Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

ger zittere ich nun erst für das andere! Ich nenne keinen;
wie die Griechen die Furien umgehen, und wahre Herzens-
angst es immer thut! Nun kann ja Unverstand, Lüge, Irr-
thum auf dem ganzen Grund und Boden der Erde umher-
wuchern, und wie üppiges, ungesteuertes Unkraut ihr alle
Kräfte nehmen und sich aneignen; keiner rottet es mehr aus;
pflanzt, befördert, macht ihm Platz, säet ihn aus, den reinen
nährenden Waizen, der Geschlecht zu Geschlecht verbessernd zu
geleiten vermag! Fichte kann umfallen und faulen! Das ist
nicht Zauber? Krank wie ich war, fand ich es vorgestern
unvermuthet in der hiesigen Zeitung "aus Berliner Blättern."
Ich weiß nicht, ich war beschämter, als erschrocken; so gede-
müthigt! fast beschämt, daß ich leben geblieben, und dann
wieder eine wahre Furcht vor dem Tode empfindend. Wenn
Fichte sterben muß, dann ist niemand sicher; mich dünkte
immer, Leben schützt vor dem Tode: wer lebte mehr als der?
Todt ist er aber nicht, gewiß nicht! -- Fichte konnte also
nicht erleben, daß sich die Länder vom Krieg erholten, Zäune
wieder aufgebaut würden, dem Bauer geholfen, den Gesetzen
nachgeholfen, daß die Schulen sich wieder herstellten und füll-
ten, daß gewitzigte Staatsleute ihnen von den Fürsten Schutz
verschafften! daß Gesetze erfunden und ausgetheilt würden, daß
die Denker frei, ohne den Augenblick zu schaden, sie Volk
und Regenten zur Geistesprüfung vorlegen dürften; dies selbst
ein Glück, zu aller Zukunft Glück! Der Mann, der dies, und
also Deutsches, was allein so genannt werden dürste, nur
einzig und allein beabsichtigte, mißverstanden von den meisten
Mitlebenden! Also auch er soll nicht aufgehn sehn, was er

ger zittere ich nun erſt für das andere! Ich nenne keinen;
wie die Griechen die Furien umgehen, und wahre Herzens-
angſt es immer thut! Nun kann ja Unverſtand, Lüge, Irr-
thum auf dem ganzen Grund und Boden der Erde umher-
wuchern, und wie üppiges, ungeſteuertes Unkraut ihr alle
Kräfte nehmen und ſich aneignen; keiner rottet es mehr aus;
pflanzt, befördert, macht ihm Platz, ſäet ihn aus, den reinen
nährenden Waizen, der Geſchlecht zu Geſchlecht verbeſſernd zu
geleiten vermag! Fichte kann umfallen und faulen! Das iſt
nicht Zauber? Krank wie ich war, fand ich es vorgeſtern
unvermuthet in der hieſigen Zeitung „aus Berliner Blättern.“
Ich weiß nicht, ich war beſchämter, als erſchrocken; ſo gede-
müthigt! faſt beſchämt, daß ich leben geblieben, und dann
wieder eine wahre Furcht vor dem Tode empfindend. Wenn
Fichte ſterben muß, dann iſt niemand ſicher; mich dünkte
immer, Leben ſchützt vor dem Tode: wer lebte mehr als der?
Todt iſt er aber nicht, gewiß nicht! — Fichte konnte alſo
nicht erleben, daß ſich die Länder vom Krieg erholten, Zäune
wieder aufgebaut würden, dem Bauer geholfen, den Geſetzen
nachgeholfen, daß die Schulen ſich wieder herſtellten und füll-
ten, daß gewitzigte Staatsleute ihnen von den Fürſten Schutz
verſchafften! daß Geſetze erfunden und ausgetheilt würden, daß
die Denker frei, ohne den Augenblick zu ſchaden, ſie Volk
und Regenten zur Geiſtesprüfung vorlegen dürften; dies ſelbſt
ein Glück, zu aller Zukunft Glück! Der Mann, der dies, und
alſo Deutſches, was allein ſo genannt werden dürſte, nur
einzig und allein beabſichtigte, mißverſtanden von den meiſten
Mitlebenden! Alſo auch er ſoll nicht aufgehn ſehn, was er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0180" n="172"/>
ger zittere ich nun er&#x017F;t für das andere! Ich nenne keinen;<lb/>
wie die Griechen die Furien umgehen, und wahre Herzens-<lb/>
ang&#x017F;t es immer thut! Nun kann ja Unver&#x017F;tand, Lüge, Irr-<lb/>
thum auf dem ganzen Grund und Boden der Erde umher-<lb/>
wuchern, und wie üppiges, unge&#x017F;teuertes Unkraut ihr alle<lb/>
Kräfte nehmen und &#x017F;ich aneignen; keiner rottet es mehr aus;<lb/>
pflanzt, befördert, macht ihm Platz, &#x017F;äet ihn aus, den reinen<lb/>
nährenden Waizen, der Ge&#x017F;chlecht zu Ge&#x017F;chlecht verbe&#x017F;&#x017F;ernd zu<lb/>
geleiten vermag! <hi rendition="#g">Fichte</hi> kann umfallen und faulen! Das i&#x017F;t<lb/><hi rendition="#g">nicht</hi> Zauber? Krank wie ich war, fand ich es vorge&#x017F;tern<lb/>
unvermuthet in der hie&#x017F;igen Zeitung &#x201E;aus Berliner Blättern.&#x201C;<lb/>
Ich weiß nicht, ich war be&#x017F;chämter, als er&#x017F;chrocken; &#x017F;o gede-<lb/>
müthigt! fa&#x017F;t be&#x017F;chämt, daß <hi rendition="#g">ich</hi> leben geblieben, und dann<lb/>
wieder eine wahre <hi rendition="#g">Furcht</hi> vor dem Tode empfindend. Wenn<lb/><hi rendition="#g">Fichte</hi> &#x017F;terben muß, dann i&#x017F;t niemand &#x017F;icher; mich dünkte<lb/>
immer, Leben &#x017F;chützt vor dem Tode: wer lebte mehr als der?<lb/>
Todt i&#x017F;t er aber <hi rendition="#g">nicht</hi>, gewiß nicht! &#x2014; Fichte konnte al&#x017F;o<lb/>
nicht erleben, daß &#x017F;ich die Länder vom Krieg erholten, Zäune<lb/>
wieder aufgebaut würden, dem Bauer geholfen, den Ge&#x017F;etzen<lb/>
nachgeholfen, daß die Schulen &#x017F;ich wieder her&#x017F;tellten und füll-<lb/>
ten, daß gewitzigte Staatsleute ihnen von den Für&#x017F;ten Schutz<lb/>
ver&#x017F;chafften! daß Ge&#x017F;etze erfunden und ausgetheilt würden, daß<lb/>
die Denker frei, ohne den Augenblick zu &#x017F;chaden, &#x017F;ie Volk<lb/>
und Regenten zur Gei&#x017F;tesprüfung vorlegen dürften; dies &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
ein Glück, zu aller Zukunft Glück! Der Mann, der dies, und<lb/><hi rendition="#g">al&#x017F;o</hi> Deut&#x017F;ches, was <hi rendition="#g">allein</hi> &#x017F;o genannt werden dür&#x017F;te, nur<lb/>
einzig und allein beab&#x017F;ichtigte, mißver&#x017F;tanden von den mei&#x017F;ten<lb/>
Mitlebenden! Al&#x017F;o auch <hi rendition="#g">er</hi> &#x017F;oll <hi rendition="#g">nicht</hi> aufgehn &#x017F;ehn, was er<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0180] ger zittere ich nun erſt für das andere! Ich nenne keinen; wie die Griechen die Furien umgehen, und wahre Herzens- angſt es immer thut! Nun kann ja Unverſtand, Lüge, Irr- thum auf dem ganzen Grund und Boden der Erde umher- wuchern, und wie üppiges, ungeſteuertes Unkraut ihr alle Kräfte nehmen und ſich aneignen; keiner rottet es mehr aus; pflanzt, befördert, macht ihm Platz, ſäet ihn aus, den reinen nährenden Waizen, der Geſchlecht zu Geſchlecht verbeſſernd zu geleiten vermag! Fichte kann umfallen und faulen! Das iſt nicht Zauber? Krank wie ich war, fand ich es vorgeſtern unvermuthet in der hieſigen Zeitung „aus Berliner Blättern.“ Ich weiß nicht, ich war beſchämter, als erſchrocken; ſo gede- müthigt! faſt beſchämt, daß ich leben geblieben, und dann wieder eine wahre Furcht vor dem Tode empfindend. Wenn Fichte ſterben muß, dann iſt niemand ſicher; mich dünkte immer, Leben ſchützt vor dem Tode: wer lebte mehr als der? Todt iſt er aber nicht, gewiß nicht! — Fichte konnte alſo nicht erleben, daß ſich die Länder vom Krieg erholten, Zäune wieder aufgebaut würden, dem Bauer geholfen, den Geſetzen nachgeholfen, daß die Schulen ſich wieder herſtellten und füll- ten, daß gewitzigte Staatsleute ihnen von den Fürſten Schutz verſchafften! daß Geſetze erfunden und ausgetheilt würden, daß die Denker frei, ohne den Augenblick zu ſchaden, ſie Volk und Regenten zur Geiſtesprüfung vorlegen dürften; dies ſelbſt ein Glück, zu aller Zukunft Glück! Der Mann, der dies, und alſo Deutſches, was allein ſo genannt werden dürſte, nur einzig und allein beabſichtigte, mißverſtanden von den meiſten Mitlebenden! Alſo auch er ſoll nicht aufgehn ſehn, was er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/180
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/180>, abgerufen am 01.05.2024.