Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

ben! Aber mein Leben zu wissen, ist dir genug: da ist das,
was ich dir, du mir bist, drin enthalten. Höre also, was zum
Theil ich dir in jenem Brief schon schrieb. Wir haben nach
der Affaire von Dresden hier unendliche Verwundete: von den
drei, und der feindlichen Nation. Diese Jammersöhne lagen
vorige Woche auf Wagen in den engen Gassen gedrängt,
und theils in den Straßen selbst, unter Platzregen da! Diese
Zeit vergesse ich nie. Auf so viele war die Regierung nicht
gefaßt, man hätte glauben sollen auf nichts! Die Einwohner
thaten wie in biblischen Zeiten alles! man verband, man
speiste sie in den Gassen, in den Hausfluren. Judenmädchen
waren berühmt darin: eine Weisemutter verband dreihundert
in einem Tage: kurz das Unmögliche geschah. Der Jammer
war aber nicht zu steuern. Wir, Auguste Brede, meine edele
Hauswirthin Frau von Reimann, und ich, thaten, gaben, was
wir konnten, ließen kochen, schickten Wäsche, Charpie: die
Frauen Prags waren gut: ich lief zur Gräfin Moritz Brühl,
und bat sie, ihre Verwandten zu bitten; sie versprachs. Ich
schrieb gleich Frau von Humboldt einen dringenden Brief,
und Lea Mendelssohn, Bartholdy's Schwester, eben dahin.
Vorgestern schickte mir Karoline hundertdreißig Gulden; nun
kaufe ich Hemden, Socken, lasse kochen, schieße reichern Ver-
wundeten vor; kurz, bei mir ist ein kleines Bureau: meine
intimen Frauen helfen mir wie Engel: ich habe eine Menge
Leute an der Hand: von jeder Klasse. Du kennst meine Art
bekannt zu werden, zu sein. (Göttlich schrieb mir Karoline;
-- der ich auch schon geantwortet; ich habe gar keine Zeit --
sie wird mir mehr schicken, dies war nur, was sie und die

ben! Aber mein Leben zu wiſſen, iſt dir genug: da iſt das,
was ich dir, du mir biſt, drin enthalten. Höre alſo, was zum
Theil ich dir in jenem Brief ſchon ſchrieb. Wir haben nach
der Affaire von Dresden hier unendliche Verwundete: von den
drei, und der feindlichen Nation. Dieſe Jammerſöhne lagen
vorige Woche auf Wagen in den engen Gaſſen gedrängt,
und theils in den Straßen ſelbſt, unter Platzregen da! Dieſe
Zeit vergeſſe ich nie. Auf ſo viele war die Regierung nicht
gefaßt, man hätte glauben ſollen auf nichts! Die Einwohner
thaten wie in bibliſchen Zeiten alles! man verband, man
ſpeiſte ſie in den Gaſſen, in den Hausfluren. Judenmädchen
waren berühmt darin: eine Weiſemutter verband dreihundert
in einem Tage: kurz das Unmögliche geſchah. Der Jammer
war aber nicht zu ſteuern. Wir, Auguſte Brede, meine edele
Hauswirthin Frau von Reimann, und ich, thaten, gaben, was
wir konnten, ließen kochen, ſchickten Wäſche, Charpie: die
Frauen Prags waren gut: ich lief zur Gräfin Moritz Brühl,
und bat ſie, ihre Verwandten zu bitten; ſie verſprachs. Ich
ſchrieb gleich Frau von Humboldt einen dringenden Brief,
und Lea Mendelsſohn, Bartholdy’s Schweſter, eben dahin.
Vorgeſtern ſchickte mir Karoline hundertdreißig Gulden; nun
kaufe ich Hemden, Socken, laſſe kochen, ſchieße reichern Ver-
wundeten vor; kurz, bei mir iſt ein kleines Bureau: meine
intimen Frauen helfen mir wie Engel: ich habe eine Menge
Leute an der Hand: von jeder Klaſſe. Du kennſt meine Art
bekannt zu werden, zu ſein. (Göttlich ſchrieb mir Karoline;
— der ich auch ſchon geantwortet; ich habe gar keine Zeit —
ſie wird mir mehr ſchicken, dies war nur, was ſie und die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0128" n="120"/>
ben! Aber mein Leben zu wi&#x017F;&#x017F;en, i&#x017F;t dir genug: da i&#x017F;t das,<lb/>
was ich dir, du mir bi&#x017F;t, drin enthalten. Höre al&#x017F;o, was zum<lb/>
Theil ich dir in jenem Brief &#x017F;chon &#x017F;chrieb. Wir haben nach<lb/>
der Affaire von Dresden hier unendliche Verwundete: von den<lb/>
drei, und der feindlichen Nation. Die&#x017F;e Jammer&#x017F;öhne lagen<lb/>
vorige Woche auf Wagen in den engen Ga&#x017F;&#x017F;en gedrängt,<lb/>
und theils in den Straßen &#x017F;elb&#x017F;t, unter Platzregen da! Die&#x017F;e<lb/>
Zeit verge&#x017F;&#x017F;e ich nie. Auf <hi rendition="#g">&#x017F;o</hi> viele war die Regierung nicht<lb/>
gefaßt, man hätte glauben &#x017F;ollen auf nichts! Die Einwohner<lb/>
thaten wie in bibli&#x017F;chen Zeiten <hi rendition="#g">alles</hi>! man verband, man<lb/>
&#x017F;pei&#x017F;te &#x017F;ie in den Ga&#x017F;&#x017F;en, in den Hausfluren. Judenmädchen<lb/>
waren berühmt darin: eine Wei&#x017F;emutter verband dreihundert<lb/>
in einem Tage: kurz das Unmögliche ge&#x017F;chah. Der Jammer<lb/>
war aber nicht zu &#x017F;teuern. <hi rendition="#g">Wir</hi>, Augu&#x017F;te Brede, meine edele<lb/>
Hauswirthin Frau von Reimann, und ich, thaten, gaben, was<lb/>
wir konnten, ließen kochen, &#x017F;chickten Wä&#x017F;che, Charpie: die<lb/>
Frauen Prags waren gut: ich lief zur Gräfin Moritz Brühl,<lb/>
und bat &#x017F;ie, ihre Verwandten zu bitten; &#x017F;ie ver&#x017F;prachs. Ich<lb/>
&#x017F;chrieb gleich Frau von Humboldt einen dringenden Brief,<lb/>
und Lea Mendels&#x017F;ohn, Bartholdy&#x2019;s Schwe&#x017F;ter, eben dahin.<lb/>
Vorge&#x017F;tern &#x017F;chickte mir Karoline hundertdreißig Gulden; nun<lb/>
kaufe ich Hemden, Socken, la&#x017F;&#x017F;e kochen, &#x017F;chieße reichern Ver-<lb/>
wundeten vor; kurz, bei mir i&#x017F;t ein kleines Bureau: meine<lb/>
intimen Frauen helfen mir wie Engel: ich habe eine Menge<lb/>
Leute an der Hand: von jeder Kla&#x017F;&#x017F;e. Du kenn&#x017F;t meine Art<lb/>
bekannt zu werden, zu &#x017F;ein. (Göttlich &#x017F;chrieb mir Karoline;<lb/>
&#x2014; der ich <hi rendition="#g">auch</hi> &#x017F;chon geantwortet; ich habe <hi rendition="#g">gar</hi> keine Zeit &#x2014;<lb/>
&#x017F;ie wird mir mehr &#x017F;chicken, dies war nur, was &#x017F;ie und die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0128] ben! Aber mein Leben zu wiſſen, iſt dir genug: da iſt das, was ich dir, du mir biſt, drin enthalten. Höre alſo, was zum Theil ich dir in jenem Brief ſchon ſchrieb. Wir haben nach der Affaire von Dresden hier unendliche Verwundete: von den drei, und der feindlichen Nation. Dieſe Jammerſöhne lagen vorige Woche auf Wagen in den engen Gaſſen gedrängt, und theils in den Straßen ſelbſt, unter Platzregen da! Dieſe Zeit vergeſſe ich nie. Auf ſo viele war die Regierung nicht gefaßt, man hätte glauben ſollen auf nichts! Die Einwohner thaten wie in bibliſchen Zeiten alles! man verband, man ſpeiſte ſie in den Gaſſen, in den Hausfluren. Judenmädchen waren berühmt darin: eine Weiſemutter verband dreihundert in einem Tage: kurz das Unmögliche geſchah. Der Jammer war aber nicht zu ſteuern. Wir, Auguſte Brede, meine edele Hauswirthin Frau von Reimann, und ich, thaten, gaben, was wir konnten, ließen kochen, ſchickten Wäſche, Charpie: die Frauen Prags waren gut: ich lief zur Gräfin Moritz Brühl, und bat ſie, ihre Verwandten zu bitten; ſie verſprachs. Ich ſchrieb gleich Frau von Humboldt einen dringenden Brief, und Lea Mendelsſohn, Bartholdy’s Schweſter, eben dahin. Vorgeſtern ſchickte mir Karoline hundertdreißig Gulden; nun kaufe ich Hemden, Socken, laſſe kochen, ſchieße reichern Ver- wundeten vor; kurz, bei mir iſt ein kleines Bureau: meine intimen Frauen helfen mir wie Engel: ich habe eine Menge Leute an der Hand: von jeder Klaſſe. Du kennſt meine Art bekannt zu werden, zu ſein. (Göttlich ſchrieb mir Karoline; — der ich auch ſchon geantwortet; ich habe gar keine Zeit — ſie wird mir mehr ſchicken, dies war nur, was ſie und die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/128
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/128>, abgerufen am 05.12.2024.