jedem Tag zu erprobende Wahrheit ist; und bin gar nicht beschämt.
Sonntag, den 6. November 1819.
Julie Bondeli, in Frau von Laroche ihrem Schreibtisch, sagt bei Gelegenheit von Rousseau's Heloise: "J'admire com- bien on peut avoir de l'esprit, lorsqu'on veut seulement etre mechant, combien on peut etaler de grands principes lorsqu'on
qu’on sait et jamais ce qu’on sent etc.“ Daher die ſtolzeſten Leute, in ihrer Gemeinheit, in die ſchnellſte und von ihnen äußerſt verachtetſte Gemeinſchaft gerathen, weil ihr Stolz ſich auf ihnen nicht innen angehörige Dinge bezieht. —
Das Abſolute iſt das in ſich Begründete, ſeinen eignen Daſeinsgrund Verſtehende. —
Wenn ich in der Nähe von Fürſten wäre, und mit ihnen lebte, würde ich für die niedrigſte Schmeichlerin gehalten wer- den. Weil ich jedes Menſchen Perſönlichkeit umgehe, und bei der größten Meinungsunabhängigkeit, nur immer aus allge- meingeltenden Gründen widerſpreche: ein ſolcher Widerſpruch wird gar nicht bemerkt, ſo ſehr er auch wirkt; Beifall und Lob ſuche ich aber ſo perſönlich zu machen, als möglich. Die- ſes Verfahren, welches unbegreiflich unbemerkt bleibt, würde bei hohen Perſonen ſehr auffallen.
Meine beſten Freunde, wenn ſie dies leſen, werden mir nicht beipflichten, und meinen, ich lobe mich ungeheuer aus Vorliebe: ich aber bin überzeugt, daß dies Geſagte die ſtrengſte, in jedem Tag zu erprobende Wahrheit iſt; und bin gar nicht beſchämt.
Sonntag, den 6. November 1819.
Julie Bondeli, in Frau von Laroche ihrem Schreibtiſch, ſagt bei Gelegenheit von Rouſſeau’s Heloiſe: „J’admire com- bien on peut avoir de l’esprit, lorsqu’on veut seulement être méchant, combien on peut étaler de grands principes lorsqu’on
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><hirendition="#aq"><pbfacs="#f0609"n="601"/>
qu’on sait et jamais ce qu’on sent etc.“</hi> Daher die ſtolzeſten<lb/>
Leute, in ihrer Gemeinheit, in die ſchnellſte und von ihnen<lb/>
äußerſt verachtetſte Gemeinſchaft gerathen, weil ihr Stolz ſich<lb/>
auf ihnen nicht innen angehörige Dinge bezieht. —</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Das Abſolute iſt das in ſich Begründete, ſeinen eignen<lb/>
Daſeinsgrund Verſtehende. —</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Wenn ich in der Nähe von Fürſten wäre, und mit ihnen<lb/>
lebte, würde ich für die niedrigſte Schmeichlerin gehalten wer-<lb/>
den. Weil ich jedes Menſchen Perſönlichkeit umgehe, und bei<lb/>
der größten Meinungsunabhängigkeit, nur immer aus allge-<lb/>
meingeltenden Gründen widerſpreche: ein ſolcher Widerſpruch<lb/>
wird gar nicht bemerkt, ſo ſehr er auch wirkt; Beifall und<lb/>
Lob ſuche ich aber ſo perſönlich zu machen, als möglich. Die-<lb/>ſes Verfahren, welches unbegreiflich unbemerkt bleibt, würde<lb/>
bei hohen Perſonen ſehr auffallen.</p><lb/><p>Meine beſten Freunde, wenn ſie dies leſen, werden mir<lb/>
nicht beipflichten, und meinen, ich lobe mich ungeheuer aus<lb/>
Vorliebe: ich aber bin überzeugt, daß dies Geſagte die<lb/>ſtrengſte, in jedem Tag zu erprobende Wahrheit iſt; und bin<lb/>
gar nicht beſchämt.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Sonntag, den 6. November 1819.</hi></dateline><lb/><p>Julie Bondeli, in Frau von Laroche ihrem Schreibtiſch,<lb/>ſagt bei Gelegenheit von Rouſſeau’s Heloiſe: <hirendition="#aq">„J’admire com-<lb/>
bien on peut avoir de l’esprit, lorsqu’on veut seulement être<lb/>
méchant, combien on peut étaler de grands principes lorsqu’on<lb/></hi></p></div></div></div></body></text></TEI>
[601/0609]
qu’on sait et jamais ce qu’on sent etc.“ Daher die ſtolzeſten
Leute, in ihrer Gemeinheit, in die ſchnellſte und von ihnen
äußerſt verachtetſte Gemeinſchaft gerathen, weil ihr Stolz ſich
auf ihnen nicht innen angehörige Dinge bezieht. —
Das Abſolute iſt das in ſich Begründete, ſeinen eignen
Daſeinsgrund Verſtehende. —
Wenn ich in der Nähe von Fürſten wäre, und mit ihnen
lebte, würde ich für die niedrigſte Schmeichlerin gehalten wer-
den. Weil ich jedes Menſchen Perſönlichkeit umgehe, und bei
der größten Meinungsunabhängigkeit, nur immer aus allge-
meingeltenden Gründen widerſpreche: ein ſolcher Widerſpruch
wird gar nicht bemerkt, ſo ſehr er auch wirkt; Beifall und
Lob ſuche ich aber ſo perſönlich zu machen, als möglich. Die-
ſes Verfahren, welches unbegreiflich unbemerkt bleibt, würde
bei hohen Perſonen ſehr auffallen.
Meine beſten Freunde, wenn ſie dies leſen, werden mir
nicht beipflichten, und meinen, ich lobe mich ungeheuer aus
Vorliebe: ich aber bin überzeugt, daß dies Geſagte die
ſtrengſte, in jedem Tag zu erprobende Wahrheit iſt; und bin
gar nicht beſchämt.
Sonntag, den 6. November 1819.
Julie Bondeli, in Frau von Laroche ihrem Schreibtiſch,
ſagt bei Gelegenheit von Rouſſeau’s Heloiſe: „J’admire com-
bien on peut avoir de l’esprit, lorsqu’on veut seulement être
méchant, combien on peut étaler de grands principes lorsqu’on
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 601. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/609>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.