Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

und gefällt mir darum nur desto besser, sie war mit Mad.
Kircheisen bei uns und hat versprochen wieder zu kommen,
auch werd' ich sie wieder besuchen. Herr von Poch hat Recht,
die Gesellschaft abominabel zu finden, er sah sie schon mit
solchen Blicken d'un aimable an, daß sie zehnmahl städtischer,
galanter, feiner und verachtender ihrerseits hätte sein können,
um daß er sie doch so gefunden hätte; mich fesselt sie auch
bis auf einige Ausnahmen nicht, aber sie könnte den Herrn
von Poch schmieden, ohne daß sie mich nur mehr anzöge:
doch leb' ich recht artig mit den Leuten hier, denn sie sind
sehr gütig gegen mich; und Sie wissen, wie ich auf antwor-
ten halte, und was ich für ein geselliger Hund neben meiner
Tadelsucht bin.

Stünde mir doch die Sprache so zu Gebote, wie ich die
Fähigkeit habe, in meinem Kopf alles schnell und zu meinem
Gebrauch
zu verarbeiten, was ich erfahre; so weiß ich, würd'
Ihnen das genügen, was ich Ihnen über Johanna zu sagen
wüßte. Für's erste aber glauben Sie nicht, daß ich wie ein
Prahler lüge; sonst finden Sie keinen Zusammenhang in dem,
was ich sage, und meine Mühe, und vielleicht ein hübscher
Augenblick für Sie, geht verloren. Johanna kommt mir wie-
der
so vor als vorhin, und ändert sich in meinen Augen nach
und vor den verschiedenen Erzählungen nicht. Ein feines,
gebildetes, verständiges Frauenzimmer wird nicht platt und
nicht dumm: kann aber schwach, und unselbstständig sein,
und ist's gewöhnlich; ist man das, so sind unzählige Modi-
fikationen möglich, wohin denn auch alle die gehören, worin
uns Johanna wochweise erscheint; je feiner ein Frauenzimmer

und gefällt mir darum nur deſto beſſer, ſie war mit Mad.
Kircheiſen bei uns und hat verſprochen wieder zu kommen,
auch werd’ ich ſie wieder beſuchen. Herr von Poch hat Recht,
die Geſellſchaft abominabel zu finden, er ſah ſie ſchon mit
ſolchen Blicken d’un aimable an, daß ſie zehnmahl ſtädtiſcher,
galanter, feiner und verachtender ihrerſeits hätte ſein können,
um daß er ſie doch ſo gefunden hätte; mich feſſelt ſie auch
bis auf einige Ausnahmen nicht, aber ſie könnte den Herrn
von Poch ſchmieden, ohne daß ſie mich nur mehr anzöge:
doch leb’ ich recht artig mit den Leuten hier, denn ſie ſind
ſehr gütig gegen mich; und Sie wiſſen, wie ich auf antwor-
ten halte, und was ich für ein geſelliger Hund neben meiner
Tadelſucht bin.

Stünde mir doch die Sprache ſo zu Gebote, wie ich die
Fähigkeit habe, in meinem Kopf alles ſchnell und zu meinem
Gebrauch
zu verarbeiten, was ich erfahre; ſo weiß ich, würd’
Ihnen das genügen, was ich Ihnen über Johanna zu ſagen
wüßte. Für’s erſte aber glauben Sie nicht, daß ich wie ein
Prahler lüge; ſonſt finden Sie keinen Zuſammenhang in dem,
was ich ſage, und meine Mühe, und vielleicht ein hübſcher
Augenblick für Sie, geht verloren. Johanna kommt mir wie-
der
ſo vor als vorhin, und ändert ſich in meinen Augen nach
und vor den verſchiedenen Erzählungen nicht. Ein feines,
gebildetes, verſtändiges Frauenzimmer wird nicht platt und
nicht dumm: kann aber ſchwach, und unſelbſtſtändig ſein,
und iſt’s gewöhnlich; iſt man das, ſo ſind unzählige Modi-
fikationen möglich, wohin denn auch alle die gehören, worin
uns Johanna wochweiſe erſcheint; je feiner ein Frauenzimmer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0090" n="76"/>
und gefällt mir darum <hi rendition="#g">nur</hi> de&#x017F;to be&#x017F;&#x017F;er, &#x017F;ie war mit Mad.<lb/>
Kirchei&#x017F;en bei uns und hat ver&#x017F;prochen wieder zu kommen,<lb/>
auch werd&#x2019; ich &#x017F;ie wieder be&#x017F;uchen. Herr von Poch hat Recht,<lb/>
die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft abominabel zu finden, er &#x017F;ah &#x017F;ie &#x017F;chon mit<lb/>
&#x017F;olchen Blicken <hi rendition="#aq">d&#x2019;un aimable</hi> an, daß &#x017F;ie zehnmahl &#x017F;tädti&#x017F;cher,<lb/>
galanter, feiner und verachtender ihrer&#x017F;eits hätte &#x017F;ein können,<lb/>
um daß er &#x017F;ie doch &#x017F;o gefunden hätte; mich fe&#x017F;&#x017F;elt &#x017F;ie auch<lb/>
bis auf einige Ausnahmen nicht, aber &#x017F;ie könnte den Herrn<lb/>
von Poch <hi rendition="#g">&#x017F;chmieden</hi>, ohne daß &#x017F;ie mich nur mehr anzöge:<lb/>
doch leb&#x2019; ich recht artig mit den Leuten hier, denn &#x017F;ie &#x017F;ind<lb/>
&#x017F;ehr gütig gegen mich; und Sie wi&#x017F;&#x017F;en, wie ich auf antwor-<lb/>
ten halte, und was ich für ein ge&#x017F;elliger Hund neben meiner<lb/>
Tadel&#x017F;ucht bin.</p><lb/>
          <p>Stünde mir doch die Sprache &#x017F;o zu Gebote, wie ich die<lb/>
Fähigkeit habe, in meinem Kopf alles &#x017F;chnell und zu <hi rendition="#g">meinem<lb/>
Gebrauch</hi> zu verarbeiten, was ich erfahre; &#x017F;o weiß ich, würd&#x2019;<lb/>
Ihnen das genügen, was ich Ihnen über Johanna zu &#x017F;agen<lb/>
wüßte. Für&#x2019;s er&#x017F;te aber glauben Sie nicht, daß ich wie ein<lb/>
Prahler lüge; &#x017F;on&#x017F;t finden Sie keinen Zu&#x017F;ammenhang in dem,<lb/>
was ich &#x017F;age, und meine Mühe, und vielleicht ein hüb&#x017F;cher<lb/>
Augenblick für Sie, geht verloren. Johanna kommt mir <hi rendition="#g">wie-<lb/>
der</hi> &#x017F;o vor als vorhin, und ändert &#x017F;ich in meinen Augen nach<lb/>
und vor den ver&#x017F;chiedenen Erzählungen nicht. Ein feines,<lb/>
gebildetes, ver&#x017F;tändiges Frauenzimmer <hi rendition="#g">wird</hi> nicht platt und<lb/>
nicht dumm: <hi rendition="#g">kann</hi> aber &#x017F;chwach, und un&#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändig &#x017F;ein,<lb/>
und i&#x017F;t&#x2019;s gewöhnlich; <hi rendition="#g">i&#x017F;t</hi> man das, &#x017F;o &#x017F;ind unzählige Modi-<lb/>
fikationen möglich, wohin denn auch alle die gehören, worin<lb/>
uns Johanna wochwei&#x017F;e er&#x017F;cheint; je feiner ein Frauenzimmer<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0090] und gefällt mir darum nur deſto beſſer, ſie war mit Mad. Kircheiſen bei uns und hat verſprochen wieder zu kommen, auch werd’ ich ſie wieder beſuchen. Herr von Poch hat Recht, die Geſellſchaft abominabel zu finden, er ſah ſie ſchon mit ſolchen Blicken d’un aimable an, daß ſie zehnmahl ſtädtiſcher, galanter, feiner und verachtender ihrerſeits hätte ſein können, um daß er ſie doch ſo gefunden hätte; mich feſſelt ſie auch bis auf einige Ausnahmen nicht, aber ſie könnte den Herrn von Poch ſchmieden, ohne daß ſie mich nur mehr anzöge: doch leb’ ich recht artig mit den Leuten hier, denn ſie ſind ſehr gütig gegen mich; und Sie wiſſen, wie ich auf antwor- ten halte, und was ich für ein geſelliger Hund neben meiner Tadelſucht bin. Stünde mir doch die Sprache ſo zu Gebote, wie ich die Fähigkeit habe, in meinem Kopf alles ſchnell und zu meinem Gebrauch zu verarbeiten, was ich erfahre; ſo weiß ich, würd’ Ihnen das genügen, was ich Ihnen über Johanna zu ſagen wüßte. Für’s erſte aber glauben Sie nicht, daß ich wie ein Prahler lüge; ſonſt finden Sie keinen Zuſammenhang in dem, was ich ſage, und meine Mühe, und vielleicht ein hübſcher Augenblick für Sie, geht verloren. Johanna kommt mir wie- der ſo vor als vorhin, und ändert ſich in meinen Augen nach und vor den verſchiedenen Erzählungen nicht. Ein feines, gebildetes, verſtändiges Frauenzimmer wird nicht platt und nicht dumm: kann aber ſchwach, und unſelbſtſtändig ſein, und iſt’s gewöhnlich; iſt man das, ſo ſind unzählige Modi- fikationen möglich, wohin denn auch alle die gehören, worin uns Johanna wochweiſe erſcheint; je feiner ein Frauenzimmer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/90
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/90>, abgerufen am 13.10.2024.