fressen, im vierzigsten Jahre! Verblendet oft konnten wir al- len fremden Augen erscheinen: mußten es, und thaten es; uns nur allein blieb auch darüber Bewußtsein. -- Auch ich möchte dir all mein Innres sagen: da ich es nun niemand mehr sage. Aber nur dir allein, in der Welt. Darum kann ich dir nicht darüber schreiben, und daß ich das nicht kann, stört mich so sehr. Ich fürchte aus Stimmungen, aus einzelnen Äußerungen möchtest du falsch errathen. Wisse so- viel, ich hab' mich nicht geändert: nicht von lange her, nicht von kürzerer Zeit her; und es ist doch so, wie ich dir zu er- zählen, zu zeigen habe. Keine Leidenschaft wogt mir im Herzen; kein Schmerz darüber brennt darin: nur inkommo- dirt, ennuyirt, ergötzt, unterhalten, erhoben kann ich noch wer- den. Soviel wisse. Auf dich hoffe ich nicht allein, sondern rechne ich. -- Ich wußte es vorher, daß die Gräfin sich nicht ändert. Daß Burgsdorf sich so platt geäußert habe, glaub[ - 1 Zeichen fehlt] ich wieder nicht; er wird etwas gesagt haben, welches man sich so auslegen kann. -- Wenn du still, einsam in unsern Straßen gehst, denk' an mich, und bete für mich, daß ich hinkomme! hinkomme, wo ich so viel litt, und lebte, und empfand. --
An Wilhelm Neumann, in Koblenz.
Frankfurt a. M. den 7. März 1816.
Lieber oller Neumann, ich bin ganz beschämt, daß Sie so unterwürfig gegen mich sind; wenn Sie sich so stellen, wo
freſſen, im vierzigſten Jahre! Verblendet oft konnten wir al- len fremden Augen erſcheinen: mußten es, und thaten es; uns nur allein blieb auch darüber Bewußtſein. — Auch ich möchte dir all mein Innres ſagen: da ich es nun niemand mehr ſage. Aber nur dir allein, in der Welt. Darum kann ich dir nicht darüber ſchreiben, und daß ich das nicht kann, ſtört mich ſo ſehr. Ich fürchte aus Stimmungen, aus einzelnen Äußerungen möchteſt du falſch errathen. Wiſſe ſo- viel, ich hab’ mich nicht geändert: nicht von lange her, nicht von kürzerer Zeit her; und es iſt doch ſo, wie ich dir zu er- zählen, zu zeigen habe. Keine Leidenſchaft wogt mir im Herzen; kein Schmerz darüber brennt darin: nur inkommo- dirt, ennuyirt, ergötzt, unterhalten, erhoben kann ich noch wer- den. Soviel wiſſe. Auf dich hoffe ich nicht allein, ſondern rechne ich. — Ich wußte es vorher, daß die Gräfin ſich nicht ändert. Daß Burgsdorf ſich ſo platt geäußert habe, glaub[ – 1 Zeichen fehlt] ich wieder nicht; er wird etwas geſagt haben, welches man ſich ſo auslegen kann. — Wenn du ſtill, einſam in unſern Straßen gehſt, denk’ an mich, und bete für mich, daß ich hinkomme! hinkomme, wo ich ſo viel litt, und lebte, und empfand. —
An Wilhelm Neumann, in Koblenz.
Frankfurt a. M. den 7. März 1816.
Lieber oller Neumann, ich bin ganz beſchämt, daß Sie ſo unterwürfig gegen mich ſind; wenn Sie ſich ſo ſtellen, wo
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0394"n="386"/>
freſſen, im vierzigſten Jahre! Verblendet oft konnten wir <hirendition="#g">al-<lb/>
len</hi> fremden Augen erſcheinen: mußten es, und thaten es;<lb/>
uns nur allein blieb auch darüber Bewußtſein. — Auch ich<lb/>
möchte dir <hirendition="#g">all</hi> mein Innres ſagen: da ich es <hirendition="#g">nun niemand</hi><lb/>
mehr ſage. Aber nur dir <hirendition="#g">allein</hi>, in <hirendition="#g">der Welt. Darum</hi><lb/>
kann ich dir nicht darüber ſchreiben, und daß ich das nicht<lb/>
kann, ſtört mich ſo ſehr. Ich fürchte aus Stimmungen, aus<lb/>
einzelnen Äußerungen möchteſt du falſch errathen. Wiſſe ſo-<lb/>
viel, ich hab’ mich nicht geändert: nicht von lange her, nicht<lb/>
von kürzerer Zeit her; und es iſt doch ſo, wie ich dir zu er-<lb/>
zählen, zu zeigen habe. Keine Leidenſchaft wogt mir im<lb/>
Herzen; kein Schmerz darüber brennt darin: nur inkommo-<lb/>
dirt, ennuyirt, ergötzt, unterhalten, erhoben kann ich noch wer-<lb/>
den. Soviel wiſſe. Auf dich hoffe ich nicht allein, ſondern<lb/>
rechne ich. — Ich wußte es vorher, daß die Gräfin ſich <hirendition="#g">nicht</hi><lb/>
ändert. Daß Burgsdorf ſich ſo platt geäußert habe, glaub<gapunit="chars"quantity="1"/><lb/>
ich wieder nicht; er wird etwas geſagt haben, welches man<lb/>ſich ſo auslegen kann. — Wenn du ſtill, einſam in unſern<lb/>
Straßen gehſt, denk’ an mich, und bete für mich, daß ich<lb/>
hinkomme! hinkomme, wo ich ſo viel litt, und lebte, und<lb/>
empfand. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Wilhelm Neumann, in Koblenz.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Frankfurt a. M. den 7. März 1816.</hi></dateline><lb/><p>Lieber oller Neumann, ich bin ganz beſchämt, daß Sie ſo<lb/>
unterwürfig gegen mich ſind; wenn Sie ſich ſo ſtellen, wo<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[386/0394]
freſſen, im vierzigſten Jahre! Verblendet oft konnten wir al-
len fremden Augen erſcheinen: mußten es, und thaten es;
uns nur allein blieb auch darüber Bewußtſein. — Auch ich
möchte dir all mein Innres ſagen: da ich es nun niemand
mehr ſage. Aber nur dir allein, in der Welt. Darum
kann ich dir nicht darüber ſchreiben, und daß ich das nicht
kann, ſtört mich ſo ſehr. Ich fürchte aus Stimmungen, aus
einzelnen Äußerungen möchteſt du falſch errathen. Wiſſe ſo-
viel, ich hab’ mich nicht geändert: nicht von lange her, nicht
von kürzerer Zeit her; und es iſt doch ſo, wie ich dir zu er-
zählen, zu zeigen habe. Keine Leidenſchaft wogt mir im
Herzen; kein Schmerz darüber brennt darin: nur inkommo-
dirt, ennuyirt, ergötzt, unterhalten, erhoben kann ich noch wer-
den. Soviel wiſſe. Auf dich hoffe ich nicht allein, ſondern
rechne ich. — Ich wußte es vorher, daß die Gräfin ſich nicht
ändert. Daß Burgsdorf ſich ſo platt geäußert habe, glaub_
ich wieder nicht; er wird etwas geſagt haben, welches man
ſich ſo auslegen kann. — Wenn du ſtill, einſam in unſern
Straßen gehſt, denk’ an mich, und bete für mich, daß ich
hinkomme! hinkomme, wo ich ſo viel litt, und lebte, und
empfand. —
An Wilhelm Neumann, in Koblenz.
Frankfurt a. M. den 7. März 1816.
Lieber oller Neumann, ich bin ganz beſchämt, daß Sie ſo
unterwürfig gegen mich ſind; wenn Sie ſich ſo ſtellen, wo
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/394>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.