Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Liebe, wie ich es mir selbst rathen würde. Sie müssen nicht
elend leben. Hier ist der Platz, wo ich Ihnen Paulinens letz-
ten Brief schicken muß. So ist es wenn Einer todt ist. Keine
Kunde von ihm. Kein Laut: zu ihm, von ihm. Pauline
hatte acht Tage ein Messer in ihrem Bette nach Louis Tod;
und sie hat mir geschworen, und so daß ich's glaube, sie hätte
sich erstochen, wenn sie hätte nur ein Zeichen kriegen können,
daß es Louis weiß: aber so in der ewigen Stummheit, ewi-
gen, vielleicht doppelten Getrenntheit! -- Mit seinen Briefen
sitzt man dann, wenn Einer todt ist; nichts, nichts ist mehr;
kein Zeichen des wühlendsten empörendsten Schmerzes, der all-
gewaltigsten Liebe dringt mehr, durch keine Möglichkeit zu
ihm. Aber alles müssen Sie thun, ehe Sie elend leben. Sie
können ja auch Glück haben, leben bleiben; und vieles heilen
in der Welt. Gehen Sie; sagt übernatürlich ruhig mein tief-
ster Geist; ich mag mich untersuchen wie ich will. In meiner
ganzen Liebe zu Ihnen sehe ich, ich mag's machen wie ich
will, nur Sie: gewaltig lenken Sie von allem Eigennutz, von
aller Beschauung und Befühlung meiner eignen Gefühle, meine
ganze Seele auf Ihr Sein. Sie fühle ich. Wie Ihnen sein
muß, immer. Gehen Sie; und wenn Sie todt sein werden;
das Ärgste; so wissen Sie jetzt, werde ich denken: "Leben, so
leben, elend leben, das konnte er nicht." Und kann sich jetzt
in Ihnen und um Sie nichts ändern, so werd' ich nachher
nicht denken: es hätte geschehen können. Dies sei Ihr Trost
über mich: dies wird meiner sein. Ein herrliches Zusammen-
leben giebt es doch nicht! Wäre ich Ihr Freund, so wie ich
eine durchaus Elende bin, so verließ ich Sie jetzt nicht. Nun,

33 *

Liebe, wie ich es mir ſelbſt rathen würde. Sie müſſen nicht
elend leben. Hier iſt der Platz, wo ich Ihnen Paulinens letz-
ten Brief ſchicken muß. So iſt es wenn Einer todt iſt. Keine
Kunde von ihm. Kein Laut: zu ihm, von ihm. Pauline
hatte acht Tage ein Meſſer in ihrem Bette nach Louis Tod;
und ſie hat mir geſchworen, und ſo daß ich’s glaube, ſie hätte
ſich erſtochen, wenn ſie hätte nur ein Zeichen kriegen können,
daß es Louis weiß: aber ſo in der ewigen Stummheit, ewi-
gen, vielleicht doppelten Getrenntheit! — Mit ſeinen Briefen
ſitzt man dann, wenn Einer todt iſt; nichts, nichts iſt mehr;
kein Zeichen des wühlendſten empörendſten Schmerzes, der all-
gewaltigſten Liebe dringt mehr, durch keine Möglichkeit zu
ihm. Aber alles müſſen Sie thun, ehe Sie elend leben. Sie
können ja auch Glück haben, leben bleiben; und vieles heilen
in der Welt. Gehen Sie; ſagt übernatürlich ruhig mein tief-
ſter Geiſt; ich mag mich unterſuchen wie ich will. In meiner
ganzen Liebe zu Ihnen ſehe ich, ich mag’s machen wie ich
will, nur Sie: gewaltig lenken Sie von allem Eigennutz, von
aller Beſchauung und Befühlung meiner eignen Gefühle, meine
ganze Seele auf Ihr Sein. Sie fühle ich. Wie Ihnen ſein
muß, immer. Gehen Sie; und wenn Sie todt ſein werden;
das Ärgſte; ſo wiſſen Sie jetzt, werde ich denken: „Leben, ſo
leben, elend leben, das konnte er nicht.“ Und kann ſich jetzt
in Ihnen und um Sie nichts ändern, ſo werd’ ich nachher
nicht denken: es hätte geſchehen können. Dies ſei Ihr Troſt
über mich: dies wird meiner ſein. Ein herrliches Zuſammen-
leben giebt es doch nicht! Wäre ich Ihr Freund, ſo wie ich
eine durchaus Elende bin, ſo verließ ich Sie jetzt nicht. Nun,

33 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0529" n="515"/>
Liebe, wie ich es mir &#x017F;elb&#x017F;t rathen würde. <hi rendition="#g">Sie</hi>&#x017F;&#x017F;en nicht<lb/>
elend leben. Hier i&#x017F;t der Platz, wo ich Ihnen Paulinens letz-<lb/>
ten Brief &#x017F;chicken muß. So i&#x017F;t es wenn Einer todt i&#x017F;t. Keine<lb/>
Kunde von ihm. Kein Laut: zu ihm, von ihm. Pauline<lb/>
hatte acht Tage ein Me&#x017F;&#x017F;er in ihrem Bette nach Louis Tod;<lb/>
und &#x017F;ie hat mir ge&#x017F;chworen, und &#x017F;o daß ich&#x2019;s glaube, &#x017F;ie hätte<lb/>
&#x017F;ich er&#x017F;tochen, wenn &#x017F;ie hätte nur <hi rendition="#g">ein</hi> Zeichen kriegen können,<lb/>
daß es Louis weiß: aber &#x017F;o in der ewigen Stummheit, ewi-<lb/>
gen, vielleicht doppelten Getrenntheit! &#x2014; Mit &#x017F;einen Briefen<lb/>
&#x017F;itzt man dann, wenn Einer todt i&#x017F;t; nichts, nichts i&#x017F;t mehr;<lb/>
kein Zeichen des wühlend&#x017F;ten empörend&#x017F;ten Schmerzes, der all-<lb/>
gewaltig&#x017F;ten Liebe dringt mehr, durch keine Möglichkeit zu<lb/>
ihm. Aber alles mü&#x017F;&#x017F;en Sie thun, ehe Sie elend leben. Sie<lb/>
können ja auch Glück haben, leben bleiben; und vieles heilen<lb/>
in der Welt. Gehen Sie; &#x017F;agt übernatürlich ruhig mein tief-<lb/>
&#x017F;ter Gei&#x017F;t; ich mag mich unter&#x017F;uchen wie ich will. In meiner<lb/>
ganzen Liebe zu Ihnen &#x017F;ehe ich, ich mag&#x2019;s machen wie ich<lb/>
will, nur Sie: gewaltig lenken Sie von allem Eigennutz, von<lb/>
aller Be&#x017F;chauung und Befühlung meiner eignen Gefühle, meine<lb/>
ganze Seele auf Ihr Sein. Sie fühle ich. Wie Ihnen &#x017F;ein<lb/>
muß, immer. Gehen Sie; und wenn Sie todt &#x017F;ein werden;<lb/>
das Ärg&#x017F;te; &#x017F;o wi&#x017F;&#x017F;en Sie jetzt, werde ich denken: &#x201E;Leben, &#x017F;o<lb/>
leben, elend leben, das konnte er nicht.&#x201C; Und kann &#x017F;ich jetzt<lb/>
in Ihnen und um Sie nichts ändern, &#x017F;o werd&#x2019; ich nachher<lb/><hi rendition="#g">nicht</hi> denken: es hätte ge&#x017F;chehen können. Dies &#x017F;ei Ihr Tro&#x017F;t<lb/>
über <hi rendition="#g">mich</hi>: dies wird meiner &#x017F;ein. Ein herrliches Zu&#x017F;ammen-<lb/>
leben giebt es doch nicht! Wäre ich Ihr Freund, &#x017F;o wie ich<lb/>
eine durchaus Elende bin, &#x017F;o verließ ich Sie jetzt nicht. Nun,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">33 *</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[515/0529] Liebe, wie ich es mir ſelbſt rathen würde. Sie müſſen nicht elend leben. Hier iſt der Platz, wo ich Ihnen Paulinens letz- ten Brief ſchicken muß. So iſt es wenn Einer todt iſt. Keine Kunde von ihm. Kein Laut: zu ihm, von ihm. Pauline hatte acht Tage ein Meſſer in ihrem Bette nach Louis Tod; und ſie hat mir geſchworen, und ſo daß ich’s glaube, ſie hätte ſich erſtochen, wenn ſie hätte nur ein Zeichen kriegen können, daß es Louis weiß: aber ſo in der ewigen Stummheit, ewi- gen, vielleicht doppelten Getrenntheit! — Mit ſeinen Briefen ſitzt man dann, wenn Einer todt iſt; nichts, nichts iſt mehr; kein Zeichen des wühlendſten empörendſten Schmerzes, der all- gewaltigſten Liebe dringt mehr, durch keine Möglichkeit zu ihm. Aber alles müſſen Sie thun, ehe Sie elend leben. Sie können ja auch Glück haben, leben bleiben; und vieles heilen in der Welt. Gehen Sie; ſagt übernatürlich ruhig mein tief- ſter Geiſt; ich mag mich unterſuchen wie ich will. In meiner ganzen Liebe zu Ihnen ſehe ich, ich mag’s machen wie ich will, nur Sie: gewaltig lenken Sie von allem Eigennutz, von aller Beſchauung und Befühlung meiner eignen Gefühle, meine ganze Seele auf Ihr Sein. Sie fühle ich. Wie Ihnen ſein muß, immer. Gehen Sie; und wenn Sie todt ſein werden; das Ärgſte; ſo wiſſen Sie jetzt, werde ich denken: „Leben, ſo leben, elend leben, das konnte er nicht.“ Und kann ſich jetzt in Ihnen und um Sie nichts ändern, ſo werd’ ich nachher nicht denken: es hätte geſchehen können. Dies ſei Ihr Troſt über mich: dies wird meiner ſein. Ein herrliches Zuſammen- leben giebt es doch nicht! Wäre ich Ihr Freund, ſo wie ich eine durchaus Elende bin, ſo verließ ich Sie jetzt nicht. Nun, 33 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/529
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/529>, abgerufen am 06.06.2024.