Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

bin wahrlich geboren zum Ignoranten. Weide ist doch auf
diesem wilden Eiland, und fehlet alle Geistesspur des thätigen
sinnigen Menschengeschlechts, so sind gute Dämonen, die sich
dieser Wildniß annehmen, und Anspruchlose herrlich bewirthen.
Bei Ihrem Reichthum müssen Sie auch einen solchen wilden
Park haben, wo der Dämon gar aufpassend lauert, und Sie
versteht; der ist mein Trost: nicht wie nichtige Nymphchen,
die nicht wissen was man will und sagt, finden Sie doch we-
nigstens a qui parler, und können immer denken, ich habe
einen Herrn besucht
! Sie sehen, ich werde ganz toll!

Ich verfolge Sie alle Tage in Sanssouci! Aber ich bitte,
legen Sie sich nicht auf kalte Steine und Stufen! Auf san-
digen, sonnigen trockenen Boden, wenn ich bitten darf! Ich
habe darin mitzusprechen. Sie haben mir auch zu befehlen.
Wie gerne käme ich hinüber. Ich will mich doch bei Leuten
erkundigen, die hinfahren. Ich weiß, warum Sie's wünschen:
damit nicht alle Blätter schon ab seien. --

Ich finde die Anekdote vom sächsischen Gesellen überna-
türlich schön. So wirkt Geschichte; und ihr Wirken ist Ge-
schichte. Seit fünfzig Jahren steht Sanssouri, und Welten
haben sich umgekehrt, die Sieger es umwühlt; nun denkt der
Sachse mitten im Garten, er ist nicht drin; das Lager soll
erst kommen. So sinkt erst nach und nach Meinung von
Stand zu Stand herab; solche Kerle wandern noch in Deutsch-
land umher; und in fünfzig Jahren weiß so Einer erst von
den Schaffwerken der jetzigen Erobrer. Und wie still macht
die Anekdote! So still wird von Gemüth zu Gemüthe Gro-

bin wahrlich geboren zum Ignoranten. Weide iſt doch auf
dieſem wilden Eiland, und fehlet alle Geiſtesſpur des thätigen
ſinnigen Menſchengeſchlechts, ſo ſind gute Dämonen, die ſich
dieſer Wildniß annehmen, und Anſpruchloſe herrlich bewirthen.
Bei Ihrem Reichthum müſſen Sie auch einen ſolchen wilden
Park haben, wo der Dämon gar aufpaſſend lauert, und Sie
verſteht; der iſt mein Troſt: nicht wie nichtige Nymphchen,
die nicht wiſſen was man will und ſagt, finden Sie doch we-
nigſtens à qui parler, und können immer denken, ich habe
einen Herrn beſucht
! Sie ſehen, ich werde ganz toll!

Ich verfolge Sie alle Tage in Sansſouci! Aber ich bitte,
legen Sie ſich nicht auf kalte Steine und Stufen! Auf ſan-
digen, ſonnigen trockenen Boden, wenn ich bitten darf! Ich
habe darin mitzuſprechen. Sie haben mir auch zu befehlen.
Wie gerne käme ich hinüber. Ich will mich doch bei Leuten
erkundigen, die hinfahren. Ich weiß, warum Sie’s wünſchen:
damit nicht alle Blätter ſchon ab ſeien. —

Ich finde die Anekdote vom ſächſiſchen Geſellen überna-
türlich ſchön. So wirkt Geſchichte; und ihr Wirken iſt Ge-
ſchichte. Seit fünfzig Jahren ſteht Sansſouri, und Welten
haben ſich umgekehrt, die Sieger es umwühlt; nun denkt der
Sachſe mitten im Garten, er iſt nicht drin; das Lager ſoll
erſt kommen. So ſinkt erſt nach und nach Meinung von
Stand zu Stand herab; ſolche Kerle wandern noch in Deutſch-
land umher; und in fünfzig Jahren weiß ſo Einer erſt von
den Schaffwerken der jetzigen Erobrer. Und wie ſtill macht
die Anekdote! So ſtill wird von Gemüth zu Gemüthe Gro-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0556" n="542"/>
bin wahrlich geboren zum Ignoranten. Weide i&#x017F;t doch auf<lb/>
die&#x017F;em wilden Eiland, und fehlet alle Gei&#x017F;tes&#x017F;pur des thätigen<lb/>
&#x017F;innigen Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts, &#x017F;o &#x017F;ind gute Dämonen, die &#x017F;ich<lb/>
die&#x017F;er Wildniß annehmen, und An&#x017F;pruchlo&#x017F;e herrlich bewirthen.<lb/>
Bei Ihrem Reichthum mü&#x017F;&#x017F;en Sie auch einen &#x017F;olchen wilden<lb/>
Park haben, wo der Dämon gar aufpa&#x017F;&#x017F;end lauert, und Sie<lb/>
ver&#x017F;teht; <hi rendition="#g">der</hi> i&#x017F;t mein <hi rendition="#g">Tro&#x017F;t</hi>: nicht wie nichtige Nymphchen,<lb/>
die nicht wi&#x017F;&#x017F;en was man will und &#x017F;agt, finden Sie doch we-<lb/>
nig&#x017F;tens <hi rendition="#aq">à qui parler,</hi> und können immer denken, <hi rendition="#g">ich habe<lb/>
einen Herrn be&#x017F;ucht</hi>! Sie &#x017F;ehen, ich werde ganz toll!</p><lb/>
            <p>Ich verfolge Sie alle Tage in Sans&#x017F;ouci! Aber ich bitte,<lb/>
legen Sie &#x017F;ich nicht auf kalte Steine und Stufen! Auf &#x017F;an-<lb/>
digen, &#x017F;onnigen trockenen Boden, wenn ich bitten darf! Ich<lb/><hi rendition="#g">habe</hi> darin mitzu&#x017F;prechen. Sie haben mir auch zu befehlen.<lb/>
Wie gerne käme ich hinüber. Ich will mich doch bei Leuten<lb/>
erkundigen, die hinfahren. Ich weiß, warum Sie&#x2019;s wün&#x017F;chen:<lb/>
damit nicht alle Blätter &#x017F;chon ab &#x017F;eien. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Ich finde die Anekdote vom &#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;chen Ge&#x017F;ellen überna-<lb/>
türlich &#x017F;chön. So wirkt Ge&#x017F;chichte; und ihr Wirken <hi rendition="#g">i&#x017F;t</hi> Ge-<lb/>
&#x017F;chichte. Seit fünfzig Jahren &#x017F;teht Sans&#x017F;ouri, und Welten<lb/>
haben &#x017F;ich umgekehrt, die Sieger es umwühlt; nun denkt der<lb/>
Sach&#x017F;e mitten im Garten, er i&#x017F;t nicht drin; das <hi rendition="#g">Lager</hi> &#x017F;oll<lb/>
er&#x017F;t kommen. So &#x017F;inkt er&#x017F;t nach und nach Meinung von<lb/>
Stand zu Stand herab; &#x017F;olche Kerle wandern noch in Deut&#x017F;ch-<lb/>
land umher; und in fünfzig Jahren weiß &#x017F;o Einer er&#x017F;t von<lb/>
den Schaffwerken der jetzigen Erobrer. Und wie &#x017F;till macht<lb/>
die Anekdote! So &#x017F;till wird von Gemüth zu Gemüthe Gro-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[542/0556] bin wahrlich geboren zum Ignoranten. Weide iſt doch auf dieſem wilden Eiland, und fehlet alle Geiſtesſpur des thätigen ſinnigen Menſchengeſchlechts, ſo ſind gute Dämonen, die ſich dieſer Wildniß annehmen, und Anſpruchloſe herrlich bewirthen. Bei Ihrem Reichthum müſſen Sie auch einen ſolchen wilden Park haben, wo der Dämon gar aufpaſſend lauert, und Sie verſteht; der iſt mein Troſt: nicht wie nichtige Nymphchen, die nicht wiſſen was man will und ſagt, finden Sie doch we- nigſtens à qui parler, und können immer denken, ich habe einen Herrn beſucht! Sie ſehen, ich werde ganz toll! Ich verfolge Sie alle Tage in Sansſouci! Aber ich bitte, legen Sie ſich nicht auf kalte Steine und Stufen! Auf ſan- digen, ſonnigen trockenen Boden, wenn ich bitten darf! Ich habe darin mitzuſprechen. Sie haben mir auch zu befehlen. Wie gerne käme ich hinüber. Ich will mich doch bei Leuten erkundigen, die hinfahren. Ich weiß, warum Sie’s wünſchen: damit nicht alle Blätter ſchon ab ſeien. — Ich finde die Anekdote vom ſächſiſchen Geſellen überna- türlich ſchön. So wirkt Geſchichte; und ihr Wirken iſt Ge- ſchichte. Seit fünfzig Jahren ſteht Sansſouri, und Welten haben ſich umgekehrt, die Sieger es umwühlt; nun denkt der Sachſe mitten im Garten, er iſt nicht drin; das Lager ſoll erſt kommen. So ſinkt erſt nach und nach Meinung von Stand zu Stand herab; ſolche Kerle wandern noch in Deutſch- land umher; und in fünfzig Jahren weiß ſo Einer erſt von den Schaffwerken der jetzigen Erobrer. Und wie ſtill macht die Anekdote! So ſtill wird von Gemüth zu Gemüthe Gro-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/556
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/556>, abgerufen am 01.06.2024.