Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

zenskern, liebe und schätze ich noch: aber einen ganzen Men-
schen bewundere ich nicht mehr. Im Ganzen sind sie nicht
besser, als ich. Marwitz war der letzte, den ich über mich
stellte; mit Thränen hat er's gebüßt; und steinern fand
mich dieser Engel; der aber nicht mehr war, als ich! --
Verstehst du mich? Nun will ich dir aber in allen Dingen
aus meinem Herzen keine Mördergrube machen, wie der selige
Möllendorf zu sagen pflegte. Auch über Gegend will ich dir
wahr sprechen -- (schöne Weintrauben! steckt' ich sie dir in
den Mund! Ich gönne mir nichts allein, es freut mich nicht)
-- schon das letztemal, und auch vorletztemal in Töplitz, fand
ich, ein schönes, reizendes Thal wird mit der Zeit fade, durch
seine bestimmten Gesichtspunkte, als ein Berg, oder dergleichen
Hauptpunkte, wenn nicht auch eine öde, unendliche, wüste,
weite, ernste Seite zum Ausweg des beschränktern Daseins da-
bei gelassen ist; so fand ich's in Baden, und hier. Und so
ängstlich das ärmliche Sandthal bei uns durch den Gedanken
wird, daß man ohne unendliches Fahren zu nichts Wohlha-
bendem, Freundlichen kommt, so ist doch die großartige Seite
befriedigt, und affadirt fühlt man sich nie. Dies, was ich
hier nur skizzirt und schlecht ausdrücke, aber bestimmt immer
gefühlt habe, hat gewiß auf uns Brandenburger und Berliner
gewirkt, und längst schon behauptete ich, keine Provinz habe
weniger Narren. --

-- Zu Schl.'s geh' ich nicht mehr; die wissen auch, mei-
ner großen Bescheidenheit wegen nicht, was sie mir schuldig
sind: sie treffen O., der sie nie besucht hatte, und dessen Frau
ihr Gesicht sie nicht kennen, zufällig bei mir: ich amalgamire

sie,

zenskern, liebe und ſchätze ich noch: aber einen ganzen Men-
ſchen bewundere ich nicht mehr. Im Ganzen ſind ſie nicht
beſſer, als ich. Marwitz war der letzte, den ich über mich
ſtellte; mit Thränen hat er’s gebüßt; und ſteinern fand
mich dieſer Engel; der aber nicht mehr war, als ich! —
Verſtehſt du mich? Nun will ich dir aber in allen Dingen
aus meinem Herzen keine Mördergrube machen, wie der ſelige
Möllendorf zu ſagen pflegte. Auch über Gegend will ich dir
wahr ſprechen — (ſchöne Weintrauben! ſteckt’ ich ſie dir in
den Mund! Ich gönne mir nichts allein, es freut mich nicht)
— ſchon das letztemal, und auch vorletztemal in Töplitz, fand
ich, ein ſchönes, reizendes Thal wird mit der Zeit fade, durch
ſeine beſtimmten Geſichtspunkte, als ein Berg, oder dergleichen
Hauptpunkte, wenn nicht auch eine öde, unendliche, wüſte,
weite, ernſte Seite zum Ausweg des beſchränktern Daſeins da-
bei gelaſſen iſt; ſo fand ich’s in Baden, und hier. Und ſo
ängſtlich das ärmliche Sandthal bei uns durch den Gedanken
wird, daß man ohne unendliches Fahren zu nichts Wohlha-
bendem, Freundlichen kommt, ſo iſt doch die großartige Seite
befriedigt, und affadirt fühlt man ſich nie. Dies, was ich
hier nur ſkizzirt und ſchlecht ausdrücke, aber beſtimmt immer
gefühlt habe, hat gewiß auf uns Brandenburger und Berliner
gewirkt, und längſt ſchon behauptete ich, keine Provinz habe
weniger Narren. —

— Zu Schl.’s geh’ ich nicht mehr; die wiſſen auch, mei-
ner großen Beſcheidenheit wegen nicht, was ſie mir ſchuldig
ſind: ſie treffen O., der ſie nie beſucht hatte, und deſſen Frau
ihr Geſicht ſie nicht kennen, zufällig bei mir: ich amalgamire

ſie,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0328" n="320"/>
zenskern, liebe und &#x017F;chätze ich noch: aber einen ganzen Men-<lb/>
&#x017F;chen bewundere ich <hi rendition="#g">nicht mehr</hi>. Im Ganzen &#x017F;ind &#x017F;ie nicht<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er, als ich. Marwitz war der letzte, den ich über mich<lb/>
&#x017F;tellte; mit Thränen hat er&#x2019;s gebüßt; und <hi rendition="#g">&#x017F;teinern</hi> fand<lb/>
mich <hi rendition="#g">die&#x017F;er Engel</hi>; der aber <hi rendition="#g">nicht</hi> mehr war, als <hi rendition="#g">ich</hi>! &#x2014;<lb/>
Ver&#x017F;teh&#x017F;t du mich? Nun will ich dir aber in allen Dingen<lb/>
aus meinem Herzen keine Mördergrube machen, wie der &#x017F;elige<lb/>
Möllendorf zu &#x017F;agen pflegte. Auch über Gegend will ich dir<lb/>
wahr &#x017F;prechen &#x2014; (&#x017F;chöne Weintrauben! &#x017F;teckt&#x2019; ich &#x017F;ie dir in<lb/>
den Mund! Ich gönne mir nichts allein, es freut mich nicht)<lb/>
&#x2014; &#x017F;chon das letztemal, und auch vorletztemal in Töplitz, fand<lb/>
ich, ein &#x017F;chönes, reizendes Thal wird mit der Zeit fade, durch<lb/>
&#x017F;eine be&#x017F;timmten Ge&#x017F;ichtspunkte, als ein Berg, oder dergleichen<lb/>
Hauptpunkte, wenn nicht auch eine öde, unendliche, wü&#x017F;te,<lb/>
weite, ern&#x017F;te Seite zum Ausweg des be&#x017F;chränktern Da&#x017F;eins da-<lb/>
bei gela&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t; &#x017F;o fand ich&#x2019;s in Baden, und hier. Und &#x017F;o<lb/>
äng&#x017F;tlich das ärmliche Sandthal bei uns durch den Gedanken<lb/>
wird, daß man ohne unendliches Fahren zu nichts Wohlha-<lb/>
bendem, Freundlichen kommt, &#x017F;o i&#x017F;t doch die großartige Seite<lb/>
befriedigt, und <hi rendition="#g">affadirt</hi> fühlt man &#x017F;ich nie. Dies, was ich<lb/>
hier nur &#x017F;kizzirt und &#x017F;chlecht ausdrücke, aber be&#x017F;timmt immer<lb/>
gefühlt habe, hat gewiß auf uns Brandenburger und Berliner<lb/>
gewirkt, und läng&#x017F;t &#x017F;chon behauptete ich, keine Provinz habe<lb/>
weniger Narren. &#x2014;</p><lb/>
            <p>&#x2014; Zu Schl.&#x2019;s geh&#x2019; ich nicht mehr; die wi&#x017F;&#x017F;en auch, mei-<lb/>
ner großen Be&#x017F;cheidenheit wegen nicht, was &#x017F;ie mir &#x017F;chuldig<lb/>
&#x017F;ind: &#x017F;ie treffen O., der &#x017F;ie nie be&#x017F;ucht hatte, und de&#x017F;&#x017F;en Frau<lb/>
ihr Ge&#x017F;icht &#x017F;ie nicht kennen, zufällig bei mir: ich amalgamire<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ie,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[320/0328] zenskern, liebe und ſchätze ich noch: aber einen ganzen Men- ſchen bewundere ich nicht mehr. Im Ganzen ſind ſie nicht beſſer, als ich. Marwitz war der letzte, den ich über mich ſtellte; mit Thränen hat er’s gebüßt; und ſteinern fand mich dieſer Engel; der aber nicht mehr war, als ich! — Verſtehſt du mich? Nun will ich dir aber in allen Dingen aus meinem Herzen keine Mördergrube machen, wie der ſelige Möllendorf zu ſagen pflegte. Auch über Gegend will ich dir wahr ſprechen — (ſchöne Weintrauben! ſteckt’ ich ſie dir in den Mund! Ich gönne mir nichts allein, es freut mich nicht) — ſchon das letztemal, und auch vorletztemal in Töplitz, fand ich, ein ſchönes, reizendes Thal wird mit der Zeit fade, durch ſeine beſtimmten Geſichtspunkte, als ein Berg, oder dergleichen Hauptpunkte, wenn nicht auch eine öde, unendliche, wüſte, weite, ernſte Seite zum Ausweg des beſchränktern Daſeins da- bei gelaſſen iſt; ſo fand ich’s in Baden, und hier. Und ſo ängſtlich das ärmliche Sandthal bei uns durch den Gedanken wird, daß man ohne unendliches Fahren zu nichts Wohlha- bendem, Freundlichen kommt, ſo iſt doch die großartige Seite befriedigt, und affadirt fühlt man ſich nie. Dies, was ich hier nur ſkizzirt und ſchlecht ausdrücke, aber beſtimmt immer gefühlt habe, hat gewiß auf uns Brandenburger und Berliner gewirkt, und längſt ſchon behauptete ich, keine Provinz habe weniger Narren. — — Zu Schl.’s geh’ ich nicht mehr; die wiſſen auch, mei- ner großen Beſcheidenheit wegen nicht, was ſie mir ſchuldig ſind: ſie treffen O., der ſie nie beſucht hatte, und deſſen Frau ihr Geſicht ſie nicht kennen, zufällig bei mir: ich amalgamire ſie,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/328
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/328>, abgerufen am 08.05.2024.