Ich komme wieder vom Brunnen, und kann Ihnen in diesem Brief nicht mehr viel schreiben, denn ich höre, die Post geht heut ab; und heut sind meine Menschen gekom- men, mit denen ich sehr beschäftigt bin, doch muß ich Ihnen noch sagen, was ich seit gestern schon weiß, daß ich mich näm- lich nicht geirrt habe, denn der Herr hat gestern bei Tisch, wo ich nicht war, deutlich erzählt, er könne mich nicht leiden. (Sie kennen mein Schicksal, was ich alles erfahre; also hab' ich auch das erfahren, und dem Erzähler versprochen, daß es ein Geheimniß bleiben soll; Sie wissen also, was Sie zu thun haben.) -- Ein andermal, mein lieber Herr von Brinckmann, schreib' ich Ihnen was Bessres -- als eine leidige Geschichte; doch kann Ihnen mein Brief nicht gleichgültig sein, Sie wer- den's ihm schon ansehen, wie er gemeint ist, und die offenher- zige Zutraulichkeit ist auch was werth. Leben Sie wohl. Daß Aristokraten liebenswürdig sind, daran hab' ich nie ge- zweifelt, sie müßten denn abscheulich sein. Es thut mir leid, daß ich die hübsche Frau nicht gesehen habe. Vive l'esprit! wie schmacht' ich eigentlich. Wenn es möglich ist, grüßen Sie den Herrn von Humboldt recht sehr von mir. Natürlich hab' ich Unglück, sie nicht kennen zu lernen. Adieu, ich muß diniren.
Alles grüßt Sie. R. L.
An Gustav von Brinckmann.
Berlin, den 12. August 1793.
Sie wissen mich und Ihre Handschrift nie zu beurtheilen; hätt' ich noch ein Wort nicht lesen können! selbst die mytho-
den 25.
Ich komme wieder vom Brunnen, und kann Ihnen in dieſem Brief nicht mehr viel ſchreiben, denn ich höre, die Poſt geht heut ab; und heut ſind meine Menſchen gekom- men, mit denen ich ſehr beſchäftigt bin, doch muß ich Ihnen noch ſagen, was ich ſeit geſtern ſchon weiß, daß ich mich näm- lich nicht geirrt habe, denn der Herr hat geſtern bei Tiſch, wo ich nicht war, deutlich erzählt, er könne mich nicht leiden. (Sie kennen mein Schickſal, was ich alles erfahre; alſo hab’ ich auch das erfahren, und dem Erzähler verſprochen, daß es ein Geheimniß bleiben ſoll; Sie wiſſen alſo, was Sie zu thun haben.) — Ein andermal, mein lieber Herr von Brinckmann, ſchreib’ ich Ihnen was Beſſres — als eine leidige Geſchichte; doch kann Ihnen mein Brief nicht gleichgültig ſein, Sie wer- den’s ihm ſchon anſehen, wie er gemeint iſt, und die offenher- zige Zutraulichkeit iſt auch was werth. Leben Sie wohl. Daß Ariſtokraten liebenswürdig ſind, daran hab’ ich nie ge- zweifelt, ſie müßten denn abſcheulich ſein. Es thut mir leid, daß ich die hübſche Frau nicht geſehen habe. Vive l’esprit! wie ſchmacht’ ich eigentlich. Wenn es möglich iſt, grüßen Sie den Herrn von Humboldt recht ſehr von mir. Natürlich hab’ ich Unglück, ſie nicht kennen zu lernen. Adieu, ich muß diniren.
Alles grüßt Sie. R. L.
An Guſtav von Brinckmann.
Berlin, den 12. Auguſt 1793.
Sie wiſſen mich und Ihre Handſchrift nie zu beurtheilen; hätt’ ich noch ein Wort nicht leſen können! ſelbſt die mytho-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0074"n="60"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">den 25.</hi></dateline><lb/><p>Ich komme wieder vom Brunnen, und kann Ihnen in<lb/><hirendition="#g">dieſem</hi> Brief nicht mehr viel ſchreiben, denn ich höre, die<lb/>
Poſt geht <hirendition="#g">heut</hi> ab; und heut ſind meine Menſchen gekom-<lb/>
men, mit denen ich ſehr beſchäftigt bin, doch muß ich Ihnen<lb/>
noch ſagen, was ich ſeit geſtern ſchon weiß, daß ich mich näm-<lb/>
lich nicht geirrt habe, denn der Herr hat geſtern bei Tiſch,<lb/>
wo ich nicht war, deutlich erzählt, er könne mich nicht leiden.<lb/>
(Sie kennen mein Schickſal, <hirendition="#g">was</hi> ich alles erfahre; alſo hab’<lb/>
ich auch das erfahren, und dem Erzähler verſprochen, daß es<lb/>
ein Geheimniß bleiben ſoll; Sie wiſſen alſo, was Sie zu thun<lb/>
haben.) — Ein andermal, mein lieber Herr von Brinckmann,<lb/>ſchreib’ ich Ihnen was Beſſres — als eine leidige Geſchichte;<lb/>
doch kann Ihnen mein Brief nicht gleichgültig ſein, Sie wer-<lb/>
den’s ihm ſchon anſehen, wie er gemeint iſt, und die offenher-<lb/>
zige Zutraulichkeit iſt auch was werth. Leben Sie wohl.<lb/>
Daß Ariſtokraten liebenswürdig ſind, daran hab’ ich nie ge-<lb/>
zweifelt, ſie müßten denn abſcheulich ſein. Es thut mir leid,<lb/>
daß ich die hübſche Frau nicht geſehen habe. <hirendition="#aq">Vive l’esprit!</hi><lb/>
wie ſchmacht’ ich eigentlich. Wenn es möglich iſt, grüßen<lb/>
Sie den Herrn von Humboldt recht ſehr von mir. Natürlich<lb/>
hab’ ich Unglück, ſie nicht kennen zu lernen. Adieu, ich muß<lb/>
diniren.</p><closer><salute>Alles grüßt Sie. <hirendition="#et">R. L.</hi></salute></closer></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Guſtav von Brinckmann.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Berlin, den 12. Auguſt 1793.</hi></dateline><lb/><p>Sie wiſſen mich und Ihre Handſchrift nie zu beurtheilen;<lb/>
hätt’ ich noch <hirendition="#g">ein</hi> Wort nicht leſen können! ſelbſt die mytho-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[60/0074]
den 25.
Ich komme wieder vom Brunnen, und kann Ihnen in
dieſem Brief nicht mehr viel ſchreiben, denn ich höre, die
Poſt geht heut ab; und heut ſind meine Menſchen gekom-
men, mit denen ich ſehr beſchäftigt bin, doch muß ich Ihnen
noch ſagen, was ich ſeit geſtern ſchon weiß, daß ich mich näm-
lich nicht geirrt habe, denn der Herr hat geſtern bei Tiſch,
wo ich nicht war, deutlich erzählt, er könne mich nicht leiden.
(Sie kennen mein Schickſal, was ich alles erfahre; alſo hab’
ich auch das erfahren, und dem Erzähler verſprochen, daß es
ein Geheimniß bleiben ſoll; Sie wiſſen alſo, was Sie zu thun
haben.) — Ein andermal, mein lieber Herr von Brinckmann,
ſchreib’ ich Ihnen was Beſſres — als eine leidige Geſchichte;
doch kann Ihnen mein Brief nicht gleichgültig ſein, Sie wer-
den’s ihm ſchon anſehen, wie er gemeint iſt, und die offenher-
zige Zutraulichkeit iſt auch was werth. Leben Sie wohl.
Daß Ariſtokraten liebenswürdig ſind, daran hab’ ich nie ge-
zweifelt, ſie müßten denn abſcheulich ſein. Es thut mir leid,
daß ich die hübſche Frau nicht geſehen habe. Vive l’esprit!
wie ſchmacht’ ich eigentlich. Wenn es möglich iſt, grüßen
Sie den Herrn von Humboldt recht ſehr von mir. Natürlich
hab’ ich Unglück, ſie nicht kennen zu lernen. Adieu, ich muß
diniren.
Alles grüßt Sie. R. L.
An Guſtav von Brinckmann.
Berlin, den 12. Auguſt 1793.
Sie wiſſen mich und Ihre Handſchrift nie zu beurtheilen;
hätt’ ich noch ein Wort nicht leſen können! ſelbſt die mytho-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/74>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.