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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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und sehe zu allererst, eine verdrehte Bewegung des Unter-
arms und der Hand. (Aus der er auch nie herauskommt.)
Auch mit den Füßen und Beinen weiß er sich bei weitem nicht
so gut zu behelfen, als unsere Akteurs. Worüber ich aber
ganz ernsthaft, und fast traurig in der Seele ward, ist, daß
ich mir durch ihn vorstellen muß, das weimarische Theater ist
nicht besser, als unsers; oder vielmehr, wenn es auch in man-
chen Stücken besser ist, so hat es doch unsere Fehler; diese
Fehler aber sind mir die allergräßlichsten, und erst seit den
guten Stücken mit den demonstrirenden Versen bei den mit-
telmäßigen steifen Gemüthern der gewöhnlichsten Subjekte beim
Theater Mode geworden. Dieser große, alle Wahrhaftigkeit
und Schönheit des Spiels aufhebende Fehler besteht darin,
daß die Mimen den Zustand der Personnage, die sie darstel-
len, nicht aufgefaßt haben, sich nicht angeeignet haben, sich
ihn nicht anzueignen vermögen. Sie wissen nicht, und füh-
len's nicht, wie die Großen unter ihnen, daß Worte, Phrasen,
nur Behelfe sind, um Gemüthszustände von sich zu geben;
nichts, als ein Bild dieser Zustände; und Bilder selbst nur
karakteristischere Zeichen des Bestrebens nach Ausdruck. Pomp-
haft, und unverständig, trennen sie dem Dichter jetzt ein Wort
vom andern, führen dies, so zu sagen einzeln, seinem gröbsten
Verständnisse nach, auf, und wollen dem Autor nachhelfen.
Dann und wann denken sie sich aus, wie man etwas machen
müsse. Und das ganze Studium dieser Kunst besteht doch nur
darin, auf's pünktlichste zu wissen, was man nicht machen
darf. Durchdrungen muß der Schauspieler vom ganzen Stück
sein, jede Rolle, jede Zusammenstellung wissen, und kennen;

und ſehe zu allererſt, eine verdrehte Bewegung des Unter-
arms und der Hand. (Aus der er auch nie herauskommt.)
Auch mit den Füßen und Beinen weiß er ſich bei weitem nicht
ſo gut zu behelfen, als unſere Akteurs. Worüber ich aber
ganz ernſthaft, und faſt traurig in der Seele ward, iſt, daß
ich mir durch ihn vorſtellen muß, das weimariſche Theater iſt
nicht beſſer, als unſers; oder vielmehr, wenn es auch in man-
chen Stücken beſſer iſt, ſo hat es doch unſere Fehler; dieſe
Fehler aber ſind mir die allergräßlichſten, und erſt ſeit den
guten Stücken mit den demonſtrirenden Verſen bei den mit-
telmäßigen ſteifen Gemüthern der gewöhnlichſten Subjekte beim
Theater Mode geworden. Dieſer große, alle Wahrhaftigkeit
und Schönheit des Spiels aufhebende Fehler beſteht darin,
daß die Mimen den Zuſtand der Perſonnage, die ſie darſtel-
len, nicht aufgefaßt haben, ſich nicht angeeignet haben, ſich
ihn nicht anzueignen vermögen. Sie wiſſen nicht, und füh-
len’s nicht, wie die Großen unter ihnen, daß Worte, Phraſen,
nur Behelfe ſind, um Gemüthszuſtände von ſich zu geben;
nichts, als ein Bild dieſer Zuſtände; und Bilder ſelbſt nur
karakteriſtiſchere Zeichen des Beſtrebens nach Ausdruck. Pomp-
haft, und unverſtändig, trennen ſie dem Dichter jetzt ein Wort
vom andern, führen dies, ſo zu ſagen einzeln, ſeinem gröbſten
Verſtändniſſe nach, auf, und wollen dem Autor nachhelfen.
Dann und wann denken ſie ſich aus, wie man etwas machen
müſſe. Und das ganze Studium dieſer Kunſt beſteht doch nur
darin, auf’s pünktlichſte zu wiſſen, was man nicht machen
darf. Durchdrungen muß der Schauſpieler vom ganzen Stück
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[494/0508] und ſehe zu allererſt, eine verdrehte Bewegung des Unter- arms und der Hand. (Aus der er auch nie herauskommt.) Auch mit den Füßen und Beinen weiß er ſich bei weitem nicht ſo gut zu behelfen, als unſere Akteurs. Worüber ich aber ganz ernſthaft, und faſt traurig in der Seele ward, iſt, daß ich mir durch ihn vorſtellen muß, das weimariſche Theater iſt nicht beſſer, als unſers; oder vielmehr, wenn es auch in man- chen Stücken beſſer iſt, ſo hat es doch unſere Fehler; dieſe Fehler aber ſind mir die allergräßlichſten, und erſt ſeit den guten Stücken mit den demonſtrirenden Verſen bei den mit- telmäßigen ſteifen Gemüthern der gewöhnlichſten Subjekte beim Theater Mode geworden. Dieſer große, alle Wahrhaftigkeit und Schönheit des Spiels aufhebende Fehler beſteht darin, daß die Mimen den Zuſtand der Perſonnage, die ſie darſtel- len, nicht aufgefaßt haben, ſich nicht angeeignet haben, ſich ihn nicht anzueignen vermögen. Sie wiſſen nicht, und füh- len’s nicht, wie die Großen unter ihnen, daß Worte, Phraſen, nur Behelfe ſind, um Gemüthszuſtände von ſich zu geben; nichts, als ein Bild dieſer Zuſtände; und Bilder ſelbſt nur karakteriſtiſchere Zeichen des Beſtrebens nach Ausdruck. Pomp- haft, und unverſtändig, trennen ſie dem Dichter jetzt ein Wort vom andern, führen dies, ſo zu ſagen einzeln, ſeinem gröbſten Verſtändniſſe nach, auf, und wollen dem Autor nachhelfen. Dann und wann denken ſie ſich aus, wie man etwas machen müſſe. Und das ganze Studium dieſer Kunſt beſteht doch nur darin, auf’s pünktlichſte zu wiſſen, was man nicht machen darf. Durchdrungen muß der Schauſpieler vom ganzen Stück ſein, jede Rolle, jede Zuſammenſtellung wiſſen, und kennen;

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/508>, abgerufen am 18.06.2024.