Buch z. B.? Ihr Haus gefällt mir ja sehr gut! Es ist sinnig und bequem eingerichtet, und einzurichten gewesen. Darin könnte einem wohl werden. Sie müssen gut in den Zimmern schlafen: die dicken Mauern beruhigen, und halten Hitze und Kälte ab. Sind die Kastanien dicht vor Ihren Fenstern, daß Sie sie anfassen können? Können Sie auf die Wipfel sehen, oder gar drüber weg? Beschäftigen Sie sich? Können Sie arbeiten? Lassen Sie Ihrem Körper ja Zeit, Fortschritte zu machen. Dazu müßte die Seele erfrischt werden; und ge- sunde Seelen werden dies doch am Ende nur durch Menschen. So wie die bestorganisirten Gesundheiten am leichtesten lei- den, so können nur dumpfe Seelen in Einsamkeit gedeihen. (Sehen Sie dies Schreiben! Ich schreibe mit einem Stück Holz, welches ich mit der Scheere zugestutzt habe.) Ich grüble mich zu Tode über Sie, bis ich Sie fertig habe. Was kann ein Mensch mit solchem Bewußtsein, wie Sie es haben, ich möchte sagen ein wissenschaftliches Bewußtsein, ausrichten. Sie können der Zeit nicht entfliehen. Es giebt nur Lokal- Wahrheiten, und die Zeit ist nichts, als die Bedingung, unter welcher sie sich bewegen, entwickeln, leben, wirken. Alle be- kannte Wesen sind darin streng gebannt; jeder Mensch in seine Zeit. Unsere ist die des sich selbst in's Unendliche, bis zum Schwindel, bespiegelnden Bewußtseins. Und die größten Heldenanlagen, die wirkungsreichste und fähigste Natur muß austrocknen, vergehen, in Luft und Flammen aufgehen, wenn sie doppelt begabt, recht menschlich begabt ist; wenn ihr ein spekulativer sinnender Geist zugesellt ist, ein scharfes intelli- gentes Verständniß, eine zu bewegende Dichterphantasie, ein
Buch z. B.? Ihr Haus gefällt mir ja ſehr gut! Es iſt ſinnig und bequem eingerichtet, und einzurichten geweſen. Darin könnte einem wohl werden. Sie müſſen gut in den Zimmern ſchlafen: die dicken Mauern beruhigen, und halten Hitze und Kälte ab. Sind die Kaſtanien dicht vor Ihren Fenſtern, daß Sie ſie anfaſſen können? Können Sie auf die Wipfel ſehen, oder gar drüber weg? Beſchäftigen Sie ſich? Können Sie arbeiten? Laſſen Sie Ihrem Körper ja Zeit, Fortſchritte zu machen. Dazu müßte die Seele erfriſcht werden; und ge- ſunde Seelen werden dies doch am Ende nur durch Menſchen. So wie die beſtorganiſirten Geſundheiten am leichteſten lei- den, ſo können nur dumpfe Seelen in Einſamkeit gedeihen. (Sehen Sie dies Schreiben! Ich ſchreibe mit einem Stück Holz, welches ich mit der Scheere zugeſtutzt habe.) Ich grüble mich zu Tode über Sie, bis ich Sie fertig habe. Was kann ein Menſch mit ſolchem Bewußtſein, wie Sie es haben, ich möchte ſagen ein wiſſenſchaftliches Bewußtſein, ausrichten. Sie können der Zeit nicht entfliehen. Es giebt nur Lokal- Wahrheiten, und die Zeit iſt nichts, als die Bedingung, unter welcher ſie ſich bewegen, entwickeln, leben, wirken. Alle be- kannte Weſen ſind darin ſtreng gebannt; jeder Menſch in ſeine Zeit. Unſere iſt die des ſich ſelbſt in’s Unendliche, bis zum Schwindel, beſpiegelnden Bewußtſeins. Und die größten Heldenanlagen, die wirkungsreichſte und fähigſte Natur muß austrocknen, vergehen, in Luft und Flammen aufgehen, wenn ſie doppelt begabt, recht menſchlich begabt iſt; wenn ihr ein ſpekulativer ſinnender Geiſt zugeſellt iſt, ein ſcharfes intelli- gentes Verſtändniß, eine zu bewegende Dichterphantaſie, ein
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Buch z. B.? Ihr Haus gefällt mir ja ſehr gut! Es iſt ſinnig
und bequem eingerichtet, und einzurichten geweſen. Darin
könnte einem wohl werden. Sie müſſen gut in den Zimmern
ſchlafen: die dicken Mauern beruhigen, und halten Hitze und
Kälte ab. Sind die Kaſtanien dicht vor Ihren Fenſtern, daß
Sie ſie anfaſſen können? Können Sie auf die Wipfel ſehen,
oder gar drüber weg? Beſchäftigen Sie ſich? Können Sie
arbeiten? Laſſen Sie Ihrem Körper ja Zeit, Fortſchritte zu
machen. Dazu müßte die Seele erfriſcht werden; und ge-
ſunde Seelen werden dies doch am Ende nur durch Menſchen.
So wie die beſtorganiſirten Geſundheiten am leichteſten lei-
den, ſo können nur dumpfe Seelen in Einſamkeit gedeihen.
(Sehen Sie dies Schreiben! Ich ſchreibe mit einem Stück
Holz, welches ich mit der Scheere zugeſtutzt habe.) Ich grüble
mich zu Tode über Sie, bis ich Sie fertig habe. Was kann
ein Menſch mit ſolchem Bewußtſein, wie Sie es haben, ich
möchte ſagen ein wiſſenſchaftliches Bewußtſein, ausrichten.
Sie können der Zeit nicht entfliehen. Es giebt nur Lokal-
Wahrheiten, und die Zeit iſt nichts, als die Bedingung, unter
welcher ſie ſich bewegen, entwickeln, leben, wirken. Alle be-
kannte Weſen ſind darin ſtreng gebannt; jeder Menſch in
ſeine Zeit. Unſere iſt die des ſich ſelbſt in’s Unendliche, bis
zum Schwindel, beſpiegelnden Bewußtſeins. Und die größten
Heldenanlagen, die wirkungsreichſte und fähigſte Natur muß
austrocknen, vergehen, in Luft und Flammen aufgehen, wenn
ſie doppelt begabt, recht menſchlich begabt iſt; wenn ihr ein
ſpekulativer ſinnender Geiſt zugeſellt iſt, ein ſcharfes intelli-
gentes Verſtändniß, eine zu bewegende Dichterphantaſie, ein
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/517>, abgerufen am 22.12.2024.
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