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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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andern? Wenn wir denken, können wir nicht beten, und
unterhalten wir uns dann weniger mit dem höchsten, alles
verstehenden Geist? Ist Gott fragen, oder zu ihm beten,
nicht Eins? Wenn auch das Eine mehr ein Genießen, ein
Seligsein? Kann ich mir kindisch den höchsten Geist denken,
wie ich selbst nicht mehr bin? daß er gelobt, gepriesen, gehal-
lelujat sein will? Verstehen, begreifen muß ich ihn; immer
mehr von ihm, durch ihn wissen; empfinden muß ich ihn;
mit ihm sein können; so viel als möglich; immer mehr!
Wenn meine Thätigkeitskräfte sinken, die Verständnißgaben
nicht mehr hinreichen, nichts mehr das Innerste von uns, das
Herz, erleuchten, ihm antworten, es beruhigen kann: wenn wir
erliegen in Entzücken oder Angst, dann strömt das Gebet!
Ein anderes, als das uns aufgegebene Dasein hebt an, wir
haben eine augenblickliche Kraft, eben weil die andern Kräfte
schweigen, aufzufahren, ohne hiesige Bedingung. Kurz, es ist
dumm und frevelhaft, vom Gebet und seinen Erhörungen zu
sprechen, weil wir eben durchaus zu einem andern Dasein, zu
einer andern Thätigkeit ausgestattet sind. Ganz anders; ohne
Sinne, Glieder und Verstand, wären wir; sollten wir nur
beten: und beten, anstatt ringen, denken; ja, sogar thun.
Beten stärkt, erhellt die innere Richtschnur. Ein Gedanke an
Gott ist beten. Heilige, fromme, ernste, rechtliche Vorsätze
sind beten. Gründlich, recht, angestrengt, ohne Eitelkeit tief
nachdenken, ergründen, ist beten. Wenn sonst hier nichts,
und nichts besseres zu thun wäre, als Beten, Lavaters Beten;
wie müßt' ich mir den höchsten Geist denken? Ich soll beten
bis er mich erhellt, wieder zu sich, oder überhaupt mich ihm

andern? Wenn wir denken, können wir nicht beten, und
unterhalten wir uns dann weniger mit dem höchſten, alles
verſtehenden Geiſt? Iſt Gott fragen, oder zu ihm beten,
nicht Eins? Wenn auch das Eine mehr ein Genießen, ein
Seligſein? Kann ich mir kindiſch den höchſten Geiſt denken,
wie ich ſelbſt nicht mehr bin? daß er gelobt, geprieſen, gehal-
lelujat ſein will? Verſtehen, begreifen muß ich ihn; immer
mehr von ihm, durch ihn wiſſen; empfinden muß ich ihn;
mit ihm ſein können; ſo viel als möglich; immer mehr!
Wenn meine Thätigkeitskräfte ſinken, die Verſtändnißgaben
nicht mehr hinreichen, nichts mehr das Innerſte von uns, das
Herz, erleuchten, ihm antworten, es beruhigen kann: wenn wir
erliegen in Entzücken oder Angſt, dann ſtrömt das Gebet!
Ein anderes, als das uns aufgegebene Daſein hebt an, wir
haben eine augenblickliche Kraft, eben weil die andern Kräfte
ſchweigen, aufzufahren, ohne hieſige Bedingung. Kurz, es iſt
dumm und frevelhaft, vom Gebet und ſeinen Erhörungen zu
ſprechen, weil wir eben durchaus zu einem andern Daſein, zu
einer andern Thätigkeit ausgeſtattet ſind. Ganz anders; ohne
Sinne, Glieder und Verſtand, wären wir; ſollten wir nur
beten: und beten, anſtatt ringen, denken; ja, ſogar thun.
Beten ſtärkt, erhellt die innere Richtſchnur. Ein Gedanke an
Gott iſt beten. Heilige, fromme, ernſte, rechtliche Vorſätze
ſind beten. Gründlich, recht, angeſtrengt, ohne Eitelkeit tief
nachdenken, ergründen, iſt beten. Wenn ſonſt hier nichts,
und nichts beſſeres zu thun wäre, als Beten, Lavaters Beten;
wie müßt’ ich mir den höchſten Geiſt denken? Ich ſoll beten
bis er mich erhellt, wieder zu ſich, oder überhaupt mich ihm

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[440/0448] andern? Wenn wir denken, können wir nicht beten, und unterhalten wir uns dann weniger mit dem höchſten, alles verſtehenden Geiſt? Iſt Gott fragen, oder zu ihm beten, nicht Eins? Wenn auch das Eine mehr ein Genießen, ein Seligſein? Kann ich mir kindiſch den höchſten Geiſt denken, wie ich ſelbſt nicht mehr bin? daß er gelobt, geprieſen, gehal- lelujat ſein will? Verſtehen, begreifen muß ich ihn; immer mehr von ihm, durch ihn wiſſen; empfinden muß ich ihn; mit ihm ſein können; ſo viel als möglich; immer mehr! Wenn meine Thätigkeitskräfte ſinken, die Verſtändnißgaben nicht mehr hinreichen, nichts mehr das Innerſte von uns, das Herz, erleuchten, ihm antworten, es beruhigen kann: wenn wir erliegen in Entzücken oder Angſt, dann ſtrömt das Gebet! Ein anderes, als das uns aufgegebene Daſein hebt an, wir haben eine augenblickliche Kraft, eben weil die andern Kräfte ſchweigen, aufzufahren, ohne hieſige Bedingung. Kurz, es iſt dumm und frevelhaft, vom Gebet und ſeinen Erhörungen zu ſprechen, weil wir eben durchaus zu einem andern Daſein, zu einer andern Thätigkeit ausgeſtattet ſind. Ganz anders; ohne Sinne, Glieder und Verſtand, wären wir; ſollten wir nur beten: und beten, anſtatt ringen, denken; ja, ſogar thun. Beten ſtärkt, erhellt die innere Richtſchnur. Ein Gedanke an Gott iſt beten. Heilige, fromme, ernſte, rechtliche Vorſätze ſind beten. Gründlich, recht, angeſtrengt, ohne Eitelkeit tief nachdenken, ergründen, iſt beten. Wenn ſonſt hier nichts, und nichts beſſeres zu thun wäre, als Beten, Lavaters Beten; wie müßt’ ich mir den höchſten Geiſt denken? Ich ſoll beten bis er mich erhellt, wieder zu ſich, oder überhaupt mich ihm

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/448>, abgerufen am 23.11.2024.