Ließ mir morgens die F. sagen, sie führe nach der Stadt, ob ich nichts zu bestellen habe: ich war zu assommirt, mitzufahren oder nur irgend etwas zu versuchen. "Nein", ließ ich sagen: und blieb. Harschern wollte ich hundertmal schreiben; Varn- hagen auch; vergeblich! Line, die meinen bedauernswürdigen Zustand sehen mochte, rieth mir, bat mich, auszugehen: ich ließ mich endlich in großer Furcht nach dem Garten bringen -- weil da kein Hund hinein kann; setzte mich auf eine kleine Treppe, die zur Spree führt, und nähte mir ein Kleid; von 12 bis nach halb 3 blieb ich. Bürger von der Wache, und ein zwanzigjähriger Gardedükorps-Sohn, den ich seit drei Sommern kenne, und der anglen wollte, gesellten sich zu mir. Nach 2 kam Line: ich ging noch quer den waldigen Theil des Gartens durch. Gerechte Götter, wie schön: hätte doch mein Herz den giftigen Fleck nicht! das Bedürfniß nach Men- schen. Nach einem Freund. Wär's doch nicht aufgeregt! Ich bin ja oft gesund; und will nichts; und sehe es ein! Um 5, hatte ich mit dem jungen Menschen verabredet, wollten wir zu Wasser fahren. Ein bejahrter Bürger sprach von Gewit- ter, und wollte doch mit: der Junge aber wollte lieber seinen Bruder mitnehmen: ich schwieg: aber das Gewitter kam grade um 5 Uhr; ich saß am Fenster und nähte mein Kleid fertig, zum Lesen war der Regen zu schön: vorher schrieb ich doch bitter an Varnhagen: ich weiß aber nicht, ob ich's abschicke. Im Leben, welches die Götter geben, ist Schreiben nicht nö- thig: in anderm hilft's nichts! Später gingen wir in Graf Kameckens Garten, und nach dem Schloßgarten. Schön war
Donnerstag, den 15.
Ließ mir morgens die F. ſagen, ſie führe nach der Stadt, ob ich nichts zu beſtellen habe: ich war zu aſſommirt, mitzufahren oder nur irgend etwas zu verſuchen. „Nein“, ließ ich ſagen: und blieb. Harſchern wollte ich hundertmal ſchreiben; Varn- hagen auch; vergeblich! Line, die meinen bedauernswürdigen Zuſtand ſehen mochte, rieth mir, bat mich, auszugehen: ich ließ mich endlich in großer Furcht nach dem Garten bringen — weil da kein Hund hinein kann; ſetzte mich auf eine kleine Treppe, die zur Spree führt, und nähte mir ein Kleid; von 12 bis nach halb 3 blieb ich. Bürger von der Wache, und ein zwanzigjähriger Gardedükorps-Sohn, den ich ſeit drei Sommern kenne, und der anglen wollte, geſellten ſich zu mir. Nach 2 kam Line: ich ging noch quer den waldigen Theil des Gartens durch. Gerechte Götter, wie ſchön: hätte doch mein Herz den giftigen Fleck nicht! das Bedürfniß nach Men- ſchen. Nach einem Freund. Wär’s doch nicht aufgeregt! Ich bin ja oft geſund; und will nichts; und ſehe es ein! Um 5, hatte ich mit dem jungen Menſchen verabredet, wollten wir zu Waſſer fahren. Ein bejahrter Bürger ſprach von Gewit- ter, und wollte doch mit: der Junge aber wollte lieber ſeinen Bruder mitnehmen: ich ſchwieg: aber das Gewitter kam grade um 5 Uhr; ich ſaß am Fenſter und nähte mein Kleid fertig, zum Leſen war der Regen zu ſchön: vorher ſchrieb ich doch bitter an Varnhagen: ich weiß aber nicht, ob ich’s abſchicke. Im Leben, welches die Götter geben, iſt Schreiben nicht nö- thig: in anderm hilft’s nichts! Später gingen wir in Graf Kameckens Garten, und nach dem Schloßgarten. Schön war
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0435"n="421"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Donnerstag, den 15.</hi></dateline><lb/><p>Ließ mir morgens die F. ſagen, ſie führe nach der Stadt, ob<lb/>
ich nichts zu beſtellen habe: ich war zu aſſommirt, mitzufahren<lb/>
oder nur irgend etwas zu verſuchen. „Nein“, ließ ich ſagen:<lb/>
und blieb. Harſchern wollte ich hundertmal ſchreiben; Varn-<lb/>
hagen auch; vergeblich! Line, die meinen bedauernswürdigen<lb/>
Zuſtand ſehen mochte, rieth mir, bat mich, auszugehen: ich<lb/>
ließ mich endlich in großer Furcht nach dem Garten bringen —<lb/>
weil da kein Hund hinein kann; ſetzte mich auf eine kleine<lb/>
Treppe, die zur Spree führt, und nähte mir ein Kleid; von<lb/>
12 bis nach halb 3 blieb ich. Bürger von der Wache, und<lb/>
ein zwanzigjähriger Gardedükorps-Sohn, den ich ſeit drei<lb/>
Sommern kenne, und der anglen wollte, geſellten ſich zu mir.<lb/>
Nach 2 kam Line: ich ging noch quer den waldigen Theil<lb/>
des Gartens durch. Gerechte Götter, wie ſchön: hätte doch<lb/>
mein Herz den giftigen Fleck nicht! das Bedürfniß nach Men-<lb/>ſchen. Nach einem Freund. Wär’s doch nicht aufgeregt! Ich<lb/><hirendition="#g">bin</hi> ja oft geſund; und will nichts; und ſehe es ein! Um 5,<lb/>
hatte ich mit dem jungen Menſchen verabredet, wollten wir<lb/>
zu Waſſer fahren. Ein bejahrter Bürger ſprach von Gewit-<lb/>
ter, und wollte doch mit: der Junge aber wollte lieber ſeinen<lb/>
Bruder mitnehmen: ich ſchwieg: aber das Gewitter kam grade<lb/>
um 5 Uhr; ich ſaß am Fenſter und nähte mein Kleid fertig,<lb/>
zum Leſen war der Regen zu ſchön: vorher ſchrieb ich doch<lb/>
bitter an Varnhagen: ich weiß aber nicht, ob ich’s abſchicke.<lb/>
Im Leben, welches die Götter geben, iſt Schreiben nicht nö-<lb/>
thig: in anderm hilft’s nichts! Später gingen wir in Graf<lb/>
Kameckens Garten, und nach dem Schloßgarten. Schön war<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[421/0435]
Donnerstag, den 15.
Ließ mir morgens die F. ſagen, ſie führe nach der Stadt, ob
ich nichts zu beſtellen habe: ich war zu aſſommirt, mitzufahren
oder nur irgend etwas zu verſuchen. „Nein“, ließ ich ſagen:
und blieb. Harſchern wollte ich hundertmal ſchreiben; Varn-
hagen auch; vergeblich! Line, die meinen bedauernswürdigen
Zuſtand ſehen mochte, rieth mir, bat mich, auszugehen: ich
ließ mich endlich in großer Furcht nach dem Garten bringen —
weil da kein Hund hinein kann; ſetzte mich auf eine kleine
Treppe, die zur Spree führt, und nähte mir ein Kleid; von
12 bis nach halb 3 blieb ich. Bürger von der Wache, und
ein zwanzigjähriger Gardedükorps-Sohn, den ich ſeit drei
Sommern kenne, und der anglen wollte, geſellten ſich zu mir.
Nach 2 kam Line: ich ging noch quer den waldigen Theil
des Gartens durch. Gerechte Götter, wie ſchön: hätte doch
mein Herz den giftigen Fleck nicht! das Bedürfniß nach Men-
ſchen. Nach einem Freund. Wär’s doch nicht aufgeregt! Ich
bin ja oft geſund; und will nichts; und ſehe es ein! Um 5,
hatte ich mit dem jungen Menſchen verabredet, wollten wir
zu Waſſer fahren. Ein bejahrter Bürger ſprach von Gewit-
ter, und wollte doch mit: der Junge aber wollte lieber ſeinen
Bruder mitnehmen: ich ſchwieg: aber das Gewitter kam grade
um 5 Uhr; ich ſaß am Fenſter und nähte mein Kleid fertig,
zum Leſen war der Regen zu ſchön: vorher ſchrieb ich doch
bitter an Varnhagen: ich weiß aber nicht, ob ich’s abſchicke.
Im Leben, welches die Götter geben, iſt Schreiben nicht nö-
thig: in anderm hilft’s nichts! Später gingen wir in Graf
Kameckens Garten, und nach dem Schloßgarten. Schön war
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/435>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.