Ich beneide keinen Menschen mehr, als um Dinge, die niemand hat.
Den 30. März 1807.
Ich bin wie die geringste meiner Äußerungen; und die unwillkommenste löst sich, bin ich überzeugt, für den, der's sieht, in dem Zusammenhang meines Wesens auf. Dies ist meine beste Eigenschaft: die ich zu oft selbst andeutete! -- und die einzige, die meine Ecken, vom harten Schicksal ange- schlagen, allein verschlingt.
1807.
Wer immer nur an Geschichten, Vorfälle, denkt: hat einen gemeinen Winkel in der Seele. Und der strahlt Fin- sterniß, wie eine entgegengesetzte Sonne.
Freitag, den 15. Mai 1807.
Zu dem reinen einzigen Enthusiasmus der edelsten höhe- ren Theilnahme gehört guter Wille gar nicht allein: -- auch die größte Verehrung gebiert sie nicht allein! Ein Auffassen, ein Durchdringen, ein in jedem Punkte ansaugendes Begreifen des innigsten Wesens unserer Freunde gehört vom Himmel verliehen dazu! Ist er mir geworden, dieser Antheil? Ich bin in Sehnsucht vergangen. Und bis jetzt, liebt' und haßte ich mit regem Leben alles in den Menschen, was ich verstand, und sah; und begnügte mich stückweise, mit dem was ich in diesem und jenem für mich vorfand. Zerstreut, ehrlich,
Ich beneide keinen Menſchen mehr, als um Dinge, die niemand hat.
Den 30. März 1807.
Ich bin wie die geringſte meiner Äußerungen; und die unwillkommenſte löſt ſich, bin ich überzeugt, für den, der’s ſieht, in dem Zuſammenhang meines Weſens auf. Dies iſt meine beſte Eigenſchaft: die ich zu oft ſelbſt andeutete! — und die einzige, die meine Ecken, vom harten Schickſal ange- ſchlagen, allein verſchlingt.
1807.
Wer immer nur an Geſchichten, Vorfälle, denkt: hat einen gemeinen Winkel in der Seele. Und der ſtrahlt Fin- ſterniß, wie eine entgegengeſetzte Sonne.
Freitag, den 15. Mai 1807.
Zu dem reinen einzigen Enthuſiasmus der edelſten höhe- ren Theilnahme gehört guter Wille gar nicht allein: — auch die größte Verehrung gebiert ſie nicht allein! Ein Auffaſſen, ein Durchdringen, ein in jedem Punkte anſaugendes Begreifen des innigſten Weſens unſerer Freunde gehört vom Himmel verliehen dazu! Iſt er mir geworden, dieſer Antheil? Ich bin in Sehnſucht vergangen. Und bis jetzt, liebt’ und haßte ich mit regem Leben alles in den Menſchen, was ich verſtand, und ſah; und begnügte mich ſtückweiſe, mit dem was ich in dieſem und jenem für mich vorfand. Zerſtreut, ehrlich,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0331"n="317"/><p>Ich beneide keinen Menſchen mehr, als um Dinge, die<lb/>
niemand hat.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Den 30. März 1807.</hi></dateline><lb/><p>Ich bin wie die geringſte meiner Äußerungen; und die<lb/>
unwillkommenſte löſt ſich, bin ich überzeugt, für den, der’s<lb/>ſieht, in dem Zuſammenhang meines Weſens auf. Dies iſt<lb/>
meine beſte Eigenſchaft: die ich zu oft ſelbſt andeutete! —<lb/>
und die einzige, die meine Ecken, vom harten Schickſal ange-<lb/>ſchlagen, allein verſchlingt.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">1807.</hi></dateline><lb/><p>Wer immer nur an <hirendition="#g">Geſchichten</hi>, Vorfälle, denkt: hat<lb/>
einen gemeinen <hirendition="#g">Winkel</hi> in der Seele. Und der ſtrahlt Fin-<lb/>ſterniß, wie eine entgegengeſetzte Sonne.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Freitag, den 15. Mai 1807.</hi></dateline><lb/><p>Zu dem reinen einzigen Enthuſiasmus der edelſten höhe-<lb/>
ren Theilnahme gehört guter <hirendition="#g">Wille</hi> gar nicht allein: — auch<lb/>
die größte Verehrung gebiert ſie nicht allein! Ein Auffaſſen,<lb/>
ein Durchdringen, ein in jedem Punkte anſaugendes Begreifen<lb/>
des innigſten Weſens unſerer Freunde gehört vom <hirendition="#g">Himmel</hi><lb/>
verliehen dazu! Iſt er <hirendition="#g">mir</hi> geworden, <hirendition="#g">dieſer</hi> Antheil? Ich<lb/><hirendition="#g">bin</hi> in Sehnſucht vergangen. Und bis jetzt, liebt’ und haßte<lb/>
ich mit regem Leben alles in den Menſchen, was ich verſtand,<lb/>
und ſah; und begnügte mich <hirendition="#g">ſtückweiſe</hi>, mit dem was ich<lb/>
in dieſem und jenem <hirendition="#g">für mich</hi> vorfand. Zerſtreut, ehrlich,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[317/0331]
Ich beneide keinen Menſchen mehr, als um Dinge, die
niemand hat.
Den 30. März 1807.
Ich bin wie die geringſte meiner Äußerungen; und die
unwillkommenſte löſt ſich, bin ich überzeugt, für den, der’s
ſieht, in dem Zuſammenhang meines Weſens auf. Dies iſt
meine beſte Eigenſchaft: die ich zu oft ſelbſt andeutete! —
und die einzige, die meine Ecken, vom harten Schickſal ange-
ſchlagen, allein verſchlingt.
1807.
Wer immer nur an Geſchichten, Vorfälle, denkt: hat
einen gemeinen Winkel in der Seele. Und der ſtrahlt Fin-
ſterniß, wie eine entgegengeſetzte Sonne.
Freitag, den 15. Mai 1807.
Zu dem reinen einzigen Enthuſiasmus der edelſten höhe-
ren Theilnahme gehört guter Wille gar nicht allein: — auch
die größte Verehrung gebiert ſie nicht allein! Ein Auffaſſen,
ein Durchdringen, ein in jedem Punkte anſaugendes Begreifen
des innigſten Weſens unſerer Freunde gehört vom Himmel
verliehen dazu! Iſt er mir geworden, dieſer Antheil? Ich
bin in Sehnſucht vergangen. Und bis jetzt, liebt’ und haßte
ich mit regem Leben alles in den Menſchen, was ich verſtand,
und ſah; und begnügte mich ſtückweiſe, mit dem was ich
in dieſem und jenem für mich vorfand. Zerſtreut, ehrlich,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/331>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.