heiten, stillsitzend, und zur Bewunderung einer Masse von Menschen, die doch alle acht Groschen haben, beweisen zu las- sen, wie entfernt unsere Nation von aller Kunst ist; durch zehnfach mißverstandene Ausübung einer, die die meisten ge- braucht, und, wie jede von ihnen, alle in sich begreift; einer Kunst, die den Menschen so natürlich ist, daß sie durch eine Schule von verrenkten Ein- und Ansichten erst aus ihnen muß ausgerottet werden: von welcher Schule -- wie selten gelingt dergleichen! -- Rebenstein ein lebendiges Ideal ist; zur sicht- baren Glorie des großen Meisters. Amen! Ich brauche Luft! denn ich schöpfte nicht Athem vor Disgust. Leben Sie wohl! Und ver- dienen Sie solche lange Briefe durch eben so lange.
R. R.
Aus Alexanders von der Marwitz Erinnerungsblättern.
März, 1812.
Rahel erzählte, wie sie, während des albernsten Gesprächs Anderer, die tiefsten, göttlichsten Gedanken gehabt habe. "Nein, Marwitz, sagte sie, und es flog mir wie ein Strom, über den lauter solche Zweige liegen, broussailles, und die Andern mer- ken ihn gar nicht, weil sie nur das Grüne sehn."
"Und wir sprachen wie der Wind, der hoch über die Erde weggeht, und die Erde merkt es gar nicht" sagte sie ein an- dermal von einem leidenschaftlichen Gespräch, daß sie in Ge- genwart insipider Menschen geführt hatte.
heiten, ſtillſitzend, und zur Bewunderung einer Maſſe von Menſchen, die doch alle acht Groſchen haben, beweiſen zu laſ- ſen, wie entfernt unſere Nation von aller Kunſt iſt; durch zehnfach mißverſtandene Ausübung einer, die die meiſten ge- braucht, und, wie jede von ihnen, alle in ſich begreift; einer Kunſt, die den Menſchen ſo natürlich iſt, daß ſie durch eine Schule von verrenkten Ein- und Anſichten erſt aus ihnen muß ausgerottet werden: von welcher Schule — wie ſelten gelingt dergleichen! — Rebenſtein ein lebendiges Ideal iſt; zur ſicht- baren Glorie des großen Meiſters. Amen! Ich brauche Luft! denn ich ſchöpfte nicht Athem vor Disguſt. Leben Sie wohl! Und ver- dienen Sie ſolche lange Briefe durch eben ſo lange.
R. R.
Aus Alexanders von der Marwitz Erinnerungsblättern.
März, 1812.
Rahel erzählte, wie ſie, während des albernſten Geſprächs Anderer, die tiefſten, göttlichſten Gedanken gehabt habe. „Nein, Marwitz, ſagte ſie, und es flog mir wie ein Strom, über den lauter ſolche Zweige liegen, broussailles, und die Andern mer- ken ihn gar nicht, weil ſie nur das Grüne ſehn.“
„Und wir ſprachen wie der Wind, der hoch über die Erde weggeht, und die Erde merkt es gar nicht“ ſagte ſie ein an- dermal von einem leidenſchaftlichen Geſpräch, daß ſie in Ge- genwart inſipider Menſchen geführt hatte.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0038"n="30"/>
heiten, ſtillſitzend, und zur Bewunderung einer Maſſe von<lb/>
Menſchen, die doch alle acht Groſchen haben, beweiſen zu laſ-<lb/>ſen, wie entfernt unſere Nation von aller Kunſt iſt; durch<lb/>
zehnfach mißverſtandene Ausübung einer, die die meiſten ge-<lb/>
braucht, und, wie jede von ihnen, alle in ſich begreift; einer<lb/>
Kunſt, die den Menſchen ſo natürlich iſt, daß ſie durch eine<lb/>
Schule von verrenkten Ein- und Anſichten erſt aus ihnen muß<lb/>
ausgerottet werden: von welcher Schule — wie ſelten gelingt<lb/>
dergleichen! — Rebenſtein ein lebendiges Ideal iſt; zur ſicht-<lb/>
baren Glorie des großen Meiſters. Amen! Ich brauche Luft! denn<lb/>
ich ſchöpfte nicht Athem vor Disguſt. Leben Sie wohl! Und ver-<lb/>
dienen Sie ſolche lange Briefe durch eben ſo lange.</p><closer><salute><hirendition="#et">R. R.</hi></salute></closer></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>Aus Alexanders von der Marwitz Erinnerungsblättern.</head><lb/><dateline><hirendition="#right">März, 1812.</hi></dateline><lb/><p>Rahel erzählte, wie ſie, während des albernſten Geſprächs<lb/>
Anderer, die tiefſten, göttlichſten Gedanken gehabt habe. „Nein,<lb/>
Marwitz, ſagte ſie, und es flog mir wie ein Strom, über den<lb/>
lauter ſolche Zweige liegen, <hirendition="#aq">broussailles,</hi> und die Andern mer-<lb/>
ken ihn gar nicht, weil ſie nur das Grüne ſehn.“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>„Und wir ſprachen wie der Wind, der hoch über die Erde<lb/>
weggeht, und die Erde merkt es gar nicht“ſagte ſie ein an-<lb/>
dermal von einem leidenſchaftlichen Geſpräch, daß ſie in Ge-<lb/>
genwart inſipider Menſchen geführt hatte.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></div></body></text></TEI>
[30/0038]
heiten, ſtillſitzend, und zur Bewunderung einer Maſſe von
Menſchen, die doch alle acht Groſchen haben, beweiſen zu laſ-
ſen, wie entfernt unſere Nation von aller Kunſt iſt; durch
zehnfach mißverſtandene Ausübung einer, die die meiſten ge-
braucht, und, wie jede von ihnen, alle in ſich begreift; einer
Kunſt, die den Menſchen ſo natürlich iſt, daß ſie durch eine
Schule von verrenkten Ein- und Anſichten erſt aus ihnen muß
ausgerottet werden: von welcher Schule — wie ſelten gelingt
dergleichen! — Rebenſtein ein lebendiges Ideal iſt; zur ſicht-
baren Glorie des großen Meiſters. Amen! Ich brauche Luft! denn
ich ſchöpfte nicht Athem vor Disguſt. Leben Sie wohl! Und ver-
dienen Sie ſolche lange Briefe durch eben ſo lange.
R. R.
Aus Alexanders von der Marwitz Erinnerungsblättern.
März, 1812.
Rahel erzählte, wie ſie, während des albernſten Geſprächs
Anderer, die tiefſten, göttlichſten Gedanken gehabt habe. „Nein,
Marwitz, ſagte ſie, und es flog mir wie ein Strom, über den
lauter ſolche Zweige liegen, broussailles, und die Andern mer-
ken ihn gar nicht, weil ſie nur das Grüne ſehn.“
„Und wir ſprachen wie der Wind, der hoch über die Erde
weggeht, und die Erde merkt es gar nicht“ ſagte ſie ein an-
dermal von einem leidenſchaftlichen Geſpräch, daß ſie in Ge-
genwart inſipider Menſchen geführt hatte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/38>, abgerufen am 12.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.