Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

doch in so weit ab, daß es mir schien, es sei eine alte heftige
Rührung, die er nicht verstand. Natürlich! Auf mich ist die
Humboldt böse. Die ganze Welt, außer Sie!! -- Wie mich
der Nil (Gentz) beunruhigt hat, und noch zu denken giebt, das
glauben Sie nicht! Noch Eins! den Herzog von Weimar sah
ich im vorigen Winter viel. Sie kennen ihn, ich kannte ihn
nicht; ich rechne es immer einem Menschen hoch an, wenn es
sich leicht mit ihm leben läßt; mir war er als Goethens Fürst
interessant. Mir sind ein paar komische Anekdoten mit ihm
begegnet, Adieu für heute; das Papier ist alle, mein Süd-
länder liest schon bei mir, ich bin müde; und -- merken Sie's
dem ganzen Brief nicht an, daß ich denke, er wird gelesen?
Ich kann wahrlich dann nicht schreiben. Aber ich schreibe Ih-
nen noch viel. Adieu.


Denken Sie sich mein Glück, als ich gestern voller Kopf-
schmerzen den vollgeschriebenen Bogen an Sie wegschiebe, tritt
mein Bruder in's Zimmer: "an Brinckmann", sage ich; (denn
wochenlang quälte nicht allein ich mich damit, daß ich Ihnen
schreiben wollte und nicht könne, sondern auch meine beiden
Hausgenossen,) "aber es ist gar kein Brief, weil mich noch
immer meine alte Furcht regiert, und ich auch noch nicht un-
gefähr weiß, wie ich den Brief abschicken soll." Gieb ihn mir,
sagt er; Montag geht ein Kourier, ich kenne den Mann, es
ist ein ganz ordentlicher Mensch. Nun will ich noch vorher
des Mannes Bekanntschaft machen. In so weit bin ich nun
wohl froh, daß ich weiß, der Brief kommt in Ihre Hände:

doch in ſo weit ab, daß es mir ſchien, es ſei eine alte heftige
Rührung, die er nicht verſtand. Natürlich! Auf mich iſt die
Humboldt böſe. Die ganze Welt, außer Sie!! — Wie mich
der Nil (Gentz) beunruhigt hat, und noch zu denken giebt, das
glauben Sie nicht! Noch Eins! den Herzog von Weimar ſah
ich im vorigen Winter viel. Sie kennen ihn, ich kannte ihn
nicht; ich rechne es immer einem Menſchen hoch an, wenn es
ſich leicht mit ihm leben läßt; mir war er als Goethens Fürſt
intereſſant. Mir ſind ein paar komiſche Anekdoten mit ihm
begegnet, Adieu für heute; das Papier iſt alle, mein Süd-
länder lieſt ſchon bei mir, ich bin müde; und — merken Sie’s
dem ganzen Brief nicht an, daß ich denke, er wird geleſen?
Ich kann wahrlich dann nicht ſchreiben. Aber ich ſchreibe Ih-
nen noch viel. Adieu.


Denken Sie ſich mein Glück, als ich geſtern voller Kopf-
ſchmerzen den vollgeſchriebenen Bogen an Sie wegſchiebe, tritt
mein Bruder in’s Zimmer: „an Brinckmann“, ſage ich; (denn
wochenlang quälte nicht allein ich mich damit, daß ich Ihnen
ſchreiben wollte und nicht könne, ſondern auch meine beiden
Hausgenoſſen,) „aber es iſt gar kein Brief, weil mich noch
immer meine alte Furcht regiert, und ich auch noch nicht un-
gefähr weiß, wie ich den Brief abſchicken ſoll.“ Gieb ihn mir,
ſagt er; Montag geht ein Kourier, ich kenne den Mann, es
iſt ein ganz ordentlicher Menſch. Nun will ich noch vorher
des Mannes Bekanntſchaft machen. In ſo weit bin ich nun
wohl froh, daß ich weiß, der Brief kommt in Ihre Hände:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0345" n="331"/>
doch in &#x017F;o weit ab, daß es <hi rendition="#g">mir</hi> &#x017F;chien, es &#x017F;ei eine alte heftige<lb/>
Rührung, die er nicht ver&#x017F;tand. Natürlich! Auf mich i&#x017F;t die<lb/>
Humboldt bö&#x017F;e. Die ganze Welt, außer Sie!! &#x2014; Wie mich<lb/>
der Nil (Gentz) beunruhigt hat, und noch zu denken giebt, das<lb/>
glauben Sie nicht! Noch Eins! den Herzog von Weimar &#x017F;ah<lb/>
ich im vorigen Winter viel. <hi rendition="#g">Sie</hi> kennen ihn, ich kannte ihn<lb/>
nicht; ich rechne es immer einem Men&#x017F;chen hoch an, wenn es<lb/>
&#x017F;ich leicht mit ihm leben läßt; mir war er als Goethens Für&#x017F;t<lb/>
intere&#x017F;&#x017F;ant. Mir &#x017F;ind ein paar komi&#x017F;che Anekdoten mit ihm<lb/>
begegnet, Adieu für heute; das Papier i&#x017F;t alle, mein Süd-<lb/>
länder lie&#x017F;t &#x017F;chon bei mir, ich bin müde; und &#x2014; merken Sie&#x2019;s<lb/>
dem ganzen Brief nicht an, daß ich denke, er wird gele&#x017F;en?<lb/>
Ich kann wahrlich dann nicht &#x017F;chreiben. Aber ich &#x017F;chreibe Ih-<lb/>
nen noch viel. Adieu.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Sonnabend den 9. Januar. Mittags<lb/>
um 12 Uhr.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Denken Sie &#x017F;ich mein Glück, als ich ge&#x017F;tern voller Kopf-<lb/>
&#x017F;chmerzen den vollge&#x017F;chriebenen Bogen an Sie weg&#x017F;chiebe, tritt<lb/>
mein Bruder in&#x2019;s Zimmer: &#x201E;an Brinckmann&#x201C;, &#x017F;age ich; (denn<lb/>
wochenlang quälte nicht allein ich mich damit, daß ich Ihnen<lb/>
&#x017F;chreiben wollte und nicht könne, &#x017F;ondern auch meine beiden<lb/>
Hausgeno&#x017F;&#x017F;en,) &#x201E;aber es <hi rendition="#g">i&#x017F;t</hi> gar kein Brief, weil mich noch<lb/>
immer meine alte Furcht regiert, und ich auch noch nicht un-<lb/>
gefähr weiß, wie ich den Brief ab&#x017F;chicken &#x017F;oll.&#x201C; Gieb ihn mir,<lb/>
&#x017F;agt er; Montag geht ein Kourier, ich kenne den Mann, es<lb/>
i&#x017F;t ein ganz ordentlicher Men&#x017F;ch. Nun will ich noch vorher<lb/>
des Mannes Bekannt&#x017F;chaft machen. In &#x017F;o weit bin ich nun<lb/>
wohl froh, daß ich weiß, der Brief kommt in Ihre Hände:<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[331/0345] doch in ſo weit ab, daß es mir ſchien, es ſei eine alte heftige Rührung, die er nicht verſtand. Natürlich! Auf mich iſt die Humboldt böſe. Die ganze Welt, außer Sie!! — Wie mich der Nil (Gentz) beunruhigt hat, und noch zu denken giebt, das glauben Sie nicht! Noch Eins! den Herzog von Weimar ſah ich im vorigen Winter viel. Sie kennen ihn, ich kannte ihn nicht; ich rechne es immer einem Menſchen hoch an, wenn es ſich leicht mit ihm leben läßt; mir war er als Goethens Fürſt intereſſant. Mir ſind ein paar komiſche Anekdoten mit ihm begegnet, Adieu für heute; das Papier iſt alle, mein Süd- länder lieſt ſchon bei mir, ich bin müde; und — merken Sie’s dem ganzen Brief nicht an, daß ich denke, er wird geleſen? Ich kann wahrlich dann nicht ſchreiben. Aber ich ſchreibe Ih- nen noch viel. Adieu. Sonnabend den 9. Januar. Mittags um 12 Uhr. Denken Sie ſich mein Glück, als ich geſtern voller Kopf- ſchmerzen den vollgeſchriebenen Bogen an Sie wegſchiebe, tritt mein Bruder in’s Zimmer: „an Brinckmann“, ſage ich; (denn wochenlang quälte nicht allein ich mich damit, daß ich Ihnen ſchreiben wollte und nicht könne, ſondern auch meine beiden Hausgenoſſen,) „aber es iſt gar kein Brief, weil mich noch immer meine alte Furcht regiert, und ich auch noch nicht un- gefähr weiß, wie ich den Brief abſchicken ſoll.“ Gieb ihn mir, ſagt er; Montag geht ein Kourier, ich kenne den Mann, es iſt ein ganz ordentlicher Menſch. Nun will ich noch vorher des Mannes Bekanntſchaft machen. In ſo weit bin ich nun wohl froh, daß ich weiß, der Brief kommt in Ihre Hände:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/345
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/345>, abgerufen am 24.11.2024.