es konzipirt -- kann man sich auf allen Wegen nähern; be- greifen können wir keinen; wir müssen hoffen auf die gött- liche Güte; und die sollte grade nach einem Pistolenschuß ihr Ende erreicht haben? -- Unglück aller Art dürfte mich berüh- ren? Jedem elenden Fieber, jedem Klotz, jedem Dachstein, jeder Ungeschicklichkeit sollte es erlaubt sein, nur mir nicht? Siechen auf Krankheits- und Unglückslagern sollt' ich müssen, und wenn es hoch und schön kommt, zu achtzig Jahren ein glücklicher imbecille werden, und von dreißig an schon mich ekelhaft deterioriren? Ich freue mich, daß mein edler Freund -- denn Freund ruf' ich ihm bitter und mit Thränen nach -- das Unwürdige nicht duldete: gelitten hat er genug. -- Kei- ner von denen, die ihn etwa tadeln, hätte ihm zehn Thaler gereicht; Nächte gewidmet, Nachsicht mit ihm gehabt, hätt' er sich ihm nur zerstört zeigen können. Den ewigen Kalkul hätten sie nie unterbrochen, ob er wohl Recht, ob er wohl nicht Recht zu dieser Tasse Kaffee habe! Ich weiß von sei- nem Tod nichts, als daß er eine Frau, und dann sich erschos- sen hat. Es ist und bleibt ein Muth. Wer verließe nicht das abgetragene inkorrigible Leben, wenn er die dunklen Möglich- keiten nicht noch mehr fürchtete; uns loslösen vom Wünschens- werthen, das thut der Weltgang schon. Dies von denen, die sich nichts zu erfreuen haben; forsche ein jeder selbst, ob es Viele oder Wenige sind. --
Anmerk. Heinrich von Kleist hatte kurz vor seinem Tode folgenden Zettel an Rahel geschrieben:
"Obschon ich das Fieber nicht hatte, so befand ich mich doch, in Folge desselben, unwohl, sehr unwohl; ich hätte einen schlechten Tröster abge-
I. 37
es konzipirt — kann man ſich auf allen Wegen nähern; be- greifen können wir keinen; wir müſſen hoffen auf die gött- liche Güte; und die ſollte grade nach einem Piſtolenſchuß ihr Ende erreicht haben? — Unglück aller Art dürfte mich berüh- ren? Jedem elenden Fieber, jedem Klotz, jedem Dachſtein, jeder Ungeſchicklichkeit ſollte es erlaubt ſein, nur mir nicht? Siechen auf Krankheits- und Unglückslagern ſollt’ ich müſſen, und wenn es hoch und ſchön kommt, zu achtzig Jahren ein glücklicher imbécille werden, und von dreißig an ſchon mich ekelhaft deterioriren? Ich freue mich, daß mein edler Freund — denn Freund ruf’ ich ihm bitter und mit Thränen nach — das Unwürdige nicht duldete: gelitten hat er genug. — Kei- ner von denen, die ihn etwa tadeln, hätte ihm zehn Thaler gereicht; Nächte gewidmet, Nachſicht mit ihm gehabt, hätt’ er ſich ihm nur zerſtört zeigen können. Den ewigen Kalkul hätten ſie nie unterbrochen, ob er wohl Recht, ob er wohl nicht Recht zu dieſer Taſſe Kaffee habe! Ich weiß von ſei- nem Tod nichts, als daß er eine Frau, und dann ſich erſchoſ- ſen hat. Es iſt und bleibt ein Muth. Wer verließe nicht das abgetragene inkorrigible Leben, wenn er die dunklen Möglich- keiten nicht noch mehr fürchtete; uns loslöſen vom Wünſchens- werthen, das thut der Weltgang ſchon. Dies von denen, die ſich nichts zu erfreuen haben; forſche ein jeder ſelbſt, ob es Viele oder Wenige ſind. —
Anmerk. Heinrich von Kleiſt hatte kurz vor ſeinem Tode folgenden Zettel an Rahel geſchrieben:
„Obſchon ich das Fieber nicht hatte, ſo befand ich mich doch, in Folge deſſelben, unwohl, ſehr unwohl; ich hätte einen ſchlechten Tröſter abge-
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es konzipirt — kann man ſich auf allen Wegen nähern; be-
greifen können wir keinen; wir müſſen hoffen auf die gött-
liche Güte; und die ſollte grade nach einem Piſtolenſchuß ihr
Ende erreicht haben? — Unglück aller Art dürfte mich berüh-
ren? Jedem elenden Fieber, jedem Klotz, jedem Dachſtein,
jeder Ungeſchicklichkeit ſollte es erlaubt ſein, nur mir nicht?
Siechen auf Krankheits- und Unglückslagern ſollt’ ich müſſen,
und wenn es hoch und ſchön kommt, zu achtzig Jahren ein
glücklicher imbécille werden, und von dreißig an ſchon mich
ekelhaft deterioriren? Ich freue mich, daß mein edler Freund
— denn Freund ruf’ ich ihm bitter und mit Thränen nach —
das Unwürdige nicht duldete: gelitten hat er genug. — Kei-
ner von denen, die ihn etwa tadeln, hätte ihm zehn Thaler
gereicht; Nächte gewidmet, Nachſicht mit ihm gehabt, hätt’
er ſich ihm nur zerſtört zeigen können. Den ewigen Kalkul
hätten ſie nie unterbrochen, ob er wohl Recht, ob er wohl
nicht Recht zu dieſer Taſſe Kaffee habe! Ich weiß von ſei-
nem Tod nichts, als daß er eine Frau, und dann ſich erſchoſ-
ſen hat. Es iſt und bleibt ein Muth. Wer verließe nicht das
abgetragene inkorrigible Leben, wenn er die dunklen Möglich-
keiten nicht noch mehr fürchtete; uns loslöſen vom Wünſchens-
werthen, das thut der Weltgang ſchon. Dies von denen, die
ſich nichts zu erfreuen haben; forſche ein jeder ſelbſt, ob es
Viele oder Wenige ſind. —
Anmerk. Heinrich von Kleiſt hatte kurz vor ſeinem Tode folgenden
Zettel an Rahel geſchrieben:
„Obſchon ich das Fieber nicht hatte, ſo befand ich mich doch, in Folge
deſſelben, unwohl, ſehr unwohl; ich hätte einen ſchlechten Tröſter abge-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/591>, abgerufen am 21.11.2024.
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