stand, und begehrte, man sollte ihr zureden und sie trösten. Doch nur selten vermochte man das; sie selbst vielmehr erhob sich zu dem höchsten Troste, sprach die schönsten Empfindungen und reichsten Ahndungen aus, und freute sich dankbar gegen Gott, daß sie doch gute Gedanken habe, tröstliche, erquickende Vorstellungen, ein offenes Herz, ein reines Vertrauen. So sagte sie zu mir eines Morgens, nach einer schrecklichen Nacht, mit dem so eindringenden Ton ihrer liebevollen Stimme: "O ich bin doch ganz vergnügt, ich bin ja Gottes Geschöpf, er weiß von mir, und ich werde schon noch einsehen, wie es mir gut und nöthig war, so zu leiden; ich soll gewiß etwas dadurch lernen, jeder Schmerz wird in der gewonnenen Ein- sicht zur Freude werden, jedes Leid als Glorie daliegen! Und bin ich nicht schon jetzt glücklich in diesem Vertrauen, und in all der Liebe, die ich habe und finde?"
Ihre häusliche Geselligkeit war schon längere Zeit auf einen kleinen Kreis erwünschter Personen beschränkt, der so- wohl altbewährte, seit zwanzig und dreißig Jahren ihr un- verändert gebliebene Freunde, als auch jüngere und noch ganz neue Bekanntschaften umfaßte. Sie wußte den verschieden- artigsten Eigenschaften einen schicklichen Spielraum, jedem richtigen Anspruch eine billige Befriedigung zu verschaffen, und auch für sich selbst jederzeit eine solche zu gewinnen. Alles Ächte, Gute und Liebliche, das ihr begegnete, war ihr gleich ein Entzücken. So war es ein tiefer und froher Ein- druck, den sie noch in den letzten Wochen durch die Bekannt- schaft mit einer edlen und liebenswürdigen Dame empfing, in welcher sie bestätigt fand, was schon der Namen ihr ver-
ſtand, und begehrte, man ſollte ihr zureden und ſie tröſten. Doch nur ſelten vermochte man das; ſie ſelbſt vielmehr erhob ſich zu dem höchſten Troſte, ſprach die ſchönſten Empfindungen und reichſten Ahndungen aus, und freute ſich dankbar gegen Gott, daß ſie doch gute Gedanken habe, tröſtliche, erquickende Vorſtellungen, ein offenes Herz, ein reines Vertrauen. So ſagte ſie zu mir eines Morgens, nach einer ſchrecklichen Nacht, mit dem ſo eindringenden Ton ihrer liebevollen Stimme: „O ich bin doch ganz vergnügt, ich bin ja Gottes Geſchöpf, er weiß von mir, und ich werde ſchon noch einſehen, wie es mir gut und nöthig war, ſo zu leiden; ich ſoll gewiß etwas dadurch lernen, jeder Schmerz wird in der gewonnenen Ein- ſicht zur Freude werden, jedes Leid als Glorie daliegen! Und bin ich nicht ſchon jetzt glücklich in dieſem Vertrauen, und in all der Liebe, die ich habe und finde?“
Ihre häusliche Geſelligkeit war ſchon längere Zeit auf einen kleinen Kreis erwünſchter Perſonen beſchränkt, der ſo- wohl altbewährte, ſeit zwanzig und dreißig Jahren ihr un- verändert gebliebene Freunde, als auch jüngere und noch ganz neue Bekanntſchaften umfaßte. Sie wußte den verſchieden- artigſten Eigenſchaften einen ſchicklichen Spielraum, jedem richtigen Anſpruch eine billige Befriedigung zu verſchaffen, und auch für ſich ſelbſt jederzeit eine ſolche zu gewinnen. Alles Ächte, Gute und Liebliche, das ihr begegnete, war ihr gleich ein Entzücken. So war es ein tiefer und froher Ein- druck, den ſie noch in den letzten Wochen durch die Bekannt- ſchaft mit einer edlen und liebenswürdigen Dame empfing, in welcher ſie beſtätigt fand, was ſchon der Namen ihr ver-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0048"n="34"/>ſtand, und begehrte, man ſollte ihr zureden und ſie tröſten.<lb/>
Doch nur ſelten vermochte man das; ſie ſelbſt vielmehr erhob<lb/>ſich zu dem höchſten Troſte, ſprach die ſchönſten Empfindungen<lb/>
und reichſten Ahndungen aus, und freute ſich dankbar gegen<lb/>
Gott, daß ſie doch gute Gedanken habe, tröſtliche, erquickende<lb/>
Vorſtellungen, ein offenes Herz, ein reines Vertrauen. So<lb/>ſagte ſie zu mir eines Morgens, nach einer ſchrecklichen Nacht,<lb/>
mit dem ſo eindringenden Ton ihrer liebevollen Stimme: „O<lb/>
ich bin <hirendition="#g">doch</hi> ganz vergnügt, ich bin ja Gottes Geſchöpf, er<lb/><hirendition="#g">weiß</hi> von mir, und ich werde ſchon noch einſehen, wie es<lb/>
mir gut und nöthig war, ſo zu leiden; ich ſoll gewiß etwas<lb/>
dadurch lernen, jeder Schmerz wird in der gewonnenen Ein-<lb/>ſicht zur Freude werden, jedes Leid als Glorie daliegen! Und<lb/>
bin ich nicht ſchon jetzt glücklich in dieſem Vertrauen, und in<lb/>
all der Liebe, die ich habe und finde?“</p><lb/><p>Ihre häusliche Geſelligkeit war ſchon längere Zeit auf<lb/>
einen kleinen Kreis erwünſchter Perſonen beſchränkt, der ſo-<lb/>
wohl altbewährte, ſeit zwanzig und dreißig Jahren ihr un-<lb/>
verändert gebliebene Freunde, als auch jüngere und noch ganz<lb/>
neue Bekanntſchaften umfaßte. Sie wußte den verſchieden-<lb/>
artigſten Eigenſchaften einen ſchicklichen Spielraum, jedem<lb/>
richtigen Anſpruch eine billige Befriedigung zu verſchaffen,<lb/>
und auch für ſich ſelbſt jederzeit eine ſolche zu gewinnen.<lb/>
Alles Ächte, Gute und Liebliche, das ihr begegnete, war ihr<lb/>
gleich ein Entzücken. So war es ein tiefer und froher Ein-<lb/>
druck, den ſie noch in den letzten Wochen durch die Bekannt-<lb/>ſchaft mit einer edlen und liebenswürdigen Dame empfing,<lb/>
in welcher ſie beſtätigt fand, was ſchon der Namen ihr ver-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[34/0048]
ſtand, und begehrte, man ſollte ihr zureden und ſie tröſten.
Doch nur ſelten vermochte man das; ſie ſelbſt vielmehr erhob
ſich zu dem höchſten Troſte, ſprach die ſchönſten Empfindungen
und reichſten Ahndungen aus, und freute ſich dankbar gegen
Gott, daß ſie doch gute Gedanken habe, tröſtliche, erquickende
Vorſtellungen, ein offenes Herz, ein reines Vertrauen. So
ſagte ſie zu mir eines Morgens, nach einer ſchrecklichen Nacht,
mit dem ſo eindringenden Ton ihrer liebevollen Stimme: „O
ich bin doch ganz vergnügt, ich bin ja Gottes Geſchöpf, er
weiß von mir, und ich werde ſchon noch einſehen, wie es
mir gut und nöthig war, ſo zu leiden; ich ſoll gewiß etwas
dadurch lernen, jeder Schmerz wird in der gewonnenen Ein-
ſicht zur Freude werden, jedes Leid als Glorie daliegen! Und
bin ich nicht ſchon jetzt glücklich in dieſem Vertrauen, und in
all der Liebe, die ich habe und finde?“
Ihre häusliche Geſelligkeit war ſchon längere Zeit auf
einen kleinen Kreis erwünſchter Perſonen beſchränkt, der ſo-
wohl altbewährte, ſeit zwanzig und dreißig Jahren ihr un-
verändert gebliebene Freunde, als auch jüngere und noch ganz
neue Bekanntſchaften umfaßte. Sie wußte den verſchieden-
artigſten Eigenſchaften einen ſchicklichen Spielraum, jedem
richtigen Anſpruch eine billige Befriedigung zu verſchaffen,
und auch für ſich ſelbſt jederzeit eine ſolche zu gewinnen.
Alles Ächte, Gute und Liebliche, das ihr begegnete, war ihr
gleich ein Entzücken. So war es ein tiefer und froher Ein-
druck, den ſie noch in den letzten Wochen durch die Bekannt-
ſchaft mit einer edlen und liebenswürdigen Dame empfing,
in welcher ſie beſtätigt fand, was ſchon der Namen ihr ver-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/48>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.