nach erlangtem Sieg und Frieden des deutschen Vaterlandes, von Paris, wo ich schwer krank gelegen, unter glücklichen Zei- chen heimkehrend, konnte ich aller Hemmungen frei, die ge- liebte Freundin in Böhmen wiederfinden, den schönsten Som- mer mit ihr verleben, und darauf in Berlin, am 27. Septem- ber 1814, mein Lebensloos für immer dem ihren anschließen.
Die neunzehnjährige Zeit unsres sodann wenig unter- brochenen, zu stets erneutem Bewußtsein des Glückes erhobe- nen und an innerer Entwicklung reichen Zusammenlebens zu schildern, darf ich vielleicht in späterer Zeit, wenn die Fort- setzung der begonnenen Denkschriften mich wieder anziehen kann, mit gestärkten Kräften zu unternehmen hoffen. Hier liegt mir nur noch ob, den viel zu frühen Ausgang dieser entschwundenen Zeit zu betrachten, und von den letzten Krank- heits- und Gemüthszuständen der dahingeschiedenen Freundin näheren Bericht zu geben.
Rahels Organisation war von der Natur kräftig und stark angelegt, dieser Anlage jedoch im Beginne schon auch widersprochen worden. Die Mutter brachte, nach vielen zu frühzeitigen Niederkunften, sie als das erste lebende Kind zur Welt, welches aber so klein und zart war, und so schwach schien, daß man dasselbe in Baumwolle gehüllt eine Zeit lang in einer Schachtel aufbewahrte.
Die Kinderjahre vergingen unter vielerlei Krankheitslei- den, welche vielleicht durch zweckmäßige Behandlung und an- gemessene Lebenseinrichtung damals zu beseitigen gewesen wä-
nach erlangtem Sieg und Frieden des deutſchen Vaterlandes, von Paris, wo ich ſchwer krank gelegen, unter glücklichen Zei- chen heimkehrend, konnte ich aller Hemmungen frei, die ge- liebte Freundin in Böhmen wiederfinden, den ſchönſten Som- mer mit ihr verleben, und darauf in Berlin, am 27. Septem- ber 1814, mein Lebensloos für immer dem ihren anſchließen.
Die neunzehnjährige Zeit unſres ſodann wenig unter- brochenen, zu ſtets erneutem Bewußtſein des Glückes erhobe- nen und an innerer Entwicklung reichen Zuſammenlebens zu ſchildern, darf ich vielleicht in ſpäterer Zeit, wenn die Fort- ſetzung der begonnenen Denkſchriften mich wieder anziehen kann, mit geſtärkten Kräften zu unternehmen hoffen. Hier liegt mir nur noch ob, den viel zu frühen Ausgang dieſer entſchwundenen Zeit zu betrachten, und von den letzten Krank- heits- und Gemüthszuſtänden der dahingeſchiedenen Freundin näheren Bericht zu geben.
Rahels Organiſation war von der Natur kräftig und ſtark angelegt, dieſer Anlage jedoch im Beginne ſchon auch widerſprochen worden. Die Mutter brachte, nach vielen zu frühzeitigen Niederkunften, ſie als das erſte lebende Kind zur Welt, welches aber ſo klein und zart war, und ſo ſchwach ſchien, daß man daſſelbe in Baumwolle gehüllt eine Zeit lang in einer Schachtel aufbewahrte.
Die Kinderjahre vergingen unter vielerlei Krankheitslei- den, welche vielleicht durch zweckmäßige Behandlung und an- gemeſſene Lebenseinrichtung damals zu beſeitigen geweſen wä-
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nach erlangtem Sieg und Frieden des deutſchen Vaterlandes,
von Paris, wo ich ſchwer krank gelegen, unter glücklichen Zei-
chen heimkehrend, konnte ich aller Hemmungen frei, die ge-
liebte Freundin in Böhmen wiederfinden, den ſchönſten Som-
mer mit ihr verleben, und darauf in Berlin, am 27. Septem-
ber 1814, mein Lebensloos für immer dem ihren anſchließen.
Die neunzehnjährige Zeit unſres ſodann wenig unter-
brochenen, zu ſtets erneutem Bewußtſein des Glückes erhobe-
nen und an innerer Entwicklung reichen Zuſammenlebens zu
ſchildern, darf ich vielleicht in ſpäterer Zeit, wenn die Fort-
ſetzung der begonnenen Denkſchriften mich wieder anziehen
kann, mit geſtärkten Kräften zu unternehmen hoffen. Hier
liegt mir nur noch ob, den viel zu frühen Ausgang dieſer
entſchwundenen Zeit zu betrachten, und von den letzten Krank-
heits- und Gemüthszuſtänden der dahingeſchiedenen Freundin
näheren Bericht zu geben.
Rahels Organiſation war von der Natur kräftig und
ſtark angelegt, dieſer Anlage jedoch im Beginne ſchon auch
widerſprochen worden. Die Mutter brachte, nach vielen zu
frühzeitigen Niederkunften, ſie als das erſte lebende Kind zur
Welt, welches aber ſo klein und zart war, und ſo ſchwach
ſchien, daß man daſſelbe in Baumwolle gehüllt eine Zeit lang
in einer Schachtel aufbewahrte.
Die Kinderjahre vergingen unter vielerlei Krankheitslei-
den, welche vielleicht durch zweckmäßige Behandlung und an-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/43>, abgerufen am 21.12.2024.
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