Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

für den Gröbsten nicht zur Wiederholung. Für mich hat er
ganz neu, und so idealisch, als es möglich ist, daß es sein
kann, die Eltern der Rebecca erfunden und geschildert. Und
mit einem Ernst, und unangefochten, bis zum Tragischen ver-
folgt. Und ganz bis zum Ende schön, wie ihre Seelen gar
nicht versöhnt werden, nur ihr Herz unter allen Umständen
der Tochter bleibt. Die Scene des Zanks, wo die Mutter ihre
Macht ausüben will, und die Herzenseinigkeit und Gottesglau-
ben sie Alle verbündet, ist sehr schön! Hätte er nur dem Vater
einige Züge mitgegeben, wodurch man sehen könnte, daß er
ein gescheidter Mann ist: mir geht das sehr ab. Ich dächte,
wenn man so viel Talent hat, könnte man mehr haben. Auch
der Geliebte müßte mehr sein, als der ehrliche Nimrod; einiger
Geist würde ihn sehr schmücken, und das Buch accentuiren.
Aber es fließt ein schöner Bach hindurch. -- Ich bin ganz
deiner Meinung in was du über Goethe's pilgernde Thörin
sagst: und bin froh, daß du es gesagt hast. Mir kommt es
ganz wie eine Übersetzung vor; nicht als ob es übersetzt wäre;
aber die Meisterschaft liegt doch darin, Franzosen, ihre Lebens-
weise, ihre Sprache, so aufgefaßt zu haben, um sie unverlo-
ren, in unsern Kräften, bis zur kleinsten Phrasenbewegung,
wiederzugeben; und dabei für seine Erkenner so sehr Goethe
zu sein, und zu bleiben, wie nur jemals! Dies heißt doch
eigentlich übersetzen; und bürgt für jede zu unternehmende lit-
terale. Es freut mich in die Seele, daß er dich an Diderot
erinnerte. --



für den Gröbſten nicht zur Wiederholung. Für mich hat er
ganz neu, und ſo idealiſch, als es möglich iſt, daß es ſein
kann, die Eltern der Rebecca erfunden und geſchildert. Und
mit einem Ernſt, und unangefochten, bis zum Tragiſchen ver-
folgt. Und ganz bis zum Ende ſchön, wie ihre Seelen gar
nicht verſöhnt werden, nur ihr Herz unter allen Umſtänden
der Tochter bleibt. Die Scene des Zanks, wo die Mutter ihre
Macht ausüben will, und die Herzenseinigkeit und Gottesglau-
ben ſie Alle verbündet, iſt ſehr ſchön! Hätte er nur dem Vater
einige Züge mitgegeben, wodurch man ſehen könnte, daß er
ein geſcheidter Mann iſt: mir geht das ſehr ab. Ich dächte,
wenn man ſo viel Talent hat, könnte man mehr haben. Auch
der Geliebte müßte mehr ſein, als der ehrliche Nimrod; einiger
Geiſt würde ihn ſehr ſchmücken, und das Buch accentuiren.
Aber es fließt ein ſchöner Bach hindurch. — Ich bin ganz
deiner Meinung in was du über Goethe’s pilgernde Thörin
ſagſt: und bin froh, daß du es geſagt haſt. Mir kommt es
ganz wie eine Überſetzung vor; nicht als ob es überſetzt wäre;
aber die Meiſterſchaft liegt doch darin, Franzoſen, ihre Lebens-
weiſe, ihre Sprache, ſo aufgefaßt zu haben, um ſie unverlo-
ren, in unſern Kräften, bis zur kleinſten Phraſenbewegung,
wiederzugeben; und dabei für ſeine Erkenner ſo ſehr Goethe
zu ſein, und zu bleiben, wie nur jemals! Dies heißt doch
eigentlich überſetzen; und bürgt für jede zu unternehmende lit-
terale. Es freut mich in die Seele, daß er dich an Diderot
erinnerte. —



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0371" n="357"/>
für den Gröb&#x017F;ten nicht zur Wiederholung. Für mich hat er<lb/>
ganz neu, und &#x017F;o ideali&#x017F;ch, als es möglich i&#x017F;t, daß es &#x017F;ein<lb/>
kann, die Eltern der Rebecca erfunden und ge&#x017F;childert. Und<lb/>
mit einem Ern&#x017F;t, und unangefochten, bis zum Tragi&#x017F;chen ver-<lb/>
folgt. Und ganz bis zum Ende &#x017F;chön, wie ihre Seelen gar<lb/>
nicht ver&#x017F;öhnt werden, nur ihr Herz unter allen Um&#x017F;tänden<lb/>
der Tochter bleibt. Die Scene des Zanks, wo die Mutter ihre<lb/>
Macht ausüben will, und die Herzenseinigkeit und Gottesglau-<lb/>
ben &#x017F;ie Alle verbündet, i&#x017F;t &#x017F;ehr &#x017F;chön! Hätte er nur dem Vater<lb/>
einige Züge mitgegeben, wodurch man &#x017F;ehen könnte, daß er<lb/>
ein ge&#x017F;cheidter Mann i&#x017F;t: mir geht das &#x017F;ehr ab. Ich dächte,<lb/>
wenn man &#x017F;o viel Talent hat, könnte man mehr haben. Auch<lb/>
der Geliebte müßte mehr &#x017F;ein, als der ehrliche Nimrod; einiger<lb/>
Gei&#x017F;t würde ihn &#x017F;ehr &#x017F;chmücken, und das Buch accentuiren.<lb/>
Aber es fließt ein &#x017F;chöner Bach hindurch. &#x2014; Ich bin ganz<lb/>
deiner Meinung in was du über Goethe&#x2019;s pilgernde Thörin<lb/>
&#x017F;ag&#x017F;t: und bin froh, daß du es ge&#x017F;agt ha&#x017F;t. Mir kommt es<lb/>
ganz wie eine Über&#x017F;etzung vor; nicht als ob es über&#x017F;etzt wäre;<lb/>
aber die Mei&#x017F;ter&#x017F;chaft liegt doch darin, Franzo&#x017F;en, ihre Lebens-<lb/>
wei&#x017F;e, ihre Sprache, &#x017F;o aufgefaßt zu haben, um &#x017F;ie unverlo-<lb/>
ren, in un&#x017F;ern Kräften, bis zur klein&#x017F;ten Phra&#x017F;enbewegung,<lb/>
wiederzugeben; und dabei für &#x017F;eine Erkenner &#x017F;o &#x017F;ehr Goethe<lb/>
zu &#x017F;ein, und zu bleiben, wie nur jemals! Dies heißt doch<lb/>
eigentlich über&#x017F;etzen; und bürgt für jede zu unternehmende lit-<lb/>
terale. Es freut mich in die Seele, daß er dich an Diderot<lb/>
erinnerte. &#x2014;</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[357/0371] für den Gröbſten nicht zur Wiederholung. Für mich hat er ganz neu, und ſo idealiſch, als es möglich iſt, daß es ſein kann, die Eltern der Rebecca erfunden und geſchildert. Und mit einem Ernſt, und unangefochten, bis zum Tragiſchen ver- folgt. Und ganz bis zum Ende ſchön, wie ihre Seelen gar nicht verſöhnt werden, nur ihr Herz unter allen Umſtänden der Tochter bleibt. Die Scene des Zanks, wo die Mutter ihre Macht ausüben will, und die Herzenseinigkeit und Gottesglau- ben ſie Alle verbündet, iſt ſehr ſchön! Hätte er nur dem Vater einige Züge mitgegeben, wodurch man ſehen könnte, daß er ein geſcheidter Mann iſt: mir geht das ſehr ab. Ich dächte, wenn man ſo viel Talent hat, könnte man mehr haben. Auch der Geliebte müßte mehr ſein, als der ehrliche Nimrod; einiger Geiſt würde ihn ſehr ſchmücken, und das Buch accentuiren. Aber es fließt ein ſchöner Bach hindurch. — Ich bin ganz deiner Meinung in was du über Goethe’s pilgernde Thörin ſagſt: und bin froh, daß du es geſagt haſt. Mir kommt es ganz wie eine Überſetzung vor; nicht als ob es überſetzt wäre; aber die Meiſterſchaft liegt doch darin, Franzoſen, ihre Lebens- weiſe, ihre Sprache, ſo aufgefaßt zu haben, um ſie unverlo- ren, in unſern Kräften, bis zur kleinſten Phraſenbewegung, wiederzugeben; und dabei für ſeine Erkenner ſo ſehr Goethe zu ſein, und zu bleiben, wie nur jemals! Dies heißt doch eigentlich überſetzen; und bürgt für jede zu unternehmende lit- terale. Es freut mich in die Seele, daß er dich an Diderot erinnerte. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/371
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/371>, abgerufen am 21.12.2024.