Und sei nur still! ich dachte wohl vorher an Fichtens Wort des vorigen Winters: "Sie halten ein Lehrgedicht in Versen für ihre beste Komödie." Und fand es doch so göttlich! Wort für Wort! Der Mensch hat großes Talent. -- Raimond sagte immer, von meinem Lobe ergriffen, und auch vom Meister: "Quelle profonde connaissance du coeur humain!" und es war so wenig die Rede bei Moliere vom coeur humain, als bis jetzt hier von Bomben. Wie die das nehmen! Und lachen bei denselben Stellen. Aber sie nennen etwas anderes coeur hu- main. Wie ich Moliere so sehr liebte, erzählte mir Richard diese Anekdote von Piron: Il etait au parterre, a voir Tartuffe; et en fut si charme qu'il disait toujours, oh! oh! que c'est beau, divin, charmant! enfin, des interjections; quelqu'un qui se tenait devant lui, lui dit a la fin: Monsieur, vous oubliez que vous etes dans un endroit public et que vous n'etes pas seul!" Comment? criait -- aber schreien muß man -- Piron, insensible! vous n'avez donc point de coeur? vous ne savez pas que, si cette piece n'avait pas ete faite, elle ne le serait jamais!" Adieu, bester Freund, nimm den Brief wie er ist! Den schicke ich nun wieder heute des grünen Blattes wegen. -- Werde nicht traurig! Man muß sich ja wenigstens schreiben können! --
An Varnhagen, in Tübingen.
Berlin, Montag Vormittag, den 7. November 1808.
-- Wie allein habe ich sein müssen! Sieh, ich konnte nicht einmal einen Freund finden, -- du hast mir in den er- sten Tagen unserer Bekanntschaft abgefragt, was ich unter
Und ſei nur ſtill! ich dachte wohl vorher an Fichtens Wort des vorigen Winters: „Sie halten ein Lehrgedicht in Verſen für ihre beſte Komödie.“ Und fand es doch ſo göttlich! Wort für Wort! Der Menſch hat großes Talent. — Raimond ſagte immer, von meinem Lobe ergriffen, und auch vom Meiſter: „Quelle profonde connaissance du coeur humain!” und es war ſo wenig die Rede bei Moliere vom coeur humain, als bis jetzt hier von Bomben. Wie die das nehmen! Und lachen bei denſelben Stellen. Aber ſie nennen etwas anderes coeur hu- main. Wie ich Moliere ſo ſehr liebte, erzählte mir Richard dieſe Anekdote von Piron: Il était au parterre, à voir Tartuffe; et en fut si charmé qu’il disait toujours, oh! oh! que c’est beau, divin, charmant! enfin, des interjections; quelqu’un qui se tenait devant lui, lui dit à la fin: Monsieur, vous oubliez que vous êtes dans un endroit public et que vous n’êtes pas seul!” Comment? criait — aber ſchreien muß man — Piron, insensible! vous n’avez donc point de coeur? vous ne savez pas que, si cette pièce n’avait pas été faite, elle ne le serait jamais!” Adieu, beſter Freund, nimm den Brief wie er iſt! Den ſchicke ich nun wieder heute des grünen Blattes wegen. — Werde nicht traurig! Man muß ſich ja wenigſtens ſchreiben können! —
An Varnhagen, in Tübingen.
Berlin, Montag Vormittag, den 7. November 1808.
— Wie allein habe ich ſein müſſen! Sieh, ich konnte nicht einmal einen Freund finden, — du haſt mir in den er- ſten Tagen unſerer Bekanntſchaft abgefragt, was ich unter
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Und ſei nur ſtill! ich dachte wohl vorher an Fichtens Wort
des vorigen Winters: „Sie halten ein Lehrgedicht in Verſen
für ihre beſte Komödie.“ Und fand es doch ſo göttlich! Wort
für Wort! Der Menſch hat großes Talent. — Raimond ſagte
immer, von meinem Lobe ergriffen, und auch vom Meiſter:
„Quelle profonde connaissance du coeur humain!” und es war
ſo wenig die Rede bei Moliere vom coeur humain, als bis
jetzt hier von Bomben. Wie die das nehmen! Und lachen bei
denſelben Stellen. Aber ſie nennen etwas anderes coeur hu-
main. Wie ich Moliere ſo ſehr liebte, erzählte mir Richard
dieſe Anekdote von Piron: Il était au parterre, à voir Tartuffe;
et en fut si charmé qu’il disait toujours, oh! oh! que c’est
beau, divin, charmant! enfin, des interjections; quelqu’un qui
se tenait devant lui, lui dit à la fin: Monsieur, vous oubliez
que vous êtes dans un endroit public et que vous n’êtes pas
seul!” Comment? criait — aber ſchreien muß man — Piron,
insensible! vous n’avez donc point de coeur? vous ne savez
pas que, si cette pièce n’avait pas été faite, elle ne le serait
jamais!” Adieu, beſter Freund, nimm den Brief wie er iſt! Den
ſchicke ich nun wieder heute des grünen Blattes wegen. — Werde
nicht traurig! Man muß ſich ja wenigſtens ſchreiben können! —
An Varnhagen, in Tübingen.
Berlin, Montag Vormittag, den 7. November 1808.
— Wie allein habe ich ſein müſſen! Sieh, ich konnte
nicht einmal einen Freund finden, — du haſt mir in den er-
ſten Tagen unſerer Bekanntſchaft abgefragt, was ich unter
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/377>, abgerufen am 21.12.2024.
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