Verlust schön, der Schmerz ein Ressort zum Leben! Bei mir ist es jedesmal eine Amputation, -- und ("Wer nicht ver- zweifeln kann, der muß nicht leben") kann es das Schicksal wollen, Gott, -- nun dann, ich muß es leiden; daß es recht ist, ist jener Sache. Ich kann nichts Schönes darin fin- den, nichts Schönes daraus machen. Ich trage es so, so wie es ist. Und meine Freude ist, mir recht zu sagen, was ich nicht bin, was ich nicht habe, was mir fehlt. Nun sollte man den- ken, daraus käme eine Erbitterung, eine Schärfe gegen Men- schen? Die reinste Milde! Alles verzeihe ich ihnen; das Meiste von ihnen verstehe ich, ihre Lage finde ich so erbar- mungswürdig, so gedrängt, erkläre mir alles daraus! Nur Eines empört mich noch zum augenblicklichen Zorne, wenn ich Wahrheitssinn, und die Liebe -- eigensten Geist -- zu ihr, vermisse, und wenn mich dünkt, die Menschen wollen nicht verstehn, aus stupiden, niedern kleinen Absichten. Vor dem großen Werke des Daseins überhaupt bin ich in der de- müthigsten Bewunderung! Und ganz guten Muths! das überragt mich ganz. Alle nur ersinnlichen Vorstellungsweisen, und sogar die Unverständlichkeit davon, machen mich eigent- lich in der Tiefe munter; diese große Betrachtung reißt mich fort zur größten Hoffnung, wie hier, jetzt schon in's Leben, zum Leben, diese große zu erwartende Neuigkeit! Und dies ist auch eine Gemüthsart, woran die Mischung des Blutes Schuld ist und der Leichtsinn, der bei Schwermüthigen mit dem Alter kommt, da sie früher müde werden müssen, und auch sehen, daß bei allem Hetzen sie doch mit dem Strome schwimmen, wenn sie auch noch so seitwärts getrieben haben,
und
Verluſt ſchön, der Schmerz ein Reſſort zum Leben! Bei mir iſt es jedesmal eine Amputation, — und („Wer nicht ver- zweifeln kann, der muß nicht leben“) kann es das Schickſal wollen, Gott, — nun dann, ich muß es leiden; daß es recht iſt, iſt jener Sache. Ich kann nichts Schönes darin fin- den, nichts Schönes daraus machen. Ich trage es ſo, ſo wie es iſt. Und meine Freude iſt, mir recht zu ſagen, was ich nicht bin, was ich nicht habe, was mir fehlt. Nun ſollte man den- ken, daraus käme eine Erbitterung, eine Schärfe gegen Men- ſchen? Die reinſte Milde! Alles verzeihe ich ihnen; das Meiſte von ihnen verſtehe ich, ihre Lage finde ich ſo erbar- mungswürdig, ſo gedrängt, erkläre mir alles daraus! Nur Eines empört mich noch zum augenblicklichen Zorne, wenn ich Wahrheitsſinn, und die Liebe — eigenſten Geiſt — zu ihr, vermiſſe, und wenn mich dünkt, die Menſchen wollen nicht verſtehn, aus ſtupiden, niedern kleinen Abſichten. Vor dem großen Werke des Daſeins überhaupt bin ich in der de- müthigſten Bewunderung! Und ganz guten Muths! das überragt mich ganz. Alle nur erſinnlichen Vorſtellungsweiſen, und ſogar die Unverſtändlichkeit davon, machen mich eigent- lich in der Tiefe munter; dieſe große Betrachtung reißt mich fort zur größten Hoffnung, wie hier, jetzt ſchon in’s Leben, zum Leben, dieſe große zu erwartende Neuigkeit! Und dies iſt auch eine Gemüthsart, woran die Miſchung des Blutes Schuld iſt und der Leichtſinn, der bei Schwermüthigen mit dem Alter kommt, da ſie früher müde werden müſſen, und auch ſehen, daß bei allem Hetzen ſie doch mit dem Strome ſchwimmen, wenn ſie auch noch ſo ſeitwärts getrieben haben,
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Verluſt ſchön, der Schmerz ein Reſſort zum Leben! Bei mir
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zweifeln kann, der muß nicht leben“) kann es das Schickſal
wollen, Gott, — nun dann, ich muß es leiden; daß es
recht iſt, iſt jener Sache. Ich kann nichts Schönes darin fin-
den, nichts Schönes daraus machen. Ich trage es ſo, ſo wie
es iſt. Und meine Freude iſt, mir recht zu ſagen, was ich nicht
bin, was ich nicht habe, was mir fehlt. Nun ſollte man den-
ken, daraus käme eine Erbitterung, eine Schärfe gegen Men-
ſchen? Die reinſte Milde! Alles verzeihe ich ihnen; das
Meiſte von ihnen verſtehe ich, ihre Lage finde ich ſo erbar-
mungswürdig, ſo gedrängt, erkläre mir alles daraus! Nur
Eines empört mich noch zum augenblicklichen Zorne, wenn
ich Wahrheitsſinn, und die Liebe — eigenſten Geiſt — zu
ihr, vermiſſe, und wenn mich dünkt, die Menſchen wollen
nicht verſtehn, aus ſtupiden, niedern kleinen Abſichten. Vor
dem großen Werke des Daſeins überhaupt bin ich in der de-
müthigſten Bewunderung! Und ganz guten Muths! das
überragt mich ganz. Alle nur erſinnlichen Vorſtellungsweiſen,
und ſogar die Unverſtändlichkeit davon, machen mich eigent-
lich in der Tiefe munter; dieſe große Betrachtung reißt mich
fort zur größten Hoffnung, wie hier, jetzt ſchon in’s Leben,
zum Leben, dieſe große zu erwartende Neuigkeit! Und dies
iſt auch eine Gemüthsart, woran die Miſchung des Blutes
Schuld iſt und der Leichtſinn, der bei Schwermüthigen mit
dem Alter kommt, da ſie früher müde werden müſſen, und
auch ſehen, daß bei allem Hetzen ſie doch mit dem Strome
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/536>, abgerufen am 22.11.2024.
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