Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

December-Wetter ist, hat meine Gesundheit die Wendung
genommen, daß mich immer friert; außer wenn ich auf der
Straße gehe. Ein anderes Thier, und gewiß giebt es in der
unendlichen, willkürlichen Natur auch ein solches, welchem
immer zu warm ist, mag auch ausstehen! diesen Schauder
mußt' ich von der Seele sprechen eh' ich nur irgend deinen
oder Ernestinens Brief, zum Beantworten nur wieder ansehen
kann, wenn sie auch schon neben mir liegen; über meinen kör-
perlichen Zustand, über momentanes Unbehagen im Ort, oder
Zustoßen der kleinen Tages-Ereignisse kann ich nicht weg, --
außer um zu dienen oder zu leisten; und dann verschließe ich
meine Verzweiflung nur um so tiefer: und man hat auch von
mir nichts, als den Dienst etwa, -- und mein ganzer Brief zeigt
in Form, Farbe und Inhalt, ihn genau an, und da wollt'
ich, um wo möglich mich zu entschuldigen, lieber seinen Text
oder Kanevas oben aufsetzen. Was du von Roberts Stück
sagst, muß ich für grundwahr halten, weil ich es schon in der
Anlage ganz so fand, und ihm sagte. Mit mindestem Erfolg.
Es hat schöne Glieder, und ein Leben, was in das Leben ein-
greift, weil es aus einer Mitte genommen ist. Daß es dir
gefällt, ist mir lieber als Tausend ihr Beifall. Weil wir
beide Publikum sind, vermöge der entsetzlichen Ennui- und
Amüsir-Fähigkeit: wie aller Pöbel. -- Es ist göttlich daß der
alte K. auf's Land ging um der Hochzeit seiner Enkelin nicht
beizuwohnen: wie Fürsten, die doch gute Väter sind, wenn
eine Mesalliance geschieht: sehen wollen sie es nicht: und
möglich soll es nicht sein, in ihrer Gegenwart wider ihren

December-Wetter iſt, hat meine Geſundheit die Wendung
genommen, daß mich immer friert; außer wenn ich auf der
Straße gehe. Ein anderes Thier, und gewiß giebt es in der
unendlichen, willkürlichen Natur auch ein ſolches, welchem
immer zu warm iſt, mag auch ausſtehen! dieſen Schauder
mußt’ ich von der Seele ſprechen eh’ ich nur irgend deinen
oder Erneſtinens Brief, zum Beantworten nur wieder anſehen
kann, wenn ſie auch ſchon neben mir liegen; über meinen kör-
perlichen Zuſtand, über momentanes Unbehagen im Ort, oder
Zuſtoßen der kleinen Tages-Ereigniſſe kann ich nicht weg, —
außer um zu dienen oder zu leiſten; und dann verſchließe ich
meine Verzweiflung nur um ſo tiefer: und man hat auch von
mir nichts, als den Dienſt etwa, — und mein ganzer Brief zeigt
in Form, Farbe und Inhalt, ihn genau an, und da wollt’
ich, um wo möglich mich zu entſchuldigen, lieber ſeinen Text
oder Kanevas oben aufſetzen. Was du von Roberts Stück
ſagſt, muß ich für grundwahr halten, weil ich es ſchon in der
Anlage ganz ſo fand, und ihm ſagte. Mit mindeſtem Erfolg.
Es hat ſchöne Glieder, und ein Leben, was in das Leben ein-
greift, weil es aus einer Mitte genommen iſt. Daß es dir
gefällt, iſt mir lieber als Tauſend ihr Beifall. Weil wir
beide Publikum ſind, vermöge der entſetzlichen Ennui- und
Amüſir-Fähigkeit: wie aller Pöbel. — Es iſt göttlich daß der
alte K. auf’s Land ging um der Hochzeit ſeiner Enkelin nicht
beizuwohnen: wie Fürſten, die doch gute Väter ſind, wenn
eine Meſalliance geſchieht: ſehen wollen ſie es nicht: und
möglich ſoll es nicht ſein, in ihrer Gegenwart wider ihren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0524" n="516"/>
December-Wetter i&#x017F;t, hat meine Ge&#x017F;undheit die Wendung<lb/>
genommen, daß mich immer friert; außer wenn ich auf der<lb/>
Straße gehe. Ein anderes Thier, und gewiß giebt es in der<lb/>
unendlichen, willkürlichen Natur auch ein &#x017F;olches, welchem<lb/>
immer zu warm i&#x017F;t, mag auch aus&#x017F;tehen! die&#x017F;en Schauder<lb/>
mußt&#x2019; ich von der Seele &#x017F;prechen eh&#x2019; ich nur irgend deinen<lb/>
oder Erne&#x017F;tinens Brief, zum Beantworten nur wieder an&#x017F;ehen<lb/>
kann, wenn &#x017F;ie auch &#x017F;chon neben mir liegen; über meinen kör-<lb/>
perlichen Zu&#x017F;tand, über momentanes Unbehagen im Ort, oder<lb/>
Zu&#x017F;toßen der kleinen Tages-Ereigni&#x017F;&#x017F;e kann ich nicht weg, &#x2014;<lb/>
außer um zu dienen oder zu lei&#x017F;ten; und dann ver&#x017F;chließe ich<lb/>
meine Verzweiflung nur um &#x017F;o tiefer: und man hat auch von<lb/>
mir nichts, als den Dien&#x017F;t etwa, &#x2014; und mein ganzer Brief zeigt<lb/>
in Form, Farbe und Inhalt, ihn genau an, und da wollt&#x2019;<lb/>
ich, um wo möglich mich zu ent&#x017F;chuldigen, lieber &#x017F;einen Text<lb/>
oder Kanevas oben auf&#x017F;etzen. Was du von Roberts Stück<lb/>
&#x017F;ag&#x017F;t, muß ich für grundwahr halten, weil ich es &#x017F;chon in der<lb/>
Anlage ganz &#x017F;o fand, und ihm &#x017F;agte. Mit minde&#x017F;tem Erfolg.<lb/>
Es hat &#x017F;chöne Glieder, und ein Leben, was in das Leben ein-<lb/>
greift, weil es aus einer Mitte genommen i&#x017F;t. Daß es dir<lb/>
gefällt, i&#x017F;t mir lieber als Tau&#x017F;end ihr Beifall. Weil wir<lb/>
beide Publikum &#x017F;ind, vermöge der ent&#x017F;etzlichen Ennui- und<lb/>
Amü&#x017F;ir-Fähigkeit: wie aller Pöbel. &#x2014; Es i&#x017F;t göttlich daß der<lb/>
alte K. auf&#x2019;s Land ging um der Hochzeit &#x017F;einer Enkelin nicht<lb/>
beizuwohnen: wie Für&#x017F;ten, die doch gute Väter &#x017F;ind, wenn<lb/>
eine Me&#x017F;alliance ge&#x017F;chieht: &#x017F;ehen wollen &#x017F;ie es nicht: und<lb/>
möglich &#x017F;oll es nicht &#x017F;ein, in ihrer Gegenwart wider ihren<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[516/0524] December-Wetter iſt, hat meine Geſundheit die Wendung genommen, daß mich immer friert; außer wenn ich auf der Straße gehe. Ein anderes Thier, und gewiß giebt es in der unendlichen, willkürlichen Natur auch ein ſolches, welchem immer zu warm iſt, mag auch ausſtehen! dieſen Schauder mußt’ ich von der Seele ſprechen eh’ ich nur irgend deinen oder Erneſtinens Brief, zum Beantworten nur wieder anſehen kann, wenn ſie auch ſchon neben mir liegen; über meinen kör- perlichen Zuſtand, über momentanes Unbehagen im Ort, oder Zuſtoßen der kleinen Tages-Ereigniſſe kann ich nicht weg, — außer um zu dienen oder zu leiſten; und dann verſchließe ich meine Verzweiflung nur um ſo tiefer: und man hat auch von mir nichts, als den Dienſt etwa, — und mein ganzer Brief zeigt in Form, Farbe und Inhalt, ihn genau an, und da wollt’ ich, um wo möglich mich zu entſchuldigen, lieber ſeinen Text oder Kanevas oben aufſetzen. Was du von Roberts Stück ſagſt, muß ich für grundwahr halten, weil ich es ſchon in der Anlage ganz ſo fand, und ihm ſagte. Mit mindeſtem Erfolg. Es hat ſchöne Glieder, und ein Leben, was in das Leben ein- greift, weil es aus einer Mitte genommen iſt. Daß es dir gefällt, iſt mir lieber als Tauſend ihr Beifall. Weil wir beide Publikum ſind, vermöge der entſetzlichen Ennui- und Amüſir-Fähigkeit: wie aller Pöbel. — Es iſt göttlich daß der alte K. auf’s Land ging um der Hochzeit ſeiner Enkelin nicht beizuwohnen: wie Fürſten, die doch gute Väter ſind, wenn eine Meſalliance geſchieht: ſehen wollen ſie es nicht: und möglich ſoll es nicht ſein, in ihrer Gegenwart wider ihren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/524
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/524>, abgerufen am 04.05.2024.