beständig ein anderes Buch, dessen Titel mir nun nicht ein- fällt; ist dir so etwas vorgekommen? Vorletzte Nacht besann ich mich erst auf den wirklichen Ardinghello, weil ich mir den göttlichen Briefsteller Heinse gar nicht mit dem andern Buch zusammenreimen konnte. Ich hatte, als ich dir das letztemal schrieb, von den Briefen nur wenige gelesen. Der liebe, liebe Kerl. Die strotzende Pflanze; der Ehrliche! Warum hast du mir das Buch nicht viel heftiger empfohlen? da du doch von Schlegels Gemähldebeschreibung so eingenommen bist! Wie anderer Art sind die! Heinse's. Dem hatte Gott seine rich- tigen fünf Sinne gegeben -- und allen ein weites Ge- sicht -- und dann den köstlichen, von Musen und Grazien bereiteten, von Apoll bewilligten, dazu, der sie alle zu- sammenhält. Ich kann mir wirklich einen gut ausgestatteten Menschen, einen solchen, nicht denken, ohne einen Areopag von Göttern, die ihm Gaben mitgeben, auf die Erde! Also nicht nur Redensart! Ich wollte dir erst vieles über das Buch sagen: nun ich weiter darin bin, kann ich nur über ihn sprechen. Weißt du's noch? wo nicht, lies es nach! was er über Rubens sagt! Besonders wie er so lange von ihm spricht, ohne ihn zu nennen; anfangend: "Es war ein- mal ein Mann;" ein Meistergeschichtchen. Goethe, glaubte ich nur, könne so etwas! Und die Beschreibung der Amazo- nenschlacht; der Fall Sanheribs; die Beschreibung der Ru- bens'schen Landschaft! er athmet sie ein, er riecht sie! Wenn ich nur Raphaels Johannes in der Wüste sehen könnte, das, glaub' ich, ist sein bestes Bild; ich habe die berühmtesten in Paris und Dresden gesehn; aber diesen Gedanken machte mir
beſtändig ein anderes Buch, deſſen Titel mir nun nicht ein- fällt; iſt dir ſo etwas vorgekommen? Vorletzte Nacht beſann ich mich erſt auf den wirklichen Ardinghello, weil ich mir den göttlichen Briefſteller Heinſe gar nicht mit dem andern Buch zuſammenreimen konnte. Ich hatte, als ich dir das letztemal ſchrieb, von den Briefen nur wenige geleſen. Der liebe, liebe Kerl. Die ſtrotzende Pflanze; der Ehrliche! Warum haſt du mir das Buch nicht viel heftiger empfohlen? da du doch von Schlegels Gemähldebeſchreibung ſo eingenommen biſt! Wie anderer Art ſind die! Heinſe’s. Dem hatte Gott ſeine rich- tigen fünf Sinne gegeben — und allen ein weites Ge- ſicht — und dann den köſtlichen, von Muſen und Grazien bereiteten, von Apoll bewilligten, dazu, der ſie alle zu- ſammenhält. Ich kann mir wirklich einen gut ausgeſtatteten Menſchen, einen ſolchen, nicht denken, ohne einen Areopag von Göttern, die ihm Gaben mitgeben, auf die Erde! Alſo nicht nur Redensart! Ich wollte dir erſt vieles über das Buch ſagen: nun ich weiter darin bin, kann ich nur über ihn ſprechen. Weißt du’s noch? wo nicht, lies es nach! was er über Rubens ſagt! Beſonders wie er ſo lange von ihm ſpricht, ohne ihn zu nennen; anfangend: „Es war ein- mal ein Mann;“ ein Meiſtergeſchichtchen. Goethe, glaubte ich nur, könne ſo etwas! Und die Beſchreibung der Amazo- nenſchlacht; der Fall Sanheribs; die Beſchreibung der Ru- bens’ſchen Landſchaft! er athmet ſie ein, er riecht ſie! Wenn ich nur Raphaels Johannes in der Wüſte ſehen könnte, das, glaub’ ich, iſt ſein beſtes Bild; ich habe die berühmteſten in Paris und Dresden geſehn; aber dieſen Gedanken machte mir
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0386"n="372"/>
beſtändig ein anderes Buch, deſſen Titel mir nun nicht ein-<lb/>
fällt; iſt dir ſo etwas vorgekommen? Vorletzte Nacht beſann<lb/>
ich mich erſt auf den wirklichen Ardinghello, weil ich mir den<lb/>
göttlichen Briefſteller Heinſe gar nicht mit dem andern Buch<lb/>
zuſammenreimen konnte. Ich hatte, als ich dir das letztemal<lb/>ſchrieb, von den Briefen nur wenige geleſen. Der liebe, liebe<lb/>
Kerl. Die ſtrotzende Pflanze; der Ehrliche! Warum haſt du<lb/>
mir das Buch nicht viel heftiger empfohlen? da du doch von<lb/>
Schlegels Gemähldebeſchreibung ſo eingenommen biſt! Wie<lb/>
anderer Art ſind die! Heinſe’s. Dem hatte Gott ſeine rich-<lb/>
tigen <hirendition="#g">fünf Sinne</hi> gegeben — und allen ein weites Ge-<lb/>ſicht — und dann <hirendition="#g">den</hi> köſtlichen, von Muſen und Grazien<lb/>
bereiteten, von Apoll bewilligten, dazu, der ſie alle zu-<lb/>ſammenhält. Ich kann mir wirklich einen gut ausgeſtatteten<lb/>
Menſchen, einen ſolchen, <hirendition="#g">nicht</hi> denken, ohne einen Areopag<lb/>
von Göttern, die ihm Gaben mitgeben, auf die Erde! Alſo<lb/>
nicht nur Redensart! Ich wollte dir erſt vieles über das<lb/>
Buch ſagen: nun ich weiter darin bin, kann ich nur über<lb/>
ihn ſprechen. Weißt du’s noch? wo nicht, lies es nach!<lb/>
was er über Rubens ſagt! Beſonders wie er ſo lange von<lb/>
ihm ſpricht, ohne ihn zu nennen; anfangend: „Es war ein-<lb/>
mal ein Mann;“ ein Meiſtergeſchichtchen. Goethe, glaubte<lb/>
ich nur, könne ſo etwas! Und die Beſchreibung der Amazo-<lb/>
nenſchlacht; der Fall Sanheribs; die Beſchreibung der Ru-<lb/>
bens’ſchen Landſchaft! er athmet ſie ein, er riecht ſie! Wenn<lb/>
ich nur Raphaels Johannes in der Wüſte ſehen könnte, das,<lb/>
glaub’ ich, iſt ſein beſtes Bild; ich habe die berühmteſten in<lb/>
Paris und Dresden geſehn; aber dieſen Gedanken machte mir<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[372/0386]
beſtändig ein anderes Buch, deſſen Titel mir nun nicht ein-
fällt; iſt dir ſo etwas vorgekommen? Vorletzte Nacht beſann
ich mich erſt auf den wirklichen Ardinghello, weil ich mir den
göttlichen Briefſteller Heinſe gar nicht mit dem andern Buch
zuſammenreimen konnte. Ich hatte, als ich dir das letztemal
ſchrieb, von den Briefen nur wenige geleſen. Der liebe, liebe
Kerl. Die ſtrotzende Pflanze; der Ehrliche! Warum haſt du
mir das Buch nicht viel heftiger empfohlen? da du doch von
Schlegels Gemähldebeſchreibung ſo eingenommen biſt! Wie
anderer Art ſind die! Heinſe’s. Dem hatte Gott ſeine rich-
tigen fünf Sinne gegeben — und allen ein weites Ge-
ſicht — und dann den köſtlichen, von Muſen und Grazien
bereiteten, von Apoll bewilligten, dazu, der ſie alle zu-
ſammenhält. Ich kann mir wirklich einen gut ausgeſtatteten
Menſchen, einen ſolchen, nicht denken, ohne einen Areopag
von Göttern, die ihm Gaben mitgeben, auf die Erde! Alſo
nicht nur Redensart! Ich wollte dir erſt vieles über das
Buch ſagen: nun ich weiter darin bin, kann ich nur über
ihn ſprechen. Weißt du’s noch? wo nicht, lies es nach!
was er über Rubens ſagt! Beſonders wie er ſo lange von
ihm ſpricht, ohne ihn zu nennen; anfangend: „Es war ein-
mal ein Mann;“ ein Meiſtergeſchichtchen. Goethe, glaubte
ich nur, könne ſo etwas! Und die Beſchreibung der Amazo-
nenſchlacht; der Fall Sanheribs; die Beſchreibung der Ru-
bens’ſchen Landſchaft! er athmet ſie ein, er riecht ſie! Wenn
ich nur Raphaels Johannes in der Wüſte ſehen könnte, das,
glaub’ ich, iſt ſein beſtes Bild; ich habe die berühmteſten in
Paris und Dresden geſehn; aber dieſen Gedanken machte mir
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/386>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.