Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

gentlich nicht; aber ich fürchte, daß Sie das nicht zu deuten
verstehn, und Ihnen das einen unangenehmen Eindruck macht;
und daß Sie gar -- Gott behüte und bewahre! -- sich dar-
nach richten wollen. Das fürchte ich; und darum ward ich
hier so breit; in der Tiefe war wirklich der Aufschluß dieses
Schwächenzustandes nicht nachzuweisen; sondern in der län-
geren Ausdehnung eines Aufenthaltes in Berlin, den ich ge-
macht
. Jetzt mag unsere Stadt nun wohl noch mehr davon
befallen sein, als vor drei oder mehreren Jahren: sie putzt
und schnäbelt gar zu viel an ihrem Kunstgefühl, beleuchtet
gar zu sehr das Bewußtsein darüber, mit Kerzen, aus allen
Fabriken, anstatt dem Gehen und Kommen der Sonne sich
ruhiger hinzugeben. Sie sind dort bis zu den unbefangensten
Tiefen der Menschheit in der letzten Zeit mit ihren Ausputz-
werkzeugen hingedrungen und geeilt: und ich fürchte, jetzt
grad, eine größere und allgemeinere Schwäche und Anma-
ßung; und will Sie, um Ihnen unangenehme Empfindungen
zu ersparen, nur darauf aufmerksam machen. Solches alles
gilt aber nur von jeder Stadt, wenn man sie zusammen sich
vorstellt; und man kann die eine freie, eine sinnige nennen,
wo viele Einzelne dem Publikum mit ihren Gedanken und
Verständnissen vor sind, große Künstler fassen, und große
Bücher, die sie über die Beschaffenheit des Augenblicks, in dem
sie leben und schaffen müssen, erheben. Eine solche Stadt,
sein Sie gewiß, ist Berlin, wenn auch die, welche sie dazu
machen, grade nicht das Glück haben Sie persönlich zu ken-
nen. Dies wollt' ich Ihnen nur, bei dem flüchtigen, geschäft-
und errignißreichen Aufenthalt dort, vor die Augen halten,

gentlich nicht; aber ich fürchte, daß Sie das nicht zu deuten
verſtehn, und Ihnen das einen unangenehmen Eindruck macht;
und daß Sie gar — Gott behüte und bewahre! — ſich dar-
nach richten wollen. Das fürchte ich; und darum ward ich
hier ſo breit; in der Tiefe war wirklich der Aufſchluß dieſes
Schwächenzuſtandes nicht nachzuweiſen; ſondern in der län-
geren Ausdehnung eines Aufenthaltes in Berlin, den ich ge-
macht
. Jetzt mag unſere Stadt nun wohl noch mehr davon
befallen ſein, als vor drei oder mehreren Jahren: ſie putzt
und ſchnäbelt gar zu viel an ihrem Kunſtgefühl, beleuchtet
gar zu ſehr das Bewußtſein darüber, mit Kerzen, aus allen
Fabriken, anſtatt dem Gehen und Kommen der Sonne ſich
ruhiger hinzugeben. Sie ſind dort bis zu den unbefangenſten
Tiefen der Menſchheit in der letzten Zeit mit ihren Ausputz-
werkzeugen hingedrungen und geeilt: und ich fürchte, jetzt
grad, eine größere und allgemeinere Schwäche und Anma-
ßung; und will Sie, um Ihnen unangenehme Empfindungen
zu erſparen, nur darauf aufmerkſam machen. Solches alles
gilt aber nur von jeder Stadt, wenn man ſie zuſammen ſich
vorſtellt; und man kann die eine freie, eine ſinnige nennen,
wo viele Einzelne dem Publikum mit ihren Gedanken und
Verſtändniſſen vor ſind, große Künſtler faſſen, und große
Bücher, die ſie über die Beſchaffenheit des Augenblicks, in dem
ſie leben und ſchaffen müſſen, erheben. Eine ſolche Stadt,
ſein Sie gewiß, iſt Berlin, wenn auch die, welche ſie dazu
machen, grade nicht das Glück haben Sie perſönlich zu ken-
nen. Dies wollt’ ich Ihnen nur, bei dem flüchtigen, geſchäft-
und errignißreichen Aufenthalt dort, vor die Augen halten,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0503" n="495"/>
gentlich nicht; aber ich fürchte, daß <hi rendition="#g">Sie</hi> das nicht zu deuten<lb/>
ver&#x017F;tehn, und Ihnen das einen unangenehmen Eindruck macht;<lb/>
und daß Sie gar &#x2014; Gott behüte und bewahre! &#x2014; &#x017F;ich dar-<lb/>
nach richten wollen. Das fürchte ich; und darum ward ich<lb/>
hier &#x017F;o breit; in der Tiefe war wirklich der Auf&#x017F;chluß die&#x017F;es<lb/>
Schwächenzu&#x017F;tandes nicht nachzuwei&#x017F;en; &#x017F;ondern in der län-<lb/>
geren Ausdehnung eines Aufenthaltes in Berlin, den ich <hi rendition="#g">ge-<lb/>
macht</hi>. Jetzt mag un&#x017F;ere Stadt nun wohl noch mehr davon<lb/>
befallen &#x017F;ein, als vor drei oder mehreren Jahren: &#x017F;ie putzt<lb/>
und &#x017F;chnäbelt gar zu viel an ihrem Kun&#x017F;tgefühl, beleuchtet<lb/>
gar zu &#x017F;ehr das Bewußt&#x017F;ein darüber, mit Kerzen, aus allen<lb/>
Fabriken, an&#x017F;tatt dem Gehen und Kommen der Sonne &#x017F;ich<lb/>
ruhiger hinzugeben. Sie &#x017F;ind dort bis zu den unbefangen&#x017F;ten<lb/>
Tiefen der Men&#x017F;chheit in der letzten Zeit mit ihren Ausputz-<lb/>
werkzeugen hingedrungen und geeilt: und ich fürchte, jetzt<lb/>
grad, eine größere und allgemeinere Schwäche und Anma-<lb/>
ßung; und will Sie, um Ihnen unangenehme Empfindungen<lb/>
zu er&#x017F;paren, nur darauf aufmerk&#x017F;am machen. Solches alles<lb/>
gilt aber nur von jeder Stadt, wenn man &#x017F;ie zu&#x017F;ammen &#x017F;ich<lb/>
vor&#x017F;tellt; und man kann <hi rendition="#g">die</hi> eine freie, eine &#x017F;innige nennen,<lb/>
wo viele Einzelne dem Publikum mit ihren Gedanken und<lb/>
Ver&#x017F;tändni&#x017F;&#x017F;en vor &#x017F;ind, große Kün&#x017F;tler fa&#x017F;&#x017F;en, und große<lb/>
Bücher, die &#x017F;ie über die Be&#x017F;chaffenheit des Augenblicks, in dem<lb/>
&#x017F;ie leben und &#x017F;chaffen mü&#x017F;&#x017F;en, erheben. Eine &#x017F;olche Stadt,<lb/>
&#x017F;ein Sie gewiß, <hi rendition="#g">i&#x017F;t Berlin</hi>, wenn auch die, welche &#x017F;ie dazu<lb/>
machen, grade nicht das Glück haben Sie per&#x017F;önlich zu ken-<lb/>
nen. Dies wollt&#x2019; ich Ihnen nur, bei dem flüchtigen, ge&#x017F;chäft-<lb/>
und errignißreichen Aufenthalt dort, vor die Augen halten,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[495/0503] gentlich nicht; aber ich fürchte, daß Sie das nicht zu deuten verſtehn, und Ihnen das einen unangenehmen Eindruck macht; und daß Sie gar — Gott behüte und bewahre! — ſich dar- nach richten wollen. Das fürchte ich; und darum ward ich hier ſo breit; in der Tiefe war wirklich der Aufſchluß dieſes Schwächenzuſtandes nicht nachzuweiſen; ſondern in der län- geren Ausdehnung eines Aufenthaltes in Berlin, den ich ge- macht. Jetzt mag unſere Stadt nun wohl noch mehr davon befallen ſein, als vor drei oder mehreren Jahren: ſie putzt und ſchnäbelt gar zu viel an ihrem Kunſtgefühl, beleuchtet gar zu ſehr das Bewußtſein darüber, mit Kerzen, aus allen Fabriken, anſtatt dem Gehen und Kommen der Sonne ſich ruhiger hinzugeben. Sie ſind dort bis zu den unbefangenſten Tiefen der Menſchheit in der letzten Zeit mit ihren Ausputz- werkzeugen hingedrungen und geeilt: und ich fürchte, jetzt grad, eine größere und allgemeinere Schwäche und Anma- ßung; und will Sie, um Ihnen unangenehme Empfindungen zu erſparen, nur darauf aufmerkſam machen. Solches alles gilt aber nur von jeder Stadt, wenn man ſie zuſammen ſich vorſtellt; und man kann die eine freie, eine ſinnige nennen, wo viele Einzelne dem Publikum mit ihren Gedanken und Verſtändniſſen vor ſind, große Künſtler faſſen, und große Bücher, die ſie über die Beſchaffenheit des Augenblicks, in dem ſie leben und ſchaffen müſſen, erheben. Eine ſolche Stadt, ſein Sie gewiß, iſt Berlin, wenn auch die, welche ſie dazu machen, grade nicht das Glück haben Sie perſönlich zu ken- nen. Dies wollt’ ich Ihnen nur, bei dem flüchtigen, geſchäft- und errignißreichen Aufenthalt dort, vor die Augen halten,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/503
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/503>, abgerufen am 04.05.2024.