der Kindersinn aus Ehrlichkeit und reiner Aufführung behalten, der Kindersinn, der nichts anders ist, als das reine Auffassen, gesondert von der ewigen Arbeit, und dem immerwährenden und neuen Absondern; dies ist Glück. Das andere ist For- tüne, Chance, ein gutes Mittagsmahl, gute Toilette, kurz Dinge, die einem nicht entgehen müssen -- wie lieben wir sie --, denen man aber immer gesund und ganz entgehen muß. -- Verehrt, verehrt Fichte'n! Mit Thränen hab' ich es gelesen, daß ihr unsern verehrten Lehrer, den rechtschaffen- sten Mann! in Paris leset. Er hat mein bestes Herz heraus- gekehrt, befruchtet, in Ehe genommen; mir zugeschrieen: "Du bist nicht allein!" und mit seinen gewaltigen Klauen einen Kopf, die rohe Menge, bezwungen, so bald sie sich nur stellt. Und Mit- oder Nachwelt muß endlich sich stellen, ihr eignes wildes Drängen hält sie an! und Jahrhunderte später erfährt sie, was sie verblindet floh; sieht es vor sich, was sie unter sich glaubte. Waffen, Gesetzbücher u. s. w. zeigen es ihr end- lich, und halten als Polizei sie in Ordnung. Dann duckt sie, und erkennt es an; und stemmt sich von neuem gegen Neues. O! hielte doch die Erde so lange, bis ihre letzte Schuppe vom menschlichen Geiste fiel, und ein Erwählter er- lebte dies Spektakel! -- --
Humboldt ist täglich bei uns. Mein ganzes Denken und Trachten geht dahin, in eine bessere Gegend zu kommen. Bleib du ja in Paris, behalte dir nur immer Reisegeld für den Weg nach Amsterdam. Ist mir das Glück nur irgend günstig, so komme ich auch: mit meiner Freundin etwa. Humboldt will uns auf den canarischen Inseln absetzen. Und
der Kinderſinn aus Ehrlichkeit und reiner Aufführung behalten, der Kinderſinn, der nichts anders iſt, als das reine Auffaſſen, geſondert von der ewigen Arbeit, und dem immerwährenden und neuen Abſondern; dies iſt Glück. Das andere iſt For- tüne, Chance, ein gutes Mittagsmahl, gute Toilette, kurz Dinge, die einem nicht entgehen müſſen — wie lieben wir ſie —, denen man aber immer geſund und ganz entgehen muß. — Verehrt, verehrt Fichte’n! Mit Thränen hab’ ich es geleſen, daß ihr unſern verehrten Lehrer, den rechtſchaffen- ſten Mann! in Paris leſet. Er hat mein beſtes Herz heraus- gekehrt, befruchtet, in Ehe genommen; mir zugeſchrieen: „Du biſt nicht allein!“ und mit ſeinen gewaltigen Klauen einen Kopf, die rohe Menge, bezwungen, ſo bald ſie ſich nur ſtellt. Und Mit- oder Nachwelt muß endlich ſich ſtellen, ihr eignes wildes Drängen hält ſie an! und Jahrhunderte ſpäter erfährt ſie, was ſie verblindet floh; ſieht es vor ſich, was ſie unter ſich glaubte. Waffen, Geſetzbücher u. ſ. w. zeigen es ihr end- lich, und halten als Polizei ſie in Ordnung. Dann duckt ſie, und erkennt es an; und ſtemmt ſich von neuem gegen Neues. O! hielte doch die Erde ſo lange, bis ihre letzte Schuppe vom menſchlichen Geiſte fiel, und ein Erwählter er- lebte dies Spektakel! — —
Humboldt iſt täglich bei uns. Mein ganzes Denken und Trachten geht dahin, in eine beſſere Gegend zu kommen. Bleib du ja in Paris, behalte dir nur immer Reiſegeld für den Weg nach Amſterdam. Iſt mir das Glück nur irgend günſtig, ſo komme ich auch: mit meiner Freundin etwa. Humboldt will uns auf den canariſchen Inſeln abſetzen. Und
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der Kinderſinn aus Ehrlichkeit und reiner Aufführung behalten,
der Kinderſinn, der nichts anders iſt, als das reine Auffaſſen,
geſondert von der ewigen Arbeit, und dem immerwährenden
und neuen Abſondern; dies iſt Glück. Das andere iſt For-
tüne, Chance, ein gutes Mittagsmahl, gute Toilette, kurz
Dinge, die einem nicht entgehen müſſen — wie lieben wir
ſie —, denen man aber immer geſund und ganz entgehen
muß. — Verehrt, verehrt Fichte’n! Mit Thränen hab’ ich
es geleſen, daß ihr unſern verehrten Lehrer, den rechtſchaffen-
ſten Mann! in Paris leſet. Er hat mein beſtes Herz heraus-
gekehrt, befruchtet, in Ehe genommen; mir zugeſchrieen: „Du
biſt nicht allein!“ und mit ſeinen gewaltigen Klauen einen
Kopf, die rohe Menge, bezwungen, ſo bald ſie ſich nur ſtellt.
Und Mit- oder Nachwelt muß endlich ſich ſtellen, ihr eignes
wildes Drängen hält ſie an! und Jahrhunderte ſpäter erfährt
ſie, was ſie verblindet floh; ſieht es vor ſich, was ſie unter
ſich glaubte. Waffen, Geſetzbücher u. ſ. w. zeigen es ihr end-
lich, und halten als Polizei ſie in Ordnung. Dann duckt
ſie, und erkennt es an; und ſtemmt ſich von neuem gegen
Neues. O! hielte doch die Erde ſo lange, bis ihre letzte
Schuppe vom menſchlichen Geiſte fiel, und ein Erwählter er-
lebte dies Spektakel! — —
Humboldt iſt täglich bei uns. Mein ganzes Denken und
Trachten geht dahin, in eine beſſere Gegend zu kommen.
Bleib du ja in Paris, behalte dir nur immer Reiſegeld für
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/325>, abgerufen am 21.11.2024.
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