das ist nicht wahr! Ich kenne uns; dies reizt uns alles nicht: dich gar nicht! Von zwei oder drei Menschen bist du viel- leicht gereizt, ihre hohle -- eben weil sie nicht gereizt sind -- nach allen Richtungen hinhängende Lebensart zu führen; und das könnte dir in Heidelberg -- zum Beispiel -- wie in Pa- ris begegnen. Ich durchdringe in deiner Seele deinen Hang nach einem deutschen akademischen Leben; ich fühle es dir nach und kenne seinen Ursprung. Vergiß auch nicht, daß uns diese Sehnsucht heftiger im Auslande befällt, und daß unsern Geist deutsch auszubilden, uns nichts abhalten kann, und eine ge- bildete, uralt-gebildete Stadt, die das Zentrum vom alten Europa, und auch von einem neuen ist, uns dazu aufregt anstatt uns zu hemmen; und deine Sehnsucht selbst, das Her- vortreten derselben, verdankst du ihr. Du kennst noch nicht den Schreck, den ich in Brüssel hatte -- doch noch Frank- reich --, sich aus Frankreich zu finden: das Herz pochte mir im Theater. Wie unter Barbaren dünkt man sich. Was ein Deutscher in Frankreich vermissen kann, trägt er in sich; findet er mit zwei gebildeten Landsleuten wieder: was man aber außerhalb Frankreich vermißt, das ist nirgend! und, wie gute Luft, krankt man nur erst, wenn man sie nicht mehr hat. Es sind die äußern Lebensbedingnisse! Vergiß auch nicht, daß so bald keine neue Bildung in Deutschland anschießen wird noch kann; wenigstens keine öffentlichen Anstalten; und je- mand, der ein Deutscher ist, wie du, kann an allem andern in der Ferne eben den heilsamen Antheil nehmen. Vergiß nicht, daß noch Jahrhunderte vergehen werden, eh wir Deut- schen aufhören werden, den von unsern Landsleuten vorzuzie-
das iſt nicht wahr! Ich kenne uns; dies reizt uns alles nicht: dich gar nicht! Von zwei oder drei Menſchen biſt du viel- leicht gereizt, ihre hohle — eben weil ſie nicht gereizt ſind — nach allen Richtungen hinhängende Lebensart zu führen; und das könnte dir in Heidelberg — zum Beiſpiel — wie in Pa- ris begegnen. Ich durchdringe in deiner Seele deinen Hang nach einem deutſchen akademiſchen Leben; ich fühle es dir nach und kenne ſeinen Urſprung. Vergiß auch nicht, daß uns dieſe Sehnſucht heftiger im Auslande befällt, und daß unſern Geiſt deutſch auszubilden, uns nichts abhalten kann, und eine ge- bildete, uralt-gebildete Stadt, die das Zentrum vom alten Europa, und auch von einem neuen iſt, uns dazu aufregt anſtatt uns zu hemmen; und deine Sehnſucht ſelbſt, das Her- vortreten derſelben, verdankſt du ihr. Du kennſt noch nicht den Schreck, den ich in Brüſſel hatte — doch noch Frank- reich —, ſich aus Frankreich zu finden: das Herz pochte mir im Theater. Wie unter Barbaren dünkt man ſich. Was ein Deutſcher in Frankreich vermiſſen kann, trägt er in ſich; findet er mit zwei gebildeten Landsleuten wieder: was man aber außerhalb Frankreich vermißt, das iſt nirgend! und, wie gute Luft, krankt man nur erſt, wenn man ſie nicht mehr hat. Es ſind die äußern Lebensbedingniſſe! Vergiß auch nicht, daß ſo bald keine neue Bildung in Deutſchland anſchießen wird noch kann; wenigſtens keine öffentlichen Anſtalten; und je- mand, der ein Deutſcher iſt, wie du, kann an allem andern in der Ferne eben den heilſamen Antheil nehmen. Vergiß nicht, daß noch Jahrhunderte vergehen werden, eh wir Deut- ſchen aufhören werden, den von unſern Landsleuten vorzuzie-
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das iſt nicht wahr! Ich kenne uns; dies reizt uns alles nicht:
dich gar nicht! Von zwei oder drei Menſchen biſt du viel-
leicht gereizt, ihre hohle — eben weil ſie nicht gereizt ſind —
nach allen Richtungen hinhängende Lebensart zu führen; und
das könnte dir in Heidelberg — zum Beiſpiel — wie in Pa-
ris begegnen. Ich durchdringe in deiner Seele deinen Hang
nach einem deutſchen akademiſchen Leben; ich fühle es dir nach
und kenne ſeinen Urſprung. Vergiß auch nicht, daß uns dieſe
Sehnſucht heftiger im Auslande befällt, und daß unſern Geiſt
deutſch auszubilden, uns nichts abhalten kann, und eine ge-
bildete, uralt-gebildete Stadt, die das Zentrum vom alten
Europa, und auch von einem neuen iſt, uns dazu aufregt
anſtatt uns zu hemmen; und deine Sehnſucht ſelbſt, das Her-
vortreten derſelben, verdankſt du ihr. Du kennſt noch nicht
den Schreck, den ich in Brüſſel hatte — doch noch Frank-
reich —, ſich aus Frankreich zu finden: das Herz pochte mir
im Theater. Wie unter Barbaren dünkt man ſich. Was
ein Deutſcher in Frankreich vermiſſen kann, trägt er in ſich;
findet er mit zwei gebildeten Landsleuten wieder: was man
aber außerhalb Frankreich vermißt, das iſt nirgend! und, wie
gute Luft, krankt man nur erſt, wenn man ſie nicht mehr hat.
Es ſind die äußern Lebensbedingniſſe! Vergiß auch nicht, daß
ſo bald keine neue Bildung in Deutſchland anſchießen wird
noch kann; wenigſtens keine öffentlichen Anſtalten; und je-
mand, der ein Deutſcher iſt, wie du, kann an allem andern
in der Ferne eben den heilſamen Antheil nehmen. Vergiß
nicht, daß noch Jahrhunderte vergehen werden, eh wir Deut-
ſchen aufhören werden, den von unſern Landsleuten vorzuzie-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/329>, abgerufen am 22.11.2024.
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