Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

hin gerichtete Korrespondenz habe: Nerven, die kein Federfüh-
ren mehr dulden wollen; und keinen Augenblick, der mir ge-
hört. Dies letzte ist Leben tödtend! In der Art ärgerte
mich eben jetzt einer bis zu Krämpfen. Diese meine Nerven
nun, und dies Letztgenannte, ist die Säge, die mir schmerzhaft
in jedem Augenblick das Leben todt sägt; ohne daß ich den
rechten Ruhetodt davon erlangte. Dabei hab' ich noch meine
lebenvolle Natur in mir; also vielerlei momentane, unnennbare
Genüsse, die aber immer seltener werden; und diese Natur, die
Glück bringen könnte, und einzig fordert; ist meine Folter.
Sie sehen, wie ich in und nach dieser Störung schreiben muß!
Sie ergänzen sich gewiß mein Leben, aus Ihrem! Leidet Wolt-
mann diesen Winter auch so? Wo waren Sie im Sommer?
Wohnen Sie noch auf dem Hradschin? Setzen Sie Ihren
angefangenen sehr schönen Roman fort? Waren Sie in Tö-
plitz? Die hiesigen, von den Hiesigen so sehr gelobten Berge,
das überlobte Baden-Baden, sind nichts gegen Böhmen,
Töplitz, Karlsbad, Prag! der Ort hier eine kleine Residenz;
keine Hauptstadt, eines hauptlandes. Also nicht viel zu ho-
len: außer für Leute, die immer holen; und also doppelt ver-
missen, daß ihnen nicht auch Vieles und Neues, und materiell
Großes vor die Augen tritt. Solcher bin ich: ich hasse Ein-
samkeit; muß Ruhe haben, und will leben sehen. Mein
Leben ist mir weit weggekommen: es ist und war nur ein Be-
schauen, Urtheilen, und Helfen. Man irrt sich am längsten
über sich. Doch ist Bildung aller Art, und Luxus hier: wie
in jedem Winkel Deutschlands: und in Pausch und Bogen
lebt man wie allerwärts. Thee, Meubel, Blumen, Petinet,

Be-

hin gerichtete Korreſpondenz habe: Nerven, die kein Federfüh-
ren mehr dulden wollen; und keinen Augenblick, der mir ge-
hört. Dies letzte iſt Leben tödtend! In der Art ärgerte
mich eben jetzt einer bis zu Krämpfen. Dieſe meine Nerven
nun, und dies Letztgenannte, iſt die Säge, die mir ſchmerzhaft
in jedem Augenblick das Leben todt ſägt; ohne daß ich den
rechten Ruhetodt davon erlangte. Dabei hab’ ich noch meine
lebenvolle Natur in mir; alſo vielerlei momentane, unnennbare
Genüſſe, die aber immer ſeltener werden; und dieſe Natur, die
Glück bringen könnte, und einzig fordert; iſt meine Folter.
Sie ſehen, wie ich in und nach dieſer Störung ſchreiben muß!
Sie ergänzen ſich gewiß mein Leben, aus Ihrem! Leidet Wolt-
mann dieſen Winter auch ſo? Wo waren Sie im Sommer?
Wohnen Sie noch auf dem Hradſchin? Setzen Sie Ihren
angefangenen ſehr ſchönen Roman fort? Waren Sie in Tö-
plitz? Die hieſigen, von den Hieſigen ſo ſehr gelobten Berge,
das überlobte Baden-Baden, ſind nichts gegen Böhmen,
Töplitz, Karlsbad, Prag! der Ort hier eine kleine Reſidenz;
keine Hauptſtadt, eines hauptlandes. Alſo nicht viel zu ho-
len: außer für Leute, die immer holen; und alſo doppelt ver-
miſſen, daß ihnen nicht auch Vieles und Neues, und materiell
Großes vor die Augen tritt. Solcher bin ich: ich haſſe Ein-
ſamkeit; muß Ruhe haben, und will leben ſehen. Mein
Leben iſt mir weit weggekommen: es iſt und war nur ein Be-
ſchauen, Urtheilen, und Helfen. Man irrt ſich am längſten
über ſich. Doch iſt Bildung aller Art, und Luxus hier: wie
in jedem Winkel Deutſchlands: und in Pauſch und Bogen
lebt man wie allerwärts. Thee, Meubel, Blumen, Petinet,

Be-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0440" n="432"/>
hin gerichtete Korre&#x017F;pondenz habe: Nerven, die kein Federfüh-<lb/>
ren mehr dulden wollen; und keinen Augenblick, der mir ge-<lb/>
hört. Dies <hi rendition="#g">letzte</hi> i&#x017F;t Leben <hi rendition="#g">tödtend</hi>! In der Art ärgerte<lb/>
mich eben jetzt einer bis zu <hi rendition="#g">Krämpfen</hi>. Die&#x017F;e meine Nerven<lb/>
nun, und dies Letztgenannte, i&#x017F;t die Säge, die mir &#x017F;chmerzhaft<lb/>
in jedem Augenblick das Leben todt <hi rendition="#g">&#x017F;ägt</hi>; ohne daß ich den<lb/>
rechten Ruhetodt davon erlangte. Dabei hab&#x2019; ich noch meine<lb/>
lebenvolle Natur in mir; al&#x017F;o vielerlei momentane, unnennbare<lb/>
Genü&#x017F;&#x017F;e, die aber immer &#x017F;eltener werden; und die&#x017F;e Natur, die<lb/>
Glück bringen könnte, und einzig fordert; i&#x017F;t meine <hi rendition="#g">Folter</hi>.<lb/>
Sie &#x017F;ehen, wie ich in und nach die&#x017F;er Störung &#x017F;chreiben muß!<lb/>
Sie ergänzen &#x017F;ich gewiß mein Leben, aus Ihrem! Leidet Wolt-<lb/>
mann die&#x017F;en Winter auch &#x017F;o? Wo waren Sie im Sommer?<lb/>
Wohnen Sie noch auf dem Hrad&#x017F;chin? Setzen Sie Ihren<lb/>
angefangenen &#x017F;ehr &#x017F;chönen Roman fort? Waren Sie in Tö-<lb/>
plitz? Die hie&#x017F;igen, von den Hie&#x017F;igen &#x017F;o &#x017F;ehr gelobten Berge,<lb/>
das überlobte Baden-Baden, &#x017F;ind nichts gegen <hi rendition="#g">Böhmen</hi>,<lb/>
Töplitz, Karlsbad, <hi rendition="#g">Prag</hi>! der Ort hier eine kleine <hi rendition="#g">Re&#x017F;idenz</hi>;<lb/>
keine Haupt&#x017F;tadt, eines hauptlandes. Al&#x017F;o nicht viel zu ho-<lb/>
len: außer für Leute, die immer holen; und al&#x017F;o doppelt ver-<lb/>
mi&#x017F;&#x017F;en, daß ihnen nicht auch Vieles und Neues, und materiell<lb/>
Großes vor die Augen tritt. Solcher bin ich: ich ha&#x017F;&#x017F;e Ein-<lb/>
&#x017F;amkeit; <hi rendition="#g">muß</hi> Ruhe haben, und will leben <hi rendition="#g">&#x017F;ehen. Mein</hi><lb/>
Leben i&#x017F;t mir weit weggekommen: es i&#x017F;t und war nur ein Be-<lb/>
&#x017F;chauen, Urtheilen, und Helfen. Man irrt &#x017F;ich am läng&#x017F;ten<lb/>
über &#x017F;ich. Doch i&#x017F;t Bildung aller Art, und Luxus hier: wie<lb/>
in jedem <hi rendition="#g">Winkel</hi> Deut&#x017F;chlands: und in Pau&#x017F;ch und Bogen<lb/>
lebt man wie allerwärts. Thee, Meubel, Blumen, Petinet,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Be-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[432/0440] hin gerichtete Korreſpondenz habe: Nerven, die kein Federfüh- ren mehr dulden wollen; und keinen Augenblick, der mir ge- hört. Dies letzte iſt Leben tödtend! In der Art ärgerte mich eben jetzt einer bis zu Krämpfen. Dieſe meine Nerven nun, und dies Letztgenannte, iſt die Säge, die mir ſchmerzhaft in jedem Augenblick das Leben todt ſägt; ohne daß ich den rechten Ruhetodt davon erlangte. Dabei hab’ ich noch meine lebenvolle Natur in mir; alſo vielerlei momentane, unnennbare Genüſſe, die aber immer ſeltener werden; und dieſe Natur, die Glück bringen könnte, und einzig fordert; iſt meine Folter. Sie ſehen, wie ich in und nach dieſer Störung ſchreiben muß! Sie ergänzen ſich gewiß mein Leben, aus Ihrem! Leidet Wolt- mann dieſen Winter auch ſo? Wo waren Sie im Sommer? Wohnen Sie noch auf dem Hradſchin? Setzen Sie Ihren angefangenen ſehr ſchönen Roman fort? Waren Sie in Tö- plitz? Die hieſigen, von den Hieſigen ſo ſehr gelobten Berge, das überlobte Baden-Baden, ſind nichts gegen Böhmen, Töplitz, Karlsbad, Prag! der Ort hier eine kleine Reſidenz; keine Hauptſtadt, eines hauptlandes. Alſo nicht viel zu ho- len: außer für Leute, die immer holen; und alſo doppelt ver- miſſen, daß ihnen nicht auch Vieles und Neues, und materiell Großes vor die Augen tritt. Solcher bin ich: ich haſſe Ein- ſamkeit; muß Ruhe haben, und will leben ſehen. Mein Leben iſt mir weit weggekommen: es iſt und war nur ein Be- ſchauen, Urtheilen, und Helfen. Man irrt ſich am längſten über ſich. Doch iſt Bildung aller Art, und Luxus hier: wie in jedem Winkel Deutſchlands: und in Pauſch und Bogen lebt man wie allerwärts. Thee, Meubel, Blumen, Petinet, Be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/440
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/440>, abgerufen am 22.12.2024.