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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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nießen konnte, dieser Ekel, dieses aber- und abermal ewige
Gespreche von sich, und wie er's macht und jedes macht, und
seine Krankheit, und sein Nießen in beide Hände, und sein
gar nicht schlafen! -- Denken konnt' ich auch nicht; denn
auf den Fuß, gar nichts zu sprechen, setzt' ich mich, eh'
wir aus dem Thor kamen (so ging's schon in der Stadt), und
fast immer mit dem Gesichte aus dem Fenster, aber das litt
er nicht, denn, wenn er erzählte, (erinnert euch wann er er-
zählte), so sagte er: "Hören Sie zu, Sie mögen zuhören",
und faßte mich dazu an! -- also mußt' ich ihn ansehen, um
das nicht zu hören und zu leiden. Gestern macht' ich aber
die Augen zu, und, so meinen sie hab' ich den ganzen Tag
geschlafen. Eine Freude hab' ich aber doch! die völlige Ge-
wißheit, daß ich Konvulsionen nie bekommen kann; es muß
physisch unmöglich bei mir sein. Bedauert mich! bedauert
mich! Ich sag euch das, die das Mitleid so haßt. Ich mein'
auch nicht, bedauert mich, ich meine, bewundert mein Loos!!! --
alles kommt mir zu. Kaum komm' ich vom Bade, ich Schwache!
so folgt eine solche Reise; ich treffe eine neu etablirte Schul,
eine neu etablirte Equipage, wovon der Stall unter uns ist,
mit einem wilden Pferd, das an einer Kette liegt, und die
ganze Nacht so stampft, als wolle man ein Haus niederreißen;
wenigstens wie sie gegen Jordans über eins einrissen, ging's
eben so. Dies thu' ich alles Mama zu Gefallen. Vor Frei-
enwalde war ich krank, und das soll mich erholen! Und was
bin ich nicht von jeher für ein Schlemihl; mit dem muß ich
reisen, mit dem niemand reist, und dann nimmt sie noch un-
verhofft
zur Fete Röschen mit; damit vier sind: das ist

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nießen konnte, dieſer Ekel, dieſes aber- und abermal ewige
Geſpreche von ſich, und wie er’s macht und jedes macht, und
ſeine Krankheit, und ſein Nießen in beide Hände, und ſein
gar nicht ſchlafen! — Denken konnt’ ich auch nicht; denn
auf den Fuß, gar nichts zu ſprechen, ſetzt’ ich mich, eh’
wir aus dem Thor kamen (ſo ging’s ſchon in der Stadt), und
faſt immer mit dem Geſichte aus dem Fenſter, aber das litt
er nicht, denn, wenn er erzählte, (erinnert euch wann er er-
zählte), ſo ſagte er: „Hören Sie zu, Sie mögen zuhören“,
und faßte mich dazu an! — alſo mußt’ ich ihn anſehen, um
das nicht zu hören und zu leiden. Geſtern macht’ ich aber
die Augen zu, und, ſo meinen ſie hab’ ich den ganzen Tag
geſchlafen. Eine Freude hab’ ich aber doch! die völlige Ge-
wißheit, daß ich Konvulſionen nie bekommen kann; es muß
phyſiſch unmöglich bei mir ſein. Bedauert mich! bedauert
mich! Ich ſag euch das, die das Mitleid ſo haßt. Ich mein’
auch nicht, bedauert mich, ich meine, bewundert mein Loos!!! —
alles kommt mir zu. Kaum komm’ ich vom Bade, ich Schwache!
ſo folgt eine ſolche Reiſe; ich treffe eine neu etablirte Schul,
eine neu etablirte Equipage, wovon der Stall unter uns iſt,
mit einem wilden Pferd, das an einer Kette liegt, und die
ganze Nacht ſo ſtampft, als wolle man ein Haus niederreißen;
wenigſtens wie ſie gegen Jordans über eins einriſſen, ging’s
eben ſo. Dies thu’ ich alles Mama zu Gefallen. Vor Frei-
enwalde war ich krank, und das ſoll mich erholen! Und was
bin ich nicht von jeher für ein Schlemihl; mit dem muß ich
reiſen, mit dem niemand reiſt, und dann nimmt ſie noch un-
verhofft
zur Fête Röschen mit; damit vier ſind: das iſt

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[83/0097] nießen konnte, dieſer Ekel, dieſes aber- und abermal ewige Geſpreche von ſich, und wie er’s macht und jedes macht, und ſeine Krankheit, und ſein Nießen in beide Hände, und ſein gar nicht ſchlafen! — Denken konnt’ ich auch nicht; denn auf den Fuß, gar nichts zu ſprechen, ſetzt’ ich mich, eh’ wir aus dem Thor kamen (ſo ging’s ſchon in der Stadt), und faſt immer mit dem Geſichte aus dem Fenſter, aber das litt er nicht, denn, wenn er erzählte, (erinnert euch wann er er- zählte), ſo ſagte er: „Hören Sie zu, Sie mögen zuhören“, und faßte mich dazu an! — alſo mußt’ ich ihn anſehen, um das nicht zu hören und zu leiden. Geſtern macht’ ich aber die Augen zu, und, ſo meinen ſie hab’ ich den ganzen Tag geſchlafen. Eine Freude hab’ ich aber doch! die völlige Ge- wißheit, daß ich Konvulſionen nie bekommen kann; es muß phyſiſch unmöglich bei mir ſein. Bedauert mich! bedauert mich! Ich ſag euch das, die das Mitleid ſo haßt. Ich mein’ auch nicht, bedauert mich, ich meine, bewundert mein Loos!!! — alles kommt mir zu. Kaum komm’ ich vom Bade, ich Schwache! ſo folgt eine ſolche Reiſe; ich treffe eine neu etablirte Schul, eine neu etablirte Equipage, wovon der Stall unter uns iſt, mit einem wilden Pferd, das an einer Kette liegt, und die ganze Nacht ſo ſtampft, als wolle man ein Haus niederreißen; wenigſtens wie ſie gegen Jordans über eins einriſſen, ging’s eben ſo. Dies thu’ ich alles Mama zu Gefallen. Vor Frei- enwalde war ich krank, und das ſoll mich erholen! Und was bin ich nicht von jeher für ein Schlemihl; mit dem muß ich reiſen, mit dem niemand reiſt, und dann nimmt ſie noch un- verhofft zur Fête Röschen mit; damit vier ſind: das iſt 6 *

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/97>, abgerufen am 12.10.2024.