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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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er auch sogenannt rechtschaffen ist: das weiß ich. -- Und Sie
wissen nicht, wann Sie kommen? Hier sagt man crescendo
der König käme, seine Pferde seien abgegangen. Der Schön-
armigen, der ich einen Rapport von der Tochter Spiel machen
mußte, schrieb ich: "Sagen Sie Hrn. von Humboldt, ich wäre
in Verzweiflung, daß ich noch hier, und er in Königsberg blei-
ben müßte!" Es war buchstäblich wahr. Wie können Sie
mir nur etwas schicken, was ich tragen soll, und so wenig da-
bei schreiben; darum nun schreib' ich so geschwätzig! Sie sind
dort in der Dürre: möge dieser plauderhafte Brief Ihnen ein
Repräsentant eines plauderhaften, vertraulichen, altberlinischen
Abends sein! Deßhalb gebe ich mich so preiß mit Schreiben.
Ganz erstaunt bin ich, Ihnen Dankbarkeit eingeflößt zu ha-
ben; Sie haben sich auch nur versprochen, lieber Humboldt!
Sie wollten sagen, Sie seien noch, wenn Sie daran erinnert
würden, ein wenig verwundert, daß ich nicht durchaus so gar-
stig bin, als Sie mich während des Hasses immer wähnten,
oder vielmehr voraussetzten; und unbeachtet ließen. Ewig
wird es in Ihrer Menschen-Kunde und Jagd, und in Ihrem
Leben ein Brachfeld bleiben, daß Sie mein Wesen so über-
gehen konnten; von Äußerlichkeiten wie von kleinen Wällen
und Thürmchen zurückgeführt, weit weg, zu leeren flachen Ge-
bäuden in nachahmenden Umriß der gewöhnlichen Regelmäßig-
keit! Weil ein kräftigeres Gemüth sich tiefer zurückzog; unter
den Prahlern nicht prahlen wollte, und weltlich sich zeigte,
ging der Naturforscher vorüber? Weil schönere, erlernte Aus-
drücke mir nicht zu Gebote standen, und ich sie zur Hälfte
verschmähte, entging Ihnen auch, mein unbefangener, eindrin-

er auch ſogenannt rechtſchaffen iſt: das weiß ich. — Und Sie
wiſſen nicht, wann Sie kommen? Hier ſagt man crescendo
der König käme, ſeine Pferde ſeien abgegangen. Der Schön-
armigen, der ich einen Rapport von der Tochter Spiel machen
mußte, ſchrieb ich: „Sagen Sie Hrn. von Humboldt, ich wäre
in Verzweiflung, daß ich noch hier, und er in Königsberg blei-
ben müßte!“ Es war buchſtäblich wahr. Wie können Sie
mir nur etwas ſchicken, was ich tragen ſoll, und ſo wenig da-
bei ſchreiben; darum nun ſchreib’ ich ſo geſchwätzig! Sie ſind
dort in der Dürre: möge dieſer plauderhafte Brief Ihnen ein
Repräſentant eines plauderhaften, vertraulichen, altberliniſchen
Abends ſein! Deßhalb gebe ich mich ſo preiß mit Schreiben.
Ganz erſtaunt bin ich, Ihnen Dankbarkeit eingeflößt zu ha-
ben; Sie haben ſich auch nur verſprochen, lieber Humboldt!
Sie wollten ſagen, Sie ſeien noch, wenn Sie daran erinnert
würden, ein wenig verwundert, daß ich nicht durchaus ſo gar-
ſtig bin, als Sie mich während des Haſſes immer wähnten,
oder vielmehr vorausſetzten; und unbeachtet ließen. Ewig
wird es in Ihrer Menſchen-Kunde und Jagd, und in Ihrem
Leben ein Brachfeld bleiben, daß Sie mein Weſen ſo über-
gehen konnten; von Äußerlichkeiten wie von kleinen Wällen
und Thürmchen zurückgeführt, weit weg, zu leeren flachen Ge-
bäuden in nachahmenden Umriß der gewöhnlichen Regelmäßig-
keit! Weil ein kräftigeres Gemüth ſich tiefer zurückzog; unter
den Prahlern nicht prahlen wollte, und weltlich ſich zeigte,
ging der Naturforſcher vorüber? Weil ſchönere, erlernte Aus-
drücke mir nicht zu Gebote ſtanden, und ich ſie zur Hälfte
verſchmähte, entging Ihnen auch, mein unbefangener, eindrin-

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[429/0443] er auch ſogenannt rechtſchaffen iſt: das weiß ich. — Und Sie wiſſen nicht, wann Sie kommen? Hier ſagt man crescendo der König käme, ſeine Pferde ſeien abgegangen. Der Schön- armigen, der ich einen Rapport von der Tochter Spiel machen mußte, ſchrieb ich: „Sagen Sie Hrn. von Humboldt, ich wäre in Verzweiflung, daß ich noch hier, und er in Königsberg blei- ben müßte!“ Es war buchſtäblich wahr. Wie können Sie mir nur etwas ſchicken, was ich tragen ſoll, und ſo wenig da- bei ſchreiben; darum nun ſchreib’ ich ſo geſchwätzig! Sie ſind dort in der Dürre: möge dieſer plauderhafte Brief Ihnen ein Repräſentant eines plauderhaften, vertraulichen, altberliniſchen Abends ſein! Deßhalb gebe ich mich ſo preiß mit Schreiben. Ganz erſtaunt bin ich, Ihnen Dankbarkeit eingeflößt zu ha- ben; Sie haben ſich auch nur verſprochen, lieber Humboldt! Sie wollten ſagen, Sie ſeien noch, wenn Sie daran erinnert würden, ein wenig verwundert, daß ich nicht durchaus ſo gar- ſtig bin, als Sie mich während des Haſſes immer wähnten, oder vielmehr vorausſetzten; und unbeachtet ließen. Ewig wird es in Ihrer Menſchen-Kunde und Jagd, und in Ihrem Leben ein Brachfeld bleiben, daß Sie mein Weſen ſo über- gehen konnten; von Äußerlichkeiten wie von kleinen Wällen und Thürmchen zurückgeführt, weit weg, zu leeren flachen Ge- bäuden in nachahmenden Umriß der gewöhnlichen Regelmäßig- keit! Weil ein kräftigeres Gemüth ſich tiefer zurückzog; unter den Prahlern nicht prahlen wollte, und weltlich ſich zeigte, ging der Naturforſcher vorüber? Weil ſchönere, erlernte Aus- drücke mir nicht zu Gebote ſtanden, und ich ſie zur Hälfte verſchmähte, entging Ihnen auch, mein unbefangener, eindrin-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/443>, abgerufen am 25.11.2024.