hat, es nur eine Modifikation ist, eine Entwickelung und Begründung meiner eigenen Natur; das ist, umfassendere, deutlichere, ineinandergreifendere Gründe für meine Meinun- gen, und ein Schärfen aller meiner Zu- und Abneigungen. Ich bin ungelehrt wie immer; "verstehe aber, was kluge Män- ner sagen;" und Geschichte der Dinge, womit Denker aller Art und wissenschaftliche Leute sich beschäftigen, ist für mich auch Geschichte, interessant, und auch der Gegenstand meiner innern Beschäftigung. Und das von Natur, und trotz -- nicht durch -- Umgebung: also fruchtbar für meine Seele; und glücklich. Nun werde ich Ihnen in zwei Worten deutlich sagen können, wie es mir äußerlich geht. Es mögen nun wohl zehn Jahre sein, daß ich Ihnen sagte: "Sein Sie überzeugt, daß in mei- nem Schicksal sich nichts geändert hat, so lange ich noch auf der Dachstube lebe, und Line habe. Von der Dachstube kam ich durch ungünstige Umstände, vor anderthalb Jahren. Line habe ich noch. Und wenn ich dem Glücke nicht danken kann, so halt' ich mich für überzeugt, liegt der Punkt des Zaubers darin, daß ich nicht beide behielt, bis ich sie zugleich los wer- den konnte. Ich bin tiefgründlich abergläubisch; und sage Ihnen also das hier im größten Ernst. Vernunftwidrig, und mit Gewalt, konnt' ich in dieser Sache nichts thun; das er- laubt und glückt nur einem andern Wesen; absolut, nicht meinem; also auch eine muthige Wahl würde mir nur Un- heil gebracht haben; stellen Sie also keine Frage hierüber an. Ich habe große Krankheiten ausgestanden. Alle meine Kräfte und Funktionen verwirrten sich. Jetzt neigen sich in unzäh- ligen Wellenschlägen diese Übel zur stillen Fläche der Gesund-
hat, es nur eine Modifikation iſt, eine Entwickelung und Begründung meiner eigenen Natur; das iſt, umfaſſendere, deutlichere, ineinandergreifendere Gründe für meine Meinun- gen, und ein Schärfen aller meiner Zu- und Abneigungen. Ich bin ungelehrt wie immer; „verſtehe aber, was kluge Män- ner ſagen;“ und Geſchichte der Dinge, womit Denker aller Art und wiſſenſchaftliche Leute ſich beſchäftigen, iſt für mich auch Geſchichte, intereſſant, und auch der Gegenſtand meiner innern Beſchäftigung. Und das von Natur, und trotz — nicht durch — Umgebung: alſo fruchtbar für meine Seele; und glücklich. Nun werde ich Ihnen in zwei Worten deutlich ſagen können, wie es mir äußerlich geht. Es mögen nun wohl zehn Jahre ſein, daß ich Ihnen ſagte: „Sein Sie überzeugt, daß in mei- nem Schickſal ſich nichts geändert hat, ſo lange ich noch auf der Dachſtube lebe, und Line habe. Von der Dachſtube kam ich durch ungünſtige Umſtände, vor anderthalb Jahren. Line habe ich noch. Und wenn ich dem Glücke nicht danken kann, ſo halt’ ich mich für überzeugt, liegt der Punkt des Zaubers darin, daß ich nicht beide behielt, bis ich ſie zugleich los wer- den konnte. Ich bin tiefgründlich abergläubiſch; und ſage Ihnen alſo das hier im größten Ernſt. Vernunftwidrig, und mit Gewalt, konnt’ ich in dieſer Sache nichts thun; das er- laubt und glückt nur einem andern Weſen; abſolut, nicht meinem; alſo auch eine muthige Wahl würde mir nur Un- heil gebracht haben; ſtellen Sie alſo keine Frage hierüber an. Ich habe große Krankheiten ausgeſtanden. Alle meine Kräfte und Funktionen verwirrten ſich. Jetzt neigen ſich in unzäh- ligen Wellenſchlägen dieſe Übel zur ſtillen Fläche der Geſund-
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hat, es nur eine Modifikation iſt, eine Entwickelung und
Begründung meiner eigenen Natur; das iſt, umfaſſendere,
deutlichere, ineinandergreifendere Gründe für meine Meinun-
gen, und ein Schärfen aller meiner Zu- und Abneigungen.
Ich bin ungelehrt wie immer; „verſtehe aber, was kluge Män-
ner ſagen;“ und Geſchichte der Dinge, womit Denker aller Art
und wiſſenſchaftliche Leute ſich beſchäftigen, iſt für mich auch
Geſchichte, intereſſant, und auch der Gegenſtand meiner innern
Beſchäftigung. Und das von Natur, und trotz — nicht durch
— Umgebung: alſo fruchtbar für meine Seele; und glücklich.
Nun werde ich Ihnen in zwei Worten deutlich ſagen können,
wie es mir äußerlich geht. Es mögen nun wohl zehn Jahre
ſein, daß ich Ihnen ſagte: „Sein Sie überzeugt, daß in mei-
nem Schickſal ſich nichts geändert hat, ſo lange ich noch auf
der Dachſtube lebe, und Line habe. Von der Dachſtube kam
ich durch ungünſtige Umſtände, vor anderthalb Jahren. Line
habe ich noch. Und wenn ich dem Glücke nicht danken kann,
ſo halt’ ich mich für überzeugt, liegt der Punkt des Zaubers
darin, daß ich nicht beide behielt, bis ich ſie zugleich los wer-
den konnte. Ich bin tiefgründlich abergläubiſch; und ſage
Ihnen alſo das hier im größten Ernſt. Vernunftwidrig, und
mit Gewalt, konnt’ ich in dieſer Sache nichts thun; das er-
laubt und glückt nur einem andern Weſen; abſolut, nicht
meinem; alſo auch eine muthige Wahl würde mir nur Un-
heil gebracht haben; ſtellen Sie alſo keine Frage hierüber an.
Ich habe große Krankheiten ausgeſtanden. Alle meine Kräfte
und Funktionen verwirrten ſich. Jetzt neigen ſich in unzäh-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/503>, abgerufen am 22.12.2024.
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