Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

ist bang und weh, nicht zu Hause zu sein: nicht allein, weil
Heiligabend ist, sondern weil der mich so recht herb die alte
Heimath bedauren läßt! so kommt man immer mehr ab von
dem Zweck seiner Pläne, durch die Ausübung derselben. "Schritt
vor Schritt, sagt die Prinzeß im Tasso, bis zum Grabe."
Nun, dies Jahr sind wir auch noch getrennt! Voriges Jahr
waren wir noch zusammen, und mancher trostfreundlicher Lands-
mann; wir suchten doch noch das alte Fest durch eine Art
von Anstalt für's Gemüth in Erinnrung herzustellen! Waren
Freundinnen zusammen. Wir wollen es dies Jahr mit den
Gedanken erzwingen! wenn sie auch Thränen pumpen sollten,
wie jetzt bei mir! -- Möchte Ihnen auch vom ersten Januar
ein heiteres erwünschtes Jahr, ohne Ungemach, und äußern
und innren Kampf abfließen! Und mögen Sie recht viel la-
chen, Herz- und Geistesnahrung, in guter Gesundheit finden!
Vor zwei Jahren waren Sie noch krank, und ich schon kränk-
lich in Prag; wir waren Stube an Stube: und ich machte
zwei Jägern, Doren und der keinen Goldschmidt ein kleines
Fest! Dies Jahr bin ich hier bei Herzens -- Klara Herz ist
Mariane Saalings Schwester -- zu einem splendiden Kinder-
bescheeren, wo Minister Humboldt, Graf Flemming, Schlegel
und noch einige eingeladen sind. Vorher, um 5 Uhr, bei
Otterstedts, wo niemand als das Haus und Gräfin Pappen-
heim mit zwei erwachsenen Töchtern sein wird. "Mit frem-
den Augen in die Glückseligkeit schauen", sagt Shakespeare,
als er sich einen beklagen läßt. Genug Worte! Sie wer-
den nun schon wissen, daß mein Herz Heimath überhaupt will:
und ich keine habe; und doch sehr zufrieden sein muß: reden

iſt bang und weh, nicht zu Hauſe zu ſein: nicht allein, weil
Heiligabend iſt, ſondern weil der mich ſo recht herb die alte
Heimath bedauren läßt! ſo kommt man immer mehr ab von
dem Zweck ſeiner Pläne, durch die Ausübung derſelben. „Schritt
vor Schritt, ſagt die Prinzeß im Taſſo, bis zum Grabe.“
Nun, dies Jahr ſind wir auch noch getrennt! Voriges Jahr
waren wir noch zuſammen, und mancher troſtfreundlicher Lands-
mann; wir ſuchten doch noch das alte Feſt durch eine Art
von Anſtalt für’s Gemüth in Erinnrung herzuſtellen! Waren
Freundinnen zuſammen. Wir wollen es dies Jahr mit den
Gedanken erzwingen! wenn ſie auch Thränen pumpen ſollten,
wie jetzt bei mir! — Möchte Ihnen auch vom erſten Januar
ein heiteres erwünſchtes Jahr, ohne Ungemach, und äußern
und innren Kampf abfließen! Und mögen Sie recht viel la-
chen, Herz- und Geiſtesnahrung, in guter Geſundheit finden!
Vor zwei Jahren waren Sie noch krank, und ich ſchon kränk-
lich in Prag; wir waren Stube an Stube: und ich machte
zwei Jägern, Doren und der keinen Goldſchmidt ein kleines
Feſt! Dies Jahr bin ich hier bei Herzens — Klara Herz iſt
Mariane Saalings Schweſter — zu einem ſplendiden Kinder-
beſcheeren, wo Miniſter Humboldt, Graf Flemming, Schlegel
und noch einige eingeladen ſind. Vorher, um 5 Uhr, bei
Otterſtedts, wo niemand als das Haus und Gräfin Pappen-
heim mit zwei erwachſenen Töchtern ſein wird. „Mit frem-
den Augen in die Glückſeligkeit ſchauen“, ſagt Shakeſpeare,
als er ſich einen beklagen läßt. Genug Worte! Sie wer-
den nun ſchon wiſſen, daß mein Herz Heimath überhaupt will:
und ich keine habe; und doch ſehr zufrieden ſein muß: reden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0368" n="360"/>
i&#x017F;t bang und weh, nicht zu Hau&#x017F;e zu &#x017F;ein: nicht allein, weil<lb/>
Heiligabend i&#x017F;t, &#x017F;ondern weil der mich &#x017F;o recht herb die alte<lb/>
Heimath bedauren läßt! &#x017F;o kommt man immer mehr ab von<lb/>
dem Zweck &#x017F;einer Pläne, durch die Ausübung der&#x017F;elben. &#x201E;Schritt<lb/>
vor Schritt, &#x017F;agt die Prinzeß im Ta&#x017F;&#x017F;o, bis zum Grabe.&#x201C;<lb/>
Nun, dies Jahr &#x017F;ind wir auch noch getrennt! Voriges Jahr<lb/>
waren wir noch zu&#x017F;ammen, und mancher tro&#x017F;tfreundlicher Lands-<lb/>
mann; wir <hi rendition="#g">&#x017F;uchten</hi> doch noch das alte Fe&#x017F;t durch eine Art<lb/>
von An&#x017F;talt für&#x2019;s Gemüth in Erinnrung herzu&#x017F;tellen! Waren<lb/>
Freundinnen <hi rendition="#g">zu&#x017F;ammen</hi>. Wir wollen es dies Jahr mit den<lb/>
Gedanken erzwingen! wenn &#x017F;ie auch Thränen pumpen &#x017F;ollten,<lb/>
wie jetzt bei mir! &#x2014; Möchte Ihnen auch vom er&#x017F;ten Januar<lb/>
ein heiteres erwün&#x017F;chtes Jahr, ohne Ungemach, und äußern<lb/>
und innren Kampf abfließen! Und mögen Sie recht viel la-<lb/>
chen, Herz- und Gei&#x017F;tesnahrung, in guter Ge&#x017F;undheit finden!<lb/>
Vor zwei Jahren waren Sie noch krank, und ich &#x017F;chon kränk-<lb/>
lich in Prag; wir waren Stube an Stube: und ich machte<lb/>
zwei Jägern, Doren und der keinen Gold&#x017F;chmidt ein <hi rendition="#g">kleines</hi><lb/>
Fe&#x017F;t! Dies Jahr bin ich hier bei Herzens &#x2014; Klara Herz i&#x017F;t<lb/>
Mariane Saalings Schwe&#x017F;ter &#x2014; zu einem &#x017F;plendiden Kinder-<lb/>
be&#x017F;cheeren, wo Mini&#x017F;ter Humboldt, Graf Flemming, Schlegel<lb/>
und noch einige eingeladen &#x017F;ind. <hi rendition="#g">Vorher</hi>, um 5 Uhr, bei<lb/>
Otter&#x017F;tedts, wo niemand als das Haus und Gräfin Pappen-<lb/>
heim mit zwei erwach&#x017F;enen Töchtern &#x017F;ein wird. &#x201E;Mit frem-<lb/>
den Augen in die Glück&#x017F;eligkeit &#x017F;chauen&#x201C;, &#x017F;agt Shake&#x017F;peare,<lb/>
als er &#x017F;ich einen beklagen läßt. Genug <hi rendition="#g">Worte</hi>! Sie wer-<lb/>
den nun &#x017F;chon wi&#x017F;&#x017F;en, daß mein Herz Heimath überhaupt will:<lb/>
und ich keine habe; und doch &#x017F;ehr zufrieden &#x017F;ein muß: reden<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[360/0368] iſt bang und weh, nicht zu Hauſe zu ſein: nicht allein, weil Heiligabend iſt, ſondern weil der mich ſo recht herb die alte Heimath bedauren läßt! ſo kommt man immer mehr ab von dem Zweck ſeiner Pläne, durch die Ausübung derſelben. „Schritt vor Schritt, ſagt die Prinzeß im Taſſo, bis zum Grabe.“ Nun, dies Jahr ſind wir auch noch getrennt! Voriges Jahr waren wir noch zuſammen, und mancher troſtfreundlicher Lands- mann; wir ſuchten doch noch das alte Feſt durch eine Art von Anſtalt für’s Gemüth in Erinnrung herzuſtellen! Waren Freundinnen zuſammen. Wir wollen es dies Jahr mit den Gedanken erzwingen! wenn ſie auch Thränen pumpen ſollten, wie jetzt bei mir! — Möchte Ihnen auch vom erſten Januar ein heiteres erwünſchtes Jahr, ohne Ungemach, und äußern und innren Kampf abfließen! Und mögen Sie recht viel la- chen, Herz- und Geiſtesnahrung, in guter Geſundheit finden! Vor zwei Jahren waren Sie noch krank, und ich ſchon kränk- lich in Prag; wir waren Stube an Stube: und ich machte zwei Jägern, Doren und der keinen Goldſchmidt ein kleines Feſt! Dies Jahr bin ich hier bei Herzens — Klara Herz iſt Mariane Saalings Schweſter — zu einem ſplendiden Kinder- beſcheeren, wo Miniſter Humboldt, Graf Flemming, Schlegel und noch einige eingeladen ſind. Vorher, um 5 Uhr, bei Otterſtedts, wo niemand als das Haus und Gräfin Pappen- heim mit zwei erwachſenen Töchtern ſein wird. „Mit frem- den Augen in die Glückſeligkeit ſchauen“, ſagt Shakeſpeare, als er ſich einen beklagen läßt. Genug Worte! Sie wer- den nun ſchon wiſſen, daß mein Herz Heimath überhaupt will: und ich keine habe; und doch ſehr zufrieden ſein muß: reden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/368
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/368>, abgerufen am 28.04.2024.