und was will die; sie war schön, und edelgeboren! Bei Gott dem Richter! Mein Herz und meine Seele sind eben so schön und so viel werth. Worin hält sie sich wohl für weib- licher? von ihr ärgert mich der grobe gemeine Irrthum für sie! "Anmuth," Lieber, hatte ich nie mehr; dir muß es aber so scheinen: denn du bist wirklich der Mensch, bei dem ich anfing: sollte von Liebe die Rede sein, auch zu fordern. -- In der Erscheinung war ich's nie, graziös. Aber die Grazie des Herzens, die aber nicht durchdringt, hab' ich noch. Wann findet man das nicht? Wo fehlt es? hat es einen ungerech- ten Pulsschlag gegen irgend eine Kreatur! -- will ich für mich besonders mehr? Nicht für alle Menschen, und Thiere fast, dasselbe? Bin ich nicht immer gut; nur aus der Folter gelassen, weich? Mittheilend, theilnehmend, in jeder Minute? "Hülfreich, edel und gut!" wie's Goethe gebeut. O! Gott!
Nun bin ich nicht mehr allein. Moritz ist gekommen mit Ernestine und der Schwiegermutter. Ich bin überzeugt, daß Hr. von Knorr eben so delikat für dich war, als er für sich selbst würde gewesen sein, also bin ich über deine Angelegen- heit ruhig. Mad. Paczkowska hat hier nicht die Leipziger Rollen, sondern die Orsina, Maria Stuart, und in dem ver- bannten Amor, ohne Beifall gespielt: das will aber gar nichts gegen sie sagen: weil sie hier nur ihre Alten mit den alten Fehlern dulden. Ich war krank, und geh gar nicht in's The- ater. Dies für Mad. Brede! Grüße doch den Gr. Bentheim recht besonders von mir, ich denke sehr oft an ihn mit großer Neigung. Hr. Geheimrath Wolf hat mir Woltmanns Über- setzung vom Tacitus gegeben. Das geht zu weit! Ich schäme
und was will die; ſie war ſchön, und edelgeboren! Bei Gott dem Richter! Mein Herz und meine Seele ſind eben ſo ſchön und ſo viel werth. Worin hält ſie ſich wohl für weib- licher? von ihr ärgert mich der grobe gemeine Irrthum für ſie! „Anmuth,“ Lieber, hatte ich nie mehr; dir muß es aber ſo ſcheinen: denn du biſt wirklich der Menſch, bei dem ich anfing: ſollte von Liebe die Rede ſein, auch zu fordern. — In der Erſcheinung war ich’s nie, graziös. Aber die Grazie des Herzens, die aber nicht durchdringt, hab’ ich noch. Wann findet man das nicht? Wo fehlt es? hat es einen ungerech- ten Pulsſchlag gegen irgend eine Kreatur! — will ich für mich beſonders mehr? Nicht für alle Menſchen, und Thiere faſt, daſſelbe? Bin ich nicht immer gut; nur aus der Folter gelaſſen, weich? Mittheilend, theilnehmend, in jeder Minute? „Hülfreich, edel und gut!“ wie’s Goethe gebeut. O! Gott!
Nun bin ich nicht mehr allein. Moritz iſt gekommen mit Erneſtine und der Schwiegermutter. Ich bin überzeugt, daß Hr. von Knorr eben ſo delikat für dich war, als er für ſich ſelbſt würde geweſen ſein, alſo bin ich über deine Angelegen- heit ruhig. Mad. Paczkowska hat hier nicht die Leipziger Rollen, ſondern die Orſina, Maria Stuart, und in dem ver- bannten Amor, ohne Beifall geſpielt: das will aber gar nichts gegen ſie ſagen: weil ſie hier nur ihre Alten mit den alten Fehlern dulden. Ich war krank, und geh gar nicht in’s The- ater. Dies für Mad. Brede! Grüße doch den Gr. Bentheim recht beſonders von mir, ich denke ſehr oft an ihn mit großer Neigung. Hr. Geheimrath Wolf hat mir Woltmanns Über- ſetzung vom Tacitus gegeben. Das geht zu weit! Ich ſchäme
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0032"n="24"/>
und was will <hirendition="#g">die; ſie</hi> war ſchön, und edelgeboren! Bei<lb/>
Gott dem Richter! Mein Herz und meine Seele ſind eben ſo<lb/>ſchön und ſo viel werth. <hirendition="#g">Wo</hi>rin hält ſie ſich wohl für weib-<lb/>
licher? von ihr ärgert mich der grobe gemeine Irrthum <hirendition="#g">für<lb/>ſie</hi>! „Anmuth,“ Lieber, hatte ich nie mehr; dir muß es aber<lb/>ſo ſcheinen: denn du biſt wirklich der Menſch, bei dem ich<lb/>
anfing: ſollte von Liebe die <hirendition="#g">Rede</hi>ſein, auch zu fordern. —<lb/>
In der Erſcheinung war ich’s nie, graziös. Aber die Grazie<lb/>
des Herzens, die aber nicht durchdringt, hab’ ich noch. Wann<lb/>
findet man <hirendition="#g">das</hi> nicht? Wo fehlt es? hat es einen ungerech-<lb/>
ten <hirendition="#g">Puls</hi>ſchlag gegen irgend eine Kreatur! — will ich für<lb/>
mich <hirendition="#g">beſonders</hi> mehr? Nicht für alle Menſchen, und Thiere<lb/>
faſt, daſſelbe? Bin ich nicht immer gut; nur aus der Folter<lb/>
gelaſſen, weich? Mittheilend, theilnehmend, in jeder Minute?<lb/>„Hülfreich, edel und gut!“ wie’s Goethe gebeut. O! Gott!</p><lb/><p>Nun bin ich nicht mehr allein. Moritz iſt gekommen mit<lb/>
Erneſtine und der Schwiegermutter. Ich bin überzeugt, daß<lb/>
Hr. von Knorr eben ſo delikat für dich war, als er für ſich<lb/>ſelbſt würde geweſen ſein, alſo bin ich über deine Angelegen-<lb/>
heit ruhig. Mad. Paczkowska hat hier nicht die Leipziger<lb/>
Rollen, ſondern die Orſina, Maria Stuart, und in dem ver-<lb/>
bannten Amor, ohne Beifall geſpielt: das will aber gar nichts<lb/>
gegen ſie ſagen: weil ſie hier nur ihre Alten mit den <hirendition="#g">alten</hi><lb/>
Fehlern dulden. Ich war krank, und geh <hirendition="#g">gar</hi> nicht in’s The-<lb/>
ater. Dies für Mad. Brede! Grüße doch den Gr. Bentheim<lb/>
recht beſonders von mir, ich denke ſehr oft an ihn mit großer<lb/>
Neigung. Hr. Geheimrath Wolf hat mir Woltmanns Über-<lb/>ſetzung vom Tacitus gegeben. Das geht zu weit! Ich ſchäme<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[24/0032]
und was will die; ſie war ſchön, und edelgeboren! Bei
Gott dem Richter! Mein Herz und meine Seele ſind eben ſo
ſchön und ſo viel werth. Worin hält ſie ſich wohl für weib-
licher? von ihr ärgert mich der grobe gemeine Irrthum für
ſie! „Anmuth,“ Lieber, hatte ich nie mehr; dir muß es aber
ſo ſcheinen: denn du biſt wirklich der Menſch, bei dem ich
anfing: ſollte von Liebe die Rede ſein, auch zu fordern. —
In der Erſcheinung war ich’s nie, graziös. Aber die Grazie
des Herzens, die aber nicht durchdringt, hab’ ich noch. Wann
findet man das nicht? Wo fehlt es? hat es einen ungerech-
ten Pulsſchlag gegen irgend eine Kreatur! — will ich für
mich beſonders mehr? Nicht für alle Menſchen, und Thiere
faſt, daſſelbe? Bin ich nicht immer gut; nur aus der Folter
gelaſſen, weich? Mittheilend, theilnehmend, in jeder Minute?
„Hülfreich, edel und gut!“ wie’s Goethe gebeut. O! Gott!
Nun bin ich nicht mehr allein. Moritz iſt gekommen mit
Erneſtine und der Schwiegermutter. Ich bin überzeugt, daß
Hr. von Knorr eben ſo delikat für dich war, als er für ſich
ſelbſt würde geweſen ſein, alſo bin ich über deine Angelegen-
heit ruhig. Mad. Paczkowska hat hier nicht die Leipziger
Rollen, ſondern die Orſina, Maria Stuart, und in dem ver-
bannten Amor, ohne Beifall geſpielt: das will aber gar nichts
gegen ſie ſagen: weil ſie hier nur ihre Alten mit den alten
Fehlern dulden. Ich war krank, und geh gar nicht in’s The-
ater. Dies für Mad. Brede! Grüße doch den Gr. Bentheim
recht beſonders von mir, ich denke ſehr oft an ihn mit großer
Neigung. Hr. Geheimrath Wolf hat mir Woltmanns Über-
ſetzung vom Tacitus gegeben. Das geht zu weit! Ich ſchäme
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/32>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.