Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

wer hat ein größeres Privilegium zum Mies-sein, als er?
Aber da kommen die gleich mit ihren Quersachen von Stolz
und anderem Dummen, kurz so dumm, als sie selbst sind.
Das linke Hand antrauen versteh' ich auch nicht; vielleicht
hat die Person gewollt, und überhaupt versteh' ich den Werth
und die Wirkung dieser Ceremonie nicht. Ignorance, mais
tout de bon.
Ich glaube Ihnen in allem ganz, und glau-
ben Sie mir, ich habe Ihnen die Mühe der ringsum abge-
hauenen Vorurtheile aller Art wohl angelesen; Sie haben so
einfach nur erzählt, was da war, wie in Goethe's Karne-
val. Das ist eine erschreckliche Mühe, ich weiß es, weil man
da nur thut, was man schon gethan hat, was das einzige
ist, was man thun muß, sehen, und ehe man vorurtheilt
und sich etwa verurtheilt; das muß ein jeder thun, und dies
noch einmal zu thun ist sehr langweilend. Sie haben mir
die prächtigste Satisfaktion seit langer Zeit gegeben (nun
frag' ich gar keinen mehr darüber aus), und fragen noch
lange, ob Sie so fortfahren sollen: Herr Gott! das wäre zu
viel, so exakt brauchen Sie nicht zu sein, ich will schon ver-
stehen, aber hören Sie ja nicht auf, alles zu besehen, und
unmenschlich zu fragen, das ist das Wahre.

Wie können Sie aber nur so grausam sein, und mich
ermahnen, ich solle oder müsse das alles sehen! Wissen Sie
denn nicht, daß ich vergehe, ganz vergehe, wie etwas, das
aufhört: ist es einem ordentlichen Menschen möglich, Berlins
Pflaster sich für die Welt ausgeben zu lassen (dies abscheu-
liche, windige Klima nur! seit vorgestern hat's zum ersten-
male geregnet, und heut' ist gut Wetter) und kann ein Frauen-

wer hat ein größeres Privilegium zum Mies-ſein, als er?
Aber da kommen die gleich mit ihren Querſachen von Stolz
und anderem Dummen, kurz ſo dumm, als ſie ſelbſt ſind.
Das linke Hand antrauen verſteh’ ich auch nicht; vielleicht
hat die Perſon gewollt, und überhaupt verſteh’ ich den Werth
und die Wirkung dieſer Ceremonie nicht. Ignorance, mais
tout de bon.
Ich glaube Ihnen in allem ganz, und glau-
ben Sie mir, ich habe Ihnen die Mühe der ringsum abge-
hauenen Vorurtheile aller Art wohl angeleſen; Sie haben ſo
einfach nur erzählt, was da war, wie in Goethe’s Karne-
val. Das iſt eine erſchreckliche Mühe, ich weiß es, weil man
da nur thut, was man ſchon gethan hat, was das einzige
iſt, was man thun muß, ſehen, und ehe man vorurtheilt
und ſich etwa verurtheilt; das muß ein jeder thun, und dies
noch einmal zu thun iſt ſehr langweilend. Sie haben mir
die prächtigſte Satisfaktion ſeit langer Zeit gegeben (nun
frag’ ich gar keinen mehr darüber aus), und fragen noch
lange, ob Sie ſo fortfahren ſollen: Herr Gott! das wäre zu
viel, ſo exakt brauchen Sie nicht zu ſein, ich will ſchon ver-
ſtehen, aber hören Sie ja nicht auf, alles zu beſehen, und
unmenſchlich zu fragen, das iſt das Wahre.

Wie können Sie aber nur ſo grauſam ſein, und mich
ermahnen, ich ſolle oder müſſe das alles ſehen! Wiſſen Sie
denn nicht, daß ich vergehe, ganz vergehe, wie etwas, das
aufhört: iſt es einem ordentlichen Menſchen möglich, Berlins
Pflaſter ſich für die Welt ausgeben zu laſſen (dies abſcheu-
liche, windige Klima nur! ſeit vorgeſtern hat’s zum erſten-
male geregnet, und heut’ iſt gut Wetter) und kann ein Frauen-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0069" n="55"/>
wer hat ein größeres Privilegium zum Mies-&#x017F;ein, als er?<lb/>
Aber da kommen die gleich mit ihren Quer&#x017F;achen von Stolz<lb/>
und anderem Dummen, kurz &#x017F;o dumm, als &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ind.<lb/>
Das linke Hand antrauen ver&#x017F;teh&#x2019; ich auch nicht; vielleicht<lb/>
hat die Per&#x017F;on gewollt, und überhaupt ver&#x017F;teh&#x2019; ich den Werth<lb/>
und die Wirkung die&#x017F;er Ceremonie nicht. <hi rendition="#aq">Ignorance, mais<lb/>
tout de bon.</hi> Ich glaube Ihnen in allem ganz, und glau-<lb/>
ben Sie mir, ich habe Ihnen die Mühe der ringsum abge-<lb/>
hauenen Vorurtheile aller Art wohl angele&#x017F;en; Sie haben &#x017F;o<lb/>
einfach nur <hi rendition="#g">erzählt</hi>, was da war, wie in Goethe&#x2019;s Karne-<lb/>
val. Das i&#x017F;t eine er&#x017F;chreckliche Mühe, ich weiß es, weil man<lb/>
da nur thut, was man &#x017F;chon gethan hat, was das einzige<lb/>
i&#x017F;t, was man <hi rendition="#g">thun muß, &#x017F;ehen</hi>, und ehe man vorurtheilt<lb/>
und &#x017F;ich etwa <hi rendition="#g">veru</hi>rtheilt; das muß ein jeder thun, und dies<lb/>
noch einmal zu thun i&#x017F;t &#x017F;ehr langweilend. Sie haben mir<lb/>
die prächtig&#x017F;te Satisfaktion &#x017F;eit langer Zeit gegeben (nun<lb/>
frag&#x2019; ich gar keinen mehr darüber aus), und <hi rendition="#g">fragen</hi> noch<lb/>
lange, ob Sie &#x017F;o fortfahren &#x017F;ollen: Herr Gott! das wäre zu<lb/>
viel, &#x017F;o exakt brauchen Sie nicht zu &#x017F;ein, ich will &#x017F;chon ver-<lb/>
&#x017F;tehen, aber hören Sie ja nicht auf, alles zu be&#x017F;ehen, und<lb/>
unmen&#x017F;chlich zu fragen, das i&#x017F;t das Wahre.</p><lb/>
            <p>Wie können Sie aber nur &#x017F;o grau&#x017F;am &#x017F;ein, und mich<lb/>
ermahnen, ich &#x017F;olle oder mü&#x017F;&#x017F;e das alles &#x017F;ehen! Wi&#x017F;&#x017F;en Sie<lb/>
denn nicht, daß ich vergehe, ganz vergehe, wie etwas, das<lb/>
aufhört: i&#x017F;t es einem ordentlichen Men&#x017F;chen möglich, Berlins<lb/>
Pfla&#x017F;ter &#x017F;ich für die Welt ausgeben zu la&#x017F;&#x017F;en (dies ab&#x017F;cheu-<lb/>
liche, windige Klima nur! &#x017F;eit vorge&#x017F;tern hat&#x2019;s zum er&#x017F;ten-<lb/>
male geregnet, und heut&#x2019; i&#x017F;t gut Wetter) und kann ein Frauen-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0069] wer hat ein größeres Privilegium zum Mies-ſein, als er? Aber da kommen die gleich mit ihren Querſachen von Stolz und anderem Dummen, kurz ſo dumm, als ſie ſelbſt ſind. Das linke Hand antrauen verſteh’ ich auch nicht; vielleicht hat die Perſon gewollt, und überhaupt verſteh’ ich den Werth und die Wirkung dieſer Ceremonie nicht. Ignorance, mais tout de bon. Ich glaube Ihnen in allem ganz, und glau- ben Sie mir, ich habe Ihnen die Mühe der ringsum abge- hauenen Vorurtheile aller Art wohl angeleſen; Sie haben ſo einfach nur erzählt, was da war, wie in Goethe’s Karne- val. Das iſt eine erſchreckliche Mühe, ich weiß es, weil man da nur thut, was man ſchon gethan hat, was das einzige iſt, was man thun muß, ſehen, und ehe man vorurtheilt und ſich etwa verurtheilt; das muß ein jeder thun, und dies noch einmal zu thun iſt ſehr langweilend. Sie haben mir die prächtigſte Satisfaktion ſeit langer Zeit gegeben (nun frag’ ich gar keinen mehr darüber aus), und fragen noch lange, ob Sie ſo fortfahren ſollen: Herr Gott! das wäre zu viel, ſo exakt brauchen Sie nicht zu ſein, ich will ſchon ver- ſtehen, aber hören Sie ja nicht auf, alles zu beſehen, und unmenſchlich zu fragen, das iſt das Wahre. Wie können Sie aber nur ſo grauſam ſein, und mich ermahnen, ich ſolle oder müſſe das alles ſehen! Wiſſen Sie denn nicht, daß ich vergehe, ganz vergehe, wie etwas, das aufhört: iſt es einem ordentlichen Menſchen möglich, Berlins Pflaſter ſich für die Welt ausgeben zu laſſen (dies abſcheu- liche, windige Klima nur! ſeit vorgeſtern hat’s zum erſten- male geregnet, und heut’ iſt gut Wetter) und kann ein Frauen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/69
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/69>, abgerufen am 14.10.2024.